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Melken

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Henni wollte den dreien nach und rannte auf dem Treppenabsatz in Hanny, die hatte noch im Hof kehrtgemacht. Vor den anderen Mädels hätte sie sich ja geniert, sagte sie mit hochrotem Kopf, aber eigentlich hatte sie sich noch gar nicht sattgesehen.

Und ohne ihre Freundinnen blühte Hanny so richtig auf. Erst tanzte sie ganz ungefragt mit Henni um Mitzi Stresemann herum und half die Schleier fangen. Dafür durfte sie zusehen, als Mitzi mit einem der Herren im Zimmer verschwand, und danach glühte sie so reizend, dass sie noch vor ein Uhr die ersten beiden Freier hatte. Das beeindruckte sogar Anna Köchel, sie gab einen Toast auf Henni aus und erkor sie feierlich zur geborenen Kupplerin.

Als Henni auch noch verriet, dass Hanny richtig echt melken könne, und Hanny übermütig rief: »Die Henni kann das aber auch!«, ging es erst richtig rund, denn Anna Köchel arrangierte daraus gleich ein Sonderprogramm. Bis morgens um viere saßen Hanny und Henni breitbeinig auf dem Sofa und molken der Reihe nach alle anwesenden Herrschaften, manche gleich zwei- oder dreimal.

So kam Henni zu ihrem ersten »Fleischkontakt« und ihrem ersten selbstverdienten Geld (abgesehen von den Dackelgroschen und ein paar Trinkgeldern fürs Zusehen). Hanny war von da an Teil der Familie, und weil Anna Köchel neuerdings ein Sonntagsfrühstück anbot, zu dem sie Anita Berbers Frühstücks-Elixier reichte, was Chloroform und noch was auf echte Rosenblütenblätter geträufelt war, dazu gab es Opium in Pfeifen und Morphiumzäpfchen, die man sich gegenseitig verehrte, und weil Hanny Landei natürlich an dem Morgen besonders viel verehrt wurde, war sie auch gleich so süchtig, dass sie das nächste Wochenende kaum erwarten konnte.

Henni war schon früher zurück unter ihrer Treppe. Ausschlafen war dort sowieso nicht, und zu Binneweisens Sonntagsspaziergang wollte sie auch nicht zu gerädert erscheinen.

Sie spazierten an der Spree entlang, weil endlich mal die Sonne schien und man dort am meisten davon abbekam, und Henni war noch immer guter Laune, weil sie am Abend davor doch viel Gutes getan hatte.

Als sie zurück in die Mietskaserne kam, wartete eine heulende Hanny auf sie und erzählte, dass ihre schöne Busenfreundschaft mit Fanny und Tilly in die Binsen gegangen war. Tilly war nach dem Rausschmiss bei der Köchel nur noch schnell bei Schuster Knapp vorbei, um ihr Köfferchen und den rollbaren Hühnerkäfig zu holen, danach war sie mitten in der Nacht zum Bahnhof, um den ersten Zug nach Lüneburg zu kriegen, ohne jedes Geld. Fanny hatte vergeblich versucht, sie aufzuhalten, und danach die ganze Nacht auf Hanny gewartet, die einfach nicht kam. Als Hanny um elf Uhr mittags dann endlich quietschfidel und beduselt in die Kammer trat, platzte Fanny vor lauter Sorge und aufgestautem Ärger und schrie sie nicht nur an, sondern biss sie und riss sie am Zopf (den hatte Hanny sich zum Melken wieder geflochten, damit ihr die Haare nicht in den Weg kamen, und die Herrschaften hatten es geliebt, sich daran festzuhalten). Hanny redete sich damit heraus, dass sie es nun mal nicht aushielt, bei Anna Köchel wegen des Kostüms in der Kreide zu stehen. Das immerhin verstand Fanny. Sie meinte sogar, eigentlich hätte es sie ja auch gereizt zu sehen, was man mit einem Kerl so alles anstellen könnte, wenn man mal die Scham beiseiteließ, und hätte die Tilly nicht so geheult, hätte sie auch mitgemacht. Worauf Hanny sagte: »Ja, aber das ist ja wonnebar«, und vorschlug, Fanny solle am andern Wochenende mit ihr und Henni zu Anna Köchels Schönheitsabend kommen, dann wären sie wieder zu dritt, und mit Henni könne man herrlich schweinigeln. Fanny fand es allerdings keine Art, wie die Köchel sie behandelt hatte, und dachte nicht daran, der auch noch Prozente abzugeben, sondern wollte sich auf eigene Faust verkaufen und erwartete von Hanny, dass sie mit von der Partie war. Hanny wiederum gefiel es in Anna Köchels Vorderhaus viel zu gut, und sie zerstritten sich gleich wieder, mit dem Resultat, dass Fanny ihr die Freundschaft kündigte. Und jetzt teilten sie zwar notgedrungen noch das Bett, aber Fanny hatte quer durchs Zimmer mit Kohle einen Strich gezogen, sogar mitten durchs Bett, und bewohnte jetzt die linke und Hanny die rechte Hälfte, und wenn Hanny zur Tür wollte, die in Fannys Hälfte lag, musste sie anklopfen und bitte schön sagen, und das war überhaupt