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Im Schloss darf der Mohr nicht fehlen!

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In diesem Moment allerdings, wo der Baron Kneek im Odysseus erscheint, haben derartige Gedanken in meinem Kopf überhaupt keinen Platz, weil ich Augen nur für die beiden holden Geschöpfe an seiner Seite habe. Es sind zwei himmlische Wesen, Schmetterlinge aus einer anderen Welt, Luna und Phebe, die Zwillingschwestern. Ich vermag sie nicht anzusehen, ohne an die geflügelten Geschöpfe der Luft zu denken, so federleicht scheinen sie sich zu bewegen, so engelsgleich schweben sie in den Garten mit ihren kleinen tänzelnden Füßen, die den Boden nicht einmal berühren – so jedenfalls kommt es mir vor. Es ist unglaublich, ich muss mir Mühe geben, meine Augen von ihnen loszureißen - so ergeht es übrigens auch allen anderen, sieht man einmal von Bremme ab und natürlich von Saase, dem Chemiker. Dass die keine Augen für Engel haben, ist ja nicht überraschend, die haben es ja schon seit Jahren nur mit Aktenordnern bzw. stinkenden Mineralien zu tun und sind gegen alle Schönheit vollkommen abgestumpft und sicher überhaupt nicht mehr in der Lage, an die Existenz höherer Wesen zu glauben. Ich dagegen muss mir die größte Mühe geben, beim Anblick dieser beiden so unverhofft ins Odysseus einschwebenden Engel nicht über den ungleichen Boden der Laube zu stolpern, während ich, das Tablett mit den leuchtenden Humpen über die Schulter stemmend, vor den Gästen erscheine.

Was soll ich noch sagen? Ihr wisst, dass ich hier nur Beobachter bin und mir als solcher natürlich aller mit dieser Stellung verbundenen Pflichten bewusst, aber, liebe Auftraggeber, vergesst nicht, ich bin doch auch ein Mensch, in dessen Brust sich Ehrfurcht und Begeisterung regen, ich meine, angesichts von so viel Schönheit. Das könnt ihr mir doch nicht übel nehmen!

Ihr mögt auch wissen, dass ich beim Anblick der beiden Feen nicht nur Begeisterung verspüre - auch eine Art von Beklommenheit mischt sich da ein: eine heimliche Angst um die beiden heranschwebenden Wesen, weiß ich doch aufgrund meiner täglichen Arbeit an dieser Stätte, dass die piergeschwängerte Luft des Odysseus hin und wieder von rohen Flüchen erfüllt ist, ja, dass es manchmal noch schlimmer kommt: Vor kurzem hätte ein Humpen Pier aus der Hand eines Betrunkenen den Kopf eines braven Bürgers beinahe zerschmettert. Was wird denn mit diesen zarten Geschöpfen geschehen, wenn sie sich unversehens in dem Spinnennetz verfangen, in deren Zentrum der grobe Bremme und Saase, der fürchterliche Chemiker, lauern?

