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Suppe

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Henni hatte auch sonst kein glückliches Händchen, wenn es darum ging, anderen zu helfen. Die Heins waren so ein Beispiel. Gleich nach Kriegsende war Professor Hein einer der Männer in Gehrock und Zylinder gewesen, die dachten, sie könnten sich in die neue Zeit retten, indem sie den Kaiser verabschiedeten und die Republik ausriefen. Aber dann hatten die Ereignisse den Guten überrollt, und er verlor erst die »Contenance«, wie die Frau Professor es ausdrückte, dann seine Ämter, und bald verramschten die Heins ihr Familiensilber – unerklärlich viel Familiensilber, bis aufflog, dass die halbe Berliner Unterwelt den Heins ihr Klaugut brachte und die es weiter verhökerten. Professor Hein wurde vor Gericht gestellt und wäre nach Tegel und hinter Gitter gekommen, hätte er es nicht seit dem Kohlrübenwinter 17 arg auf der Lunge gehabt. Weil andere Herren mit Zylinder für ihn bürgten, durfte er seinen Arrest zu Hause absitzen.

Bis dahin war die Geschichte allgemein bekannt, die Zeitungen hatten darüber berichtet, danach sprach es sich rum. Auch Henni erfuhr es so, denn den Dackel der Frau Professor führte sie schon länger nicht mehr Gassi. Das besorgte die inzwischen selber, und fast immer rief Fuhrmann Meisel ihr nach: »Führnse wieder diese spillrige Suppeneinlage spaziern?«, worauf die Frau Professor ihren dünnen, langen Hals reckte und zurückrief: »Der Hund ist ebenso ein Geschöpf Gottes, Herr Meisel, wie Sie und Ihre Pferde.«

Henni kriegte das mit, weil sie Fuhrmann Meisel morgens half, die Pferde zu striegeln, dafür bekam sie dann die Wolle, und Mama Binneweis machte daraus Filzpantoffeln. Dann kam Frau Professor eines Morgens ohne ihre Winnie aus dem Haus, und Fuhrmann Meisel sagte nüscht.

Auch am zweiten Morgen kam sie ohne, diesmal rief Henni ihr nach: »Frau Professor, nun sagen Sie nicht, Winnie ist krank, sie war doch vor zwei Tagen noch so fröhlich.« Worauf die Frau Professor wie angeschossen losheulte.

Und Fuhrmann Meisel feixte: »Wat heißt da krank? Jekocht hat se den Dackel! Hätte icke ja schon längst.«

Worauf die Frau Professor schluchzte: »Nur sind Sie nicht so in Not, Herr Meisel!« Dann rannte sie zurück ins Haus und ging nie mehr durch den Hof nach draußen, sondern immer nur vorne.

Was danach kam, hörte Henni auch wieder nur hintenrum, diesmal von Anna Köchel. Die wiederum hatte es von ihrer Kundschaft – die eben nicht mehr nur die ihre war. Denn offensichtlich waren die Heins, nachdem Winnie gekocht und alles Mobiliar außer einer Matratze, einem Tisch, zwei Stühlen und dem Waschtisch verkauft oder beschlagnahmt war, auf die Idee verfallen, Frau Heins Großnichte aus Rostock herzuholen, ein unverwüstlich fröhliches Ding von vierzehn Jahren mit Schraubenlocken, das Alexandra hieß und Lexi gerufen wurde. Die kam übrigens auch nie in den Hof, sondern saß im Fenster zur Straße raus und machte Faxen, miezte mit den streunenden Katzen, rief den Passanten Komplimente zu und flachste mit ihnen. Währenddessen schaltete Frau Professor allerhand Annoncen, mit denen sie Ausländer oder sonst wie Zugereiste in die Wohnung lockte: Mietangebote, Sprachkurse, Stellen- und Freizeitinserate. Alles auf gehobenem Niveau. Und kamen die Herrschaften dann, sagte sie ganz nebenbei: »Ach, da wir hier gerade so gemütlich plauschen, möchten Sie nicht unsere Nichte tanzen sehen?« Ehe die Herrschaft piep sagen konnte, kam Lexi herein gehüpft, zog sich zwitschernd aus und sprang der Herrschaft auf den Schoß. Die Frau Professor goss derweil Eichelkaffee nach und versprach: »Gegen kleines Entgelt erhalten Sie gern mehr, Herr Soundso, man lebt ja nur einmal, n’est-ce pas? Auch ich habe einiges zu bieten, mein Mann ist ebenfalls nicht ohne. Wenn Sie also möchten, tummeln wir uns alle viere nackt, wie Gott uns schuf, ein Weilchen auf dem Plumeau.«

Anna Köchel fand das zum Totlachen, Henni dagegen wurde ganz traurig, weil sie die Frau Professor gern mochte und sich vorstellen konnte, wie es dabei in ihr drinnen aussah.

Deshalb erzählte sie auch Kuddl davon, und das war eben der Fehler. »Mensch, Kuddl«, fragte sie, »kann man denen nicht irgendwie helfen?«

Denn Kuddl lachte sich auch halb tot und erzählte es seinen Kumpels in der Abendschule weiter, ein paar hatten beim Herrn Professor studiert. Einen von denen hatte der Herr Professor bei einem Examen durchsausen lassen, und der witterte nun Rache. Als Türke verkleidet besuchte er die Heins, brachte eine Fotokamera mit und bot ein Extrageld für Nacktbilder, die er danach unter den Kommilitonen verkaufte. Das war das endgültige Ende der Heins. Sie setzten Lexi wieder in den Zug nach Rostock und schluckten zwei Röhrchen Veronal. Für den Fall, dass das nicht genügte, knieten sie sich hinter ihre letzten beiden Stühle nieder, nachdem sie die Leibbinde des Herrn Professor in zwei Stücke geschnitten hatten, banden sich jeder das eine Ende um den Hals und das andere an der Stuhllehne fest, damit sie beim Einpennen gleich noch stranguliert wurden.

»Auf Ideen kömmt der Mensch!«, schloss Justus Karnerich, der Henni die Schose brühwarm erzählte.

Danach war die Parterrewohnung eine Weile lang polizeilich versiegelt, und immer, wenn Henni vorbeiging, dachte sie an die Zeit zurück, als Frau Hein die unzivilisierten Serben noch hatte Mores lehren wollen. Keine sechs Jahre war das her, und als Kuddl ihr vorlas, was die BZ am Abend über die Heins berichtete, weinte sie etwas. Aber natürlich hatte Kuddl recht, als er fand, alte Zöpfe gehörten abgeschnitten, und Leute wie die Heins passten nun mal nicht mehr in diese Welt.

»Ja«, sagte sie selber, »vermutlich ist es sogar ein Segen, dass wir den Krieg verloren haben. Früher, unterm Kaiser, was muss es da popelig gewesen sein!«

Die heilige Henni der Hinterhöfe

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