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Romanows

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Dabei schien es tüchtig aufwärtszugehen. Denn die halbe Welt strömte jetzt nach Berlin. Es wimmelte von Kriegskrüppeln und heimatlosen Soldaten, die nach und nach aus den Lazaretten oder aus Gefangenschaft und den Lazaretten entlassen wurden, von Russen, die alle irgendwie mit dem Zaren verwandt waren, von Landpomeranzen und schnieken Amerikanern.

Die Russen, das waren in Hennis Kaserne zwei Schwestern mit ihrem scheintoten Großonkel. Die Schwestern, selbst schon halb über den Jordan, waren vor der Revolution angeblich Schneiderinnen am Hof der Zarin gewesen, der Großonkel gar Minister. Sie zogen mit Truhen voller mottenzerfressener Pelze, Perücken und viel Brokat ein: Kissen aus Brokat, Hüte aus Brokat, Schuhe aus Brokat. Das meiste speckig und fleckig, weil sie aber behaupteten, an den Sachen klebe das Blut der Zarenfamilie, und auch haarklein von der Hinrichtung jedes einzelnen Sprosses der Zarenfamilie erzählen konnten, kriegten sie die Sachen doch los, vor allem an die Amis.

Die Schwestern nannte man Anna und Olga, den Großonkel Herrn Schirjajew, und Henni wurde mit ihnen bekannt, weil Mitzi Stresemann sich bei den Russinnen ihre Schleier schneidern ließ und auch für Henni ein Kostüm in Auftrag gab: ein keckes Trikot aus Crêpe Georgette mit Kapuze und Mäuseohren, was Henni das gewisse Etwas gab, das alle sehr bewunderten. Niemand jedoch fasste es so schön in Worte wie Demi-Castor Julia Zeiss: »Henni Binneweis ist fortan unser Cherub«, sagte sie, »ein Engelswesen, halb Tier, halb Mensch, das uns dereinst erlösen wird, wenn wir für unsere Ferkeleien in der Hölle braten.« Dafür fiel Henni ihr um den Hals, und Julia Zeiss küsste sie doch glatt, vor allen und mit Zunge, sodass Henni nochmals ganz anders wurde und sie für ein Weilchen fast verliebt war in Julia Zeiss.

Und weil die Crêpe Georgette andauernd riss, saß Henni oft bei Anna und Olga im Souterrain im vierten Hinterhaus und ließ sich in ihrem herrlich verwickelten Deutsch erzählen, wer wen wie in Russland in den letzten zwei Jahren verraten und beerbt oder verschleppt und ausgehungert und vergewaltigt hatte und danach erschossen, vergiftet, erstochen oder bei lebendigem Leib verbrannt und danach verbuddelt, gehäutet oder in Säure gebadet. Es waren alles Menschen mit wunderbaren, unaussprechlichen Namen und angeblich nur den vorzüglichsten Eigenschaften, einer reizender, großherziger, bezaubernder als der Nächste, jedermann unendlich bedauernswert in der einen Geschichte – »armes Häschen«, riefen die Schwestern dann in seltener Einmütigkeit im Chor und fuchtelten mit dem zerkratzten Lorgnon, und Herr Schirjajew brummte dazu und sabberte braunen Kautabaksaft – und ein kaltherziger Meuchler in der nächsten, ein Jud, nicht wert, noch namentlich genannt zu werden. Darüber stritten die beiden sich auch pausenlos, wobei sie einander weiter liebevoll Anjenka und Oljenka nannten, denn was sie erzählten, waren ja alles Gerüchte. Tatsache war nur, die Menschen waren fort und verschwunden – wie und warum, erzählte jeder Russe anders.

Außerdem lernte Henni von Anna und Olga kochen mit nun aber wirklich gar nichts, darin waren sie noch gewiefter als Mama Binneweis. Aus Wurstpelle, Kartoffelpelle, Binsen und Simsen, die sie am Spreeufer pflückten, dort, wo es matschig war, dazu einem Löffel Riemenfett, kochten sie ein Süppchen, das Henni besser schmeckte als ein paar Jahre später im Westen Rumpsteak flambé und Spargelsalat.

Die heilige Henni der Hinterhöfe

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