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Оглавление§ 11 Übersicht über die Handlungsformen der Verwaltung
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Fall 6:
Die Behörde X erlässt an A gerichtet folgenden „Bescheid“: „Bis zur endgültigen Klärung der Sachlage gewähren wir Ihnen vorläufig eine Unterstützung von € 1000 pro Monat.“ Darf die Behörde einen vorläufigen VA erlassen? Rn 270
I. Bedeutung
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Die Sachaufgaben sind der Verwaltung durch das Besondere Verwaltungsrecht vorgegeben, also zB die Schaffung von öffentlicher Sicherheit durch die Landespolizeigesetze; die Entsorgung von Abfällen, § 15 Abs. 1 S. 1 KrWG. Mit Hilfe welcher Instrumente oder – anders formuliert – mit Hilfe welcher Handlungsformen die Aufgabenerfüllung zu geschehen hat, schreiben die Gesetze selten vor, sondern sie gehen von der Existenz bestimmter Handlungsformen aus. In Ausnahmefällen erklären sie allerdings ein spezielles Instrument aus dem Bündel der Handlungsformen für zulässig: Nach § 10 Abs. 1 BauGB ergeht der Bebauungsplan als Satzung; nach § 28 Abs. 2 BauGB wird das Vorkaufsrecht der Gemeinde, welches der Gemeinde beim Kauf von Grundstücken zusteht – s. §§ 24, 25 BauGB –, durch Verwaltungsakt gegenüber dem Käufer ausgeübt.
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Die Handlungsformen der öffentlichen Verwaltung sind – soweit es die öffentlich-rechtlichen Handlungsformen anbelangt – teilweise im Grundgesetz, teilweise im VwVfG, teilweise überhaupt nicht positiv-rechtlich geregelt. Im Grundgesetz, in Art. 80 GG, hat die Rechtsverordnung ihren Regelungsort gefunden. In den §§ 35 ff ist der Verwaltungsakt, in den §§ 54 ff ist der öffentlich-rechtliche Vertrag normiert. Die Satzung hat etwa in § 10 BauGB eine Regelung für Bebauungspläne erfahren; zudem kommen bei ihr die Bestimmungen der Gemeindeordnungen zum Erlass kommunaler Satzungen zur Anwendung. Positiv-rechtlich ungeregelt bleibt in weiten Bereichen das schlichte Verwaltungshandeln, zu dem insbes. Realakte gehören. Die Zulässigkeit sonstiger einseitiger öffentlich-rechtlicher Willenserklärungen (zB die Anfechtung oder die Aufrechnung) ergibt sich aus der analogen Anwendung des BGB.
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Die genaue Zuordnung zu den einzelnen Handlungsformen ist von erheblicher Bedeutung. Insbes. sind die Rechtmäßigkeitsanforderungen auf die einzelnen Handlungsformen zugeschnitten. Trotz struktureller Gemeinsamkeiten ist daher der Prüfungsaufbau unterschiedlich. Die Handlungsformen bilden auch eine wichtige Weichenstellung für den Rechtsschutz vor den Verwaltungsgerichten. Denn sie bestimmen regelmäßig auch die statthafte Klageart. Von besonderer Bedeutung in der Praxis, aber auch im Studium ist der Verwaltungsakt (dazu ausf. §§ 12-16). Er besitzt eine sog. Titulierungsfunktion. Dies bedeutet, dass unter bestimmten Voraussetzung aus ihm vollstreckt werden darf, ohne dass zuvor ein Gericht eingeschaltet worden ist (dazu ausf. § 16).
II. Unterteilungen
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Im Mittelpunkt der nachfolgenden Abschnitte stehen öffentlich-rechtliche Handlungsformen. Denn sie bilden zugleich die typischen Handlungsformen der öffentlichen Verwaltung (§§ 12-22). Bereits dargestellt wurde, dass gleichwohl die öffentliche Verwaltung in bestimmten Konstellationen auch privatrechtlich handeln kann (s.o. Rn 61). Daher wird abschließend auch auf die privatrechtliche Betätigung der öffentlichen Verwaltung eingegangen (dazu ausf. § 23).