Wo der Baron und seine Töchter in Wahrheit hingehören und wo sie wirklich zu Hause sind, das weiß ich ja längst, da darf ich sie sogar regelmäßig mit eigenen Augen bewundern - der Apotheker Julius hat mich schon vor Wochen im Schloss eingeführt. Den Grund dafür glaube ich inzwischen zu kennen, auch ihr würdet ihn unschwer entdecken, wenn ihr nämlich die Wände an der Schlossgalerie betrachtet, die in den großen Rittersaal führt. Vermutlich war Julius, während er die dort prangenden Familienporträts der v. Kneeks bewunderte, auf jenen dunkelhäutigen Knaben gestoßen, der neben Katze und Hund zu Füßen der Familie liegt. Ich kann es bestätigen: Da befindet sich auf mehreren zu verschiedenen Zeiten gemalten Bildern stets ein schwarzer Knabe, das eine Mal neben einem Windhund kauernd, das andere Mal neben einer Dogge. Ist das nicht höchst bemerkenswert?, dachte ich. Offenbar bildet der schwarze Knabe im Hause des Herrn Baron ein ebenso unverzichtbares Zubehör wie die jeweiligen Vierbeiner mit ihrem dem Betrachter treuherzig zugewendeten Blick. Ich habe mich also davon überzeugen können, dass Vorgänger meiner Art Jahrhunderte lang zum festen Inventar des Schlosses gehörten, allerdings sind einige von ihnen weit dunkelhäutiger als ich, was ich, wie ihr ja wisst, keineswegs als einen Vorteil erachte. So wunderbar mir im Vergleich zur weißen Milch- und Käsefarbe der Goldenberger die matt-dunkle Samtfarbe meiner Haut erscheint, so sehr stört mich an den tiefschwarzen Menschen die helle Innenfläche der Hände, nicht zu reden von der auffallend roten Zunge und der seltsamen Helligkeit ihres Mundes, sobald sie ihn einmal öffnen, was ja hin und wieder nicht zu vermeiden ist. Ich bin der Meinung, dass es auch bei solchen Menschen nicht zu der richtigen Farbmischung kam; ihr Anblick ist mir daher immer peinlich gewesen. Obwohl sie meiner physiologischen Kategorie zugehören, kommt es mir doch so vor, als wäre der Natur hier der unverzeihliche Irrtum unterlaufen, nicht ganz waschechte Exemplare zu produzieren, denen man leider ansehen muss, dass sie bei Gebrauch an Abnutzungserscheinungen leiden.

Aufgrund dieser meiner Entdeckung nehme ich an, dass der Apotheker Julius auf den Gedanken kam, es wäre höchste Zeit, dem Schloss und seinen adligen Bewohnern wieder einen schwarzen Menschen zu präsentieren, damit ein künftiges Familienbild erneut die traditionelle Vollständigkeit präsentiert.

Nun gut, dagegen habe ich grundsätzlich nichts einzuwenden, aber eines muss doch in lautem Protest erst einmal deutlich gesagt sein, denn natürlich habe ich die Bilder ganz aus der Nähe betrachtet – und dabei ist mir eine Ungeheuerlichkeit in die Augen gesprungen, die ich vor euch nicht verschweigen darf, auch wenn ich weiß, dass sie euch nicht anders als mir viel Kummer bereiten wird. Ihr wisst, liebe Auftraggeber, dass ich, was meine Mitmenschen hier und überall sonst auf der Welt betrifft, von jeglichen Vorurteilen völlig frei bin. Die Goldenberger akzeptiere ich als gleichwertige menschliche Wesen, denn für ihre milchige Komplexion können sie ja nichts: Dieses Missgeschick haben ihnen die Säbelzahntiger und das nordische Klima eingetragen, als sie unsere Heimat damals verlassen haben. Und was ihre seltsamen Neigungen betrifft, deren Zeuge ich im Haus der Frau Pastor geworden bin, so sind daran sicher die Geister schuld, die schon andere Menschen durch ihre Weisungen und Gebote gründlich verdorben haben. Jedenfalls bin ich allen anderen Menschen, gleich welcher Rasse, Religion und geschlechtlichen Neigung gleich wohl gesonnen, wie es jeder vorurteilsfreie Mensch in unserer Zeit ja glücklicherweise ist.

Aber alles hat seine Grenzen, das wisst ihr! Ich sagte schon, dass die Knaben auf den Familienbildern des Herrn Baron sehr viel dunkelhäutiger sind als ich, genauer gesagt, sind sie pechschwarz, so schwarz wie Ebenholz. Davor kann ich zur Not auch noch die Augen verschließen, das finde ich nur bedauerlich, aber eines ist schlechterdings unverzeihlich: Alle haben sie wulstige, aufgeworfene Lippen, richtige Lippenwürste. Ihr wisst, was das bedeutet, ich habe es sogleich mit Schaudern und Abscheu wahrgenommen: Es handelt sich bei ihnen zweifelsfrei um Abkömmlinge der Ngumbubaras, dieses verworfensten aller Stämme, deren Mitglieder kein Angehöriger unseres Volks jemals als Menschen bezeichnet hat, obwohl sie, äußerlich gesehen, mit Menschen eine gewisse Ähnlichkeit aufweisen, da sie der Schöpfergeist mit zwei Armen, zwei Beinen und einem Kopf versehen hat, was aber, wie ihr wisst, für das echte Menschsein gar keine Bedeutung hat, da sie wie Tiere faul, räuberisch, hinterhältig und von Natur aus böse sind, also den Tigern und Schakalen viel ähnlicher als der menschlichen Spezies.

Ihr könnt euch vorstellen, wie entsetzt ich war, als ich auf jedem dieser Bilder einen Ngumbubara entdeckte. Wie konnten sich diese Nicht-, diese Unmenschen in das Schloss einschleichen mitten in die ehrwürdige Familie des Barons? Da sieht man, so sagte ich mir, was für ein furchtbarer Schaden entsteht, wenn man die Augen vor dem Unterschied zwischen wahren Menschen und ihren falschen Imitationen verschließt. Was nützt die ganze Vorurteilsfreiheit, wenn sie uns dazu verführt, Tiger und Schakale wie die Ngumbubaras unter die echten Menschen zu reihen? Die Goldenberger sind in dieser Hinsicht erstaunlich naiv und unwissend. Ich finde es ja völlig richtig, ja sogar unbedingt notwendig, alle Menschen gleich zu werten und gleich zu behandeln, darin besteht der Fortschritt des Menschengeschlechts, aber wenn man die Nicht- und die Unmenschen zu dieser Kategorie hinzufügt, dann kann doch nur Verwirrung und Chaos entstehen! Das ist doch keine Logik, sondern der Beweis für defektes Denken, ich meine, für pure Unwissenheit! Ihr werdet mir beipflichten, liebes Komitee, dass wir in dieser Hinsicht viel weiter sind als die Eingeborenen Goldenbergs. Niemandem von uns ist es je eingefallen, die Ngumbubaras unter die Menschen zu zählen.

Nach dieser furchtbaren Entdeckung nahm ich mir vor, den Schandflecken auszumerzen, indem ich, wenn dazu die Aufforderung an mich ergeht, die leere Stelle neben Dogge oder Windhund mit einem echten Menschen ausfülle, also mit meiner Person.

Doch lasst mich jetzt wieder zurück zu Phebe und Luna kommen, die mich soeben entdecken und mit einem aufmunterndem Lächeln begrüßen, was mich so sehr in Entzücken versetzt, dass ich mich in Acht nehmen muss und meine Schritte behutsam setze, um die schweren Humpen auf dem Tablett nicht zu vergießen. Ich meine, in einem köstlichen Augenblick wie diesem und vor so wunderbaren Geschöpfen darf mir keine Unaufmerksamkeit unterlaufen. Übrigens ist es die mir von den beiden Feen auf Anhieb bezeugte Neigung, die es mir leicht gemacht hatte, auf Empfehlung des Apothekers ein weiteres Angebot anzunehmen: Auch auf Schloss Goldenberg hat man mir die Rolle eines offiziellen Mundschenks übertragen, das heißt immer dann, wenn dort Empfänge stattfinden. Das ist etwa alle zwei Wochen der Fall, und zu dieser Zeit bin ich dann von meinen Pflichten im Odysseus entbunden.

Für einen Zugereisten wie mich bedeutete das natürlich eine besondere Ehre, aber schon bald wurde daraus auch eine besondere Qual. Denn ihr müsst ja nicht glauben, dass mich dieser Aufstieg in den Dunstkreis des Adels von Goldenberg wirklich glücklich machte. Im Gegenteil, seit ich dort Mundschenk bin, leide ich an einer Melancholie, die mich mit schlaflosen Nächten und wirren Visionen peinigt, da ich die beiden himmlischen Schmetterlinge Phebe und Luna selbst dann nicht aus meinem Kopf zu scheuchen vermag, wenn ich am späten Abend - manchmal war Mitternacht schon vergangen - zurück in die kleine Mansarde schlich, die mir der Apotheker gleich nach meiner Ankunft überlassen hatte, zwei Stockwerke über den Verkaufsräumen gelegen und ein Stockwerk über seinem eigenen Labor, wo er mit geheimnisvollen Gläsern, Flaschen und Phiolen experimentiert. Über diese Melancholie, meinen derzeitigen Zustand, brauche ich mir keine Illusionen zu machen, umso weniger als ich weiß, dass ihr, hochwerter Ältestenrat, ohnehin alle Illusionen durchschaut. Eindeutig liegt ein Fall von Verliebtheit vor, die mich noch dazu in doppeltes Unglück stürzt, weil sie sich zu gleichen Teilen auf beide Schwestern erstreckt, eine Aufspaltung der Gefühle, die geradezu unvermeidlich ist, da die beiden einander so ähnlich sehen wie bekanntlich ein Ei dem anderen. Schon mehrfach habe ich Phebe mit Luna angeredet und umgekehrt Luna mit Phebe, wobei mich die jeweils Angesprochene mit einem klingenden Lachen belohnt, so schön, dass ich meinen Irrtum gern wiederhole - allein dieses Lachen verzaubert mich. Allein deswegen könnte ich sie immer von neuem miteinander verwechseln.

Diese zweifache Verliebtheit erfordert jedoch ihren Preis; ich meine, sie ist doppelt so aufreibend wie der gewöhnliche Fall einer einfachen Leidenschaft. Seit ich das Schloss besuche, habe ich um ganze fünf Kilogramm abgenommen und weiß nicht, wie lange ich dieser Prüfung noch standzuhalten vermag, sie droht, meine Kräfte immer mehr aufzuzehren, zumal ich zum ersten Mal nun auch an mir selber zweifle. Stimmt es denn, so frage ich mich, dass das matte Schokoladenbraun meiner Haut wirklich den Punkt Omega menschlicher Evolution bedeutet? Wenn ihr, hohe Auftraggeber, Luna und Phebe erblicken würdet, dann - so bin ich fest überzeugt - könntet selbst ihr euch eines solchen Zweifels nur schwer erwehren, denn die beiden Schwestern sind von einer rosenfarbenen Komplexion, ihre Haut ist nicht eigentlich weiß, geschweige denn kalkig, wie etwa die geschälten Teile in Bremmes Gesicht. Erinnerungen an die Milchprodukte, die gerade die Region hier um Goldenberg in großer Fülle hervorbringt, kommen bei dem Anblick der beiden Himmelswesen gar nicht erst in Betracht. Ihre Haut besteht aus durchsichtiger Seide, die aber ein feuriges, vulkanisches Rot, das Rot ihres Blutes, geheimnisvoll hindurchschimmern lässt.

Und ja, so muss es auch sein! Wenn es Engel gibt, so hat der Herr dieser Welt bei ihrer Erschaffung doch bestimmt nicht bei den Milchkühen nachgeschaut, sondern nahm Maß an den im frischen Tau rot glühenden Rosen, blickte auf die feurigen Zungen der Vulkane und vielleicht auch noch auf das Freudenrot der am Horizont aufsteigenden Morgensonne.

Jetzt wisst ihr, wie es um mich steht. Nehmt meine Selbstzweifel und mein übriges Betragen, und ihr wisst, was ihr davon zu halten habt. Ja, frei- und reumütig muss ich gestehen: Ich bin verliebt und verstoße dabei, wie mir natürlich deutlich bewusst, eindeutig gegen das Reglement. Ein Beobachter soll, so habt ihr mir eingeschärft, die ihm aufgetragene Arbeit stets mit Gleichmut verrichten - „sine ira et studio“, so nennen sie es hier. Emotional ganz und gar unbeteiligt soll er bleiben, darf sich niemals auf eine gefühlsmäßige Nähe mit den von ihm beobachteten Personen und Objekten einlassen. So lautet die Regel und euer Befehl. Ich weiß es und bin mir meines Vergehens schmerzhaft bewusst. Noch schlimmer wäre es aber, euch im Unklaren über meine Situation zu lassen oder sie gar zu verheimlichen. Ihr würdet mich doch durchschauen und unvermeidlich zur Rechenschaft ziehen.

Die Leiden des Schwarzen Peters

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