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Kampfbereit sitzen sich die Streithähne gegenüber

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Die verfeindeten Parteien sitzen nun also, vom Regen in die niedrige Gasthalle des Odysseus gescheucht, an ein und demselben Tisch zusammen, nur durch eine eichene Platte mit vielen Pierflecken von einander getrennt. Die Torbrück hat ihren Stuhl freilich demonstrativ an die Stirnseite gestellt, sodass sie sozusagen zwischen beiden Lagern zu sitzen kommt. Sie will auch jetzt wieder Brücken schlagen, darin hat sie stets ihre wichtigste Aufgabe erblickt, aber in Wirklichkeit sitzt sie, wie man in Goldenberg sagt, nur noch zwischen den Stühlen: Sie macht es niemandem mehr recht. Es nützt ihr auch gar nichts, dass sie die Stimme zu einem bemüht verbindlichen Tonfall erhebt und, abwechselnd nach links und nach rechts gewendet, ein klärendes Gespräch zwischen den beiden Parteien verlangt. Niemand geht auf den Vorschlag ein, es fehlt ihrer Kehle der metallische Klang und ihrer ganzen Person fehlen die drei Meter Höhe, die ihr eine unbestreitbare Übermacht verleihen, wenn sie oben auf ihrem Horst die Arme ausbreitet, ich meine, auf der Kanzel im großen Geisterhaus. Dort hat die Torbrück keinen Widerstand zu befürchten und schon gar keinen Einspruch, aber hier im Odysseus tritt sie als gewöhnliche Sterbliche in Erscheinung, deswegen hört niemand hin, als sie die Streithähne zu einem Gespräch auffordert, wobei sie sogar ihre Hände in beide Richtungen ausstreckt und mit der einen den Arm Bremmes und mit der anderen den Arm des Herrn Baron umfasst. Beide schauen ungerührt in die Luft, man beachtet die Gottesfrau nicht einmal.

Vielmehr murmelt Bürgermeister Bremme einige ganz leise Worte in seinen schauerlich dunklen Bart, Worte, die ich natürlich trotzdem höre; meinem scharfen Gehör entgeht eben nichts.

Da sackt doch die Erde ab!, sagt er. Ich habe diesen Ausspruch schon mehrfach von ihm gehört, ohne dass ich mir bis heute daraus einen Vers machen kann. Tautzig, die wandelnde Zigarre, richtet seinen Unmut hingegen direkt auf den Baron, dem er einen bösen Blick zuschleudert.

Den kriegen wir schon noch klein!, hatte er dem Gemeinderat nach der damaligen Sitzung in üblicher Selbstgewissheit verkündet. Seitdem würdigt ihn Herr von Kneek keines Blickes mehr. Sie sitzen sich am Tisch gegenüber, aber so, als wäre jeder für den anderen unsichtbar. Die Luft in der Halle ist dick, so dick, würde ich es nennen, dass man sie mühelos in rechteckige Würfel schneiden könnte. Das sieht wohl auch die Gottesfrau ein, denn plötzlich wird sie sich ihrer Ohnmacht bewusst, blickt verlegen an ihrem Körper hinunter, der ja in ein schlichtes Kleid von graublauer Farbe gehüllt ist, nicht in den schwarzen Talar, der ihr auf der Kanzel so viel Würde verleiht. Mit traurigem Gruß in beide Richtungen verabschiedet sie sich, der Regen ist zwischendurch abgeflaut. Draußen halten die Wolken den Himmel aber immer noch verdunkelt, während das Unwetter letzte Tropfen versprüht.

Ich stehe neben dem Tisch mit den beiden Parteien, der Order gewärtig, die mir der eine oder andere der Gäste erteilen würde, aber stattdessen blicken sie alle plötzlich zu mir herüber, nicht mit ihrem gewöhnlichen, stets freundlichen, sozusagen verzeihenden Blick, womit man mir hier bedeutet, dass man über den natürlichen Mangel meiner Person großzügig hinwegsieht, ich meine die Hautfarbe, die leider so gar nicht stimmt. Nein, diesmal drückt ihr Blick Ratlosigkeit, Unmut und schlecht verhohlenen Ärger aus.

Das Naturkind soll es richten!, diese Aufforderung lese ich in ihren Augen, denn es muss ja etwas geschehen, um die unerträgliche Spannung zu lindern, nur scheint eben niemand zu wissen, was da geschehen kann oder soll.

Da schlägt der bleiche Chemiker Saase in plötzlicher Eingebung mit der Faust auf den Tisch.

Musik!, ruft er, wir brauchen Musik!

Die Gesichter entspannen sich auf der Stelle, auch Dönnewat nickt, und der Apotheker Julius flüstert: Gewiss doch, Musik, die tut allen gut, die hat medizinische Wirkungen. Der ganze Tisch ist sich in diesem Augenblick einig, was doch überaus merkwürdig ist, da die Anwesenden keineswegs ein spirituelles Bedürfnis nach den Wonnen der Kunst beseelt, nein, sie sind sich nur darin einig, die Musik für einen offenkundigen Zweck zu missbrauchen: Die Musik soll sie daran hindern, sich gegenseitig über den langen Tisch mit Frechheiten zu bewerfen!

Saases Aufforderung betrachte ich als einen Befehl, springe unverzüglich hinter die Theke und drücke auf den Knopf des Verstärkers, der nun seinerseits keinen Moment damit zögert, das ganze Odysseus auf Anhieb mit wüstem Geplärr und einfältigem BumBum zu erfüllen.

Ihr habt richtig gehört. Ich sage BumBum und gebrauche das Wort mit voller Absicht, denn um es einmal geradeheraus zu sagen, ist mir diese Art von primitivem Lärm geradezu verhasst, ich kann überhaupt nicht verstehen, dass zivilisierte Menschen dieses gleichmäßige, meine Ohren zutiefst beleidigende Hämmern überhaupt zu ertragen vermögen. Oder, richtiger gesagt, ich habe es erst später verstanden, nachdem ich auf Einladung Tautzigs dessen Fabrik besuchte. Dort habe ich nämlich genau das gleiche Hämmern und Schlagen gehört: Es kommt von den Maschinen, die dort Tag und Nacht, vierundzwanzig Stunden lang in einem fort rattern und bumsen. Womit dann natürlich die ganze schreckliche Eigenart dieses Getöses leicht zu erklären ist: Den armen Leuten, welche dort schuften müssen, dringt das ständige Maschinengehämmer mit der Zeit so in das Neuronengestrüpp ihrer Hirne, dass es daraus nicht mehr zu entfernen ist. Sie sind dann auf das BumBum bis an ihr Lebensende geeicht und wollen auch in ihrer freien Zeit nichts anderes mehr hören.

Also, das ist nun genau die Art von Musik, welche in diesem Augenblick aus den Lautsprechern des Odysseus dröhnt und auf Saases und Tautzigs Gesicht ein zufriedenes Lächeln hervorlockt.

Die armen Teufel, denke ich, die sind leider nichts Besseres gewöhnt. Der Baron allerdings und ebenso Dönnewat und Julius, der Apotheker, sind sehr viel Besseres gewöhnt, das weiß ich, denn oben im Schloss habe ich eine ganz andere Musik kennengelernt, eine Sphärenmusik, so möchte ich sie nennen. Oben im Schloss, da spielt Luna die Laute, und Phebe begleitet sie auf der Flöte. Es kommt mir jedes Mal wie ein Wunder vor: Diese Musik berührt mein Herz so sehr, dass mir manchmal die Tränen kommen.

Nein, es ist nicht, wie ihr vielleicht denkt, wegen der beiden Schönen, obwohl deren Anblick mich natürlich besonders entzückt. Es ist wirklich die Musik von Laute und Flöte, die auch der Apotheker besonders liebt, denn zu Hause in seinem Labor lässt er manchmal das Gerät mit den Schallplatten laufen - dann höre ich die Sphärentöne noch bis hinauf zu meiner Mansarde.

Ich sollte euch bei dieser Gelegenheit vielleicht meine Meinung sagen, dass es „den Goldenberger“ einfach nicht gibt, obwohl das für meinen Bericht und eure Information natürlich viel einfacher wäre. Es gibt einmal die Goldenberger, die bei Tautzig und in anderen Fabriken dem BumBum der Maschinen ausgesetzt sind und deshalb auch diese furchtbare BumBum-Musik lieben - das sind die Primitiven, wie ich sie hier einmal nennen möchte. Aber dann gibt es noch einen zweiten Menschenschlag, ich meine die Zivilisierten, wozu die Bewohner der Schlosses, die beiden Lehrer, die Frau Pastor, aber ebenso Knirzbein und seltsamerweise sogar der Journalist Spinnebeck gehören.

Nun ja, das ist meine bisherige Theorie, ihr könnt davon halten, was ihr wollt, eines ist aber leider ganz unbestreitbar: Hier im Odysseus herrschen andere Töne, da hat die zivilisierte Musik keinen Platz, ich nehme an, sie passt nicht zu Pier, dem flachsblonden Weib, und schon gar nicht zu Tautzig und Bremme, die hier nun einmal den Ton angeben, wonach sich Hilda, meine Chefin, natürlich richtet. Also gibt es an meinem Arbeitsplatz leider nur das donnernde BumBum, das man noch in hundert Metern Entfernung bis zum Ententeich hören kann.

Die Leiden des Schwarzen Peters

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