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Die öffentlich-rechtlichen Handlungsformen lassen sich ausdifferenzieren in Rechtshandlungen und Tathandlungen. Die Tathandlungen „firmieren“ unter dem Begriff des schlichten Verwaltungshandelns. Zu diesem gehören etwa Mitteilungen der Verwaltung, Berichte, Auskünfte, Warnungen, Auszahlungen von Geldbeträgen, der Abriss eines Hauses durch die städtische Bauverwaltung – sie sind nicht auf einen Rechtserfolg, sondern auf einen tatsächlichen Erfolg gerichtet. Im Gegensatz zu ihnen sind die Rechtshandlungen auf einen Rechtserfolg orientiert.
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Die Rechtshandlungen lassen sich aufteilen in abstrakt-generelle und konkrete Handlungsformen. Abstrakt-generell sind die Satzung und die Rechtsverordnung; sie erfassen, wie es die Gesetze regelmäßig tun, eine Vielzahl von Sachverhalten für eine unbestimmte Zahl von Personen. Hinzu kommen die – allerdings grundsätzlich auf den staatlichen Binnenbereich beschränkten – Verwaltungsvorschriften. Konkretes – also einen speziellen Sachverhalt – regeln der Verwaltungsakt, eine sonstige Willenserklärung, wie zB die Aufrechnung, und der öffentlich-rechtliche Vertrag. Letzterer ist zweiseitig orientiert, die beiden ersten Handlungsformen erfassen einseitige Erklärungen.
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Unterschiedlich beurteilt wird, ob Pläne eine eigenständige Handlungsform bilden. Planungen sind zu verstehen als „vorausschauendes Setzen von Zielen und gedankliches Vorwegnehmen der zu ihrer Verwirklichung nötigen Verhaltensweisen“[1]. Teilweise werden Pläne durch den Gesetzgeber einer bestimmten Handlungsform zugeordnet. So ergehen die bereits angesprochenen Bebauungspläne gemäß § 10 BauGB als Satzung. Und Planfeststellungsbeschlüsse, die insbesondere größere Infrastrukturvorhaben wie Flughäfen oder Fernstraßen zum Gegenstand haben, weisen nach § 74 Abs. 1 S. 1 die Rechtsnatur eines Verwaltungsakts auf[2]. Bereits diese Beispiele belegen, dass es keine einheitliche Zuordnung von Plänen zu einer bestimmten Handlungsform gibt[3]. Vielmehr handelt es sich letztlich um „eine offene Kategorie des Verwaltungsrechts mit je nach Typ unterschiedlicher Bedeutung und Bindungskraft“[4]. Im Hinblick auf die Bindungswirkung der Pläne kann wiederum danach unterschieden werden, ob Pläne lediglich Daten und Vorausberechnungen enthalten (indikative Pläne), verbindliche Festlegungen für den Adressaten (imperative Pläne) oder – dazwischen angesiedelt – ein bestimmtes Verhalten ohne Zwang veranlassen wollen (influenzierende Pläne)[5]. Für die juristische Ausbildung besonders relevant sind indessen die imperativen Pläne.
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Die zuvor vorgestellten Handlungsformen sind die für die universitäre Ausbildung wichtigsten und werden daher in den nachfolgenden Paragrafen ausführlich behandelt. Ihre Aufzählung ist jedoch nicht abschließend. Vielmehr können sie fortentwickelt und ergänzt werden. In der Praxis wird insbes. die Handlungsform VA stetig weiterentwickelt. Die Rechtsprechung hat den „vorläufigen VA“ sowie den „vorsorglichen VA“ für die Lösung bestimmter Phänomene eingesetzt[6]. Schließlich hat im Jahre 2017 der vollautomatisierte VA in § 35a Einzug gehalten[7].
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Lösung Fall 6 (Rn 261):
Die Definition des Verwaltungsakts nach § 35 S. 1 geht zwar von einer endgültigen Regelung aus. Es gibt allerdings keinen numerus clausus der Handlungsformen. Neue Handlungsformen sind zulässig, wenn das Gesetz nicht entgegensteht. Für die Handlungsformen gilt der Vorbehalt des Gesetzes nicht. Andere Normen, aus denen sich ein Verbot des vorläufigen VAs ergeben könnte, sind nicht ersichtlich. Der vorläufige VA ist deshalb zulässig. Vgl zum Ganzen Rn 378 f.
Ausbildungsliteratur:
v. Mutius, Die Handlungsformen der öffentlichen Verwaltung, JURA 1979, 55; Ossenbühl, Die Handlungsformen der Verwaltung, JuS 1979, 681; Siegel, Elektronisches Verwaltungshandeln, JURA 2020, 920; Zimmer, Handlungsformen und Handlungsbefugnisse der öffentlichen Verwaltung, JURA 1980, 242.