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Mobilmachung

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Die kam erst, als Kaiser Wilhelm den Serben den Krieg erklärte. Am nächsten Tag schon wurde mobilgemacht, und halb Berlin rannte zum Schloss, um ihm zuzujubeln, und der Kaiser hielt vom Balkon herab eine Rede. Binneweisens kamen zu spät, aber Justus Karnerich erzählte ihnen, dass der Kaiser von seiner verkrüppelten Linken einen Tennisschläger hatte baumeln lassen, ganz so, als wollte er die Serben damit persönlich verkloppen, das fand Henni wieder herrlich. Und alle sangen »Die Wacht am Rhein« und schrien: »Schlagt die Serben!« Als Binneweisens nach Hause kamen, begegneten sie der Professorengattin Hein, die mit ihrem Mann in der Beletage im Vorderhaus wohnte und der Henni öfters für einen Groschen den Dackel Gassi führte, und die fand: »Nun sollen unsere Männer dieses Pack mal tüchtig Mores lehren«, obwohl ihr Mann niemanden mehr Mores lehrte, denn der war bestimmt schon über sechzig und damit raus aus dem Alter, in dem man durch Schützengräben robbt.

Sonst wurde aber auch in ihrer Mietskaserne auf Teufel komm raus mobilisiert. Die Salomons aus dem ersten Hinterhaus schickten gleich drei Söhne los, der mittlere, Adolf, wurde davor noch schnell kriegsgetraut, das ging, weil Krieg war, ohne Aufgebot und alles. »Passiert mir was, kriegt mein Schnorrchen immerhin Rente«, hatte er erklärt. So was wurde zwar nicht gern gehört, da doch alle wussten, in zwei Wochen war der Krieg vorbei, aber getraut wurde er doch (und Schnorrchen bekam später auch die Rente). Bestimmt fünfzig Männer marschierten ein, die meisten freiwillig, sodass schließlich fast alle Familien ihren Soldaten hatten. Nicht jeden nahmen sie mit Kusshand, der Frisör Michel Pavellek mit seinem verkürzten Bein wurde in Berlin abgewiesen und musste vier Garnisonen im Umland abklappern, bis eine ihn nahm. Fuhrmann Meisel dagegen durfte sogar seine Pferde mitnehmen und bekam dafür noch tausend Mark. Nur eben Professor Hein war zu alt für den Krieg, und leider rückte auch Hennis Vater nicht ein. Er bekleide auf der Post eine kriegswichtige Position, sagte er, als sie vom Kaiser zurück waren und noch ein spätes Abendbrot verdrückten, und das mochte schon stimmen, aber peinlich war es Henni und Kuddl doch. Auch Mama benahm sich nicht schön, sie hatte gleich Zucker, Reis, Schmalz, Mehl, Grieß und Graupen für ein ganzes Jahr gehamstert und hätte noch mehr eingekauft, hätte Kaufmann Wisniewski ihr nicht für den Rest der Woche Ladenverbot erteilt, dazu schimpfte er sie ein »pessimistisches Element« und hatte recht damit. Kuddl jedenfalls wäre sofort an die Front, mit seinen knapp dreizehn Jahren durfte er natürlich noch nicht. Für die nationale Sache konnte er vorerst nichts weiter tun, als am nächsten Morgen früh um halb sechs dem Schuster Klapp den Pappkoffer an den Bahnhof zu tragen.

Dort erfuhr er auch, dass alle zivilen Reisen gestrichen waren. Sonst fuhren die Binneweisens im August immer nach Plön, wo Hennis Halbschwestern lebten, die Zwillinge Emma und Ella. Zu fünft oder sechst, je nachdem, ob Mama mitkam, quetschten sie sich in ein Fischerhäuschen an einem der Plöner Seen, das Onkel Albrecht gehörte, und Henni schlief wahlweise unterm Waschtrog oder draußen auf der Veranda, wo es von Mücken wimmelte. So war sie dem Kaiser für den Krieg gleich doppelt dankbar. Und Kuddl hatte noch was zu erzählen: Sonderbarerweise fuhren nämlich die Soldatenzüge gar nicht ostwärts nach Serbien, sondern erst hörte er, die Front sei in Russland, dann hieß es Frankreich. Tatsächlich eroberten die deutschen Soldaten an dem Tag aber Luxemburg und Belgien, was wiederum gar nicht weit von Plön lag, da hätten sie glatt mitfahren können. Was Luxemburg mit den Serben und Herzogin Sophie zu tun hatte, hatte Kuddl niemand erklärt, und auch Henni fand den lieben langen Tag keinen, der es ihr erklären konnte, nicht mal Papa wusste Bescheid. Aber sie beschloss dann für sich, dass der Kaiser schon das Richtige tat und einfach besonders raffiniert war.

Die heilige Henni der Hinterhöfe

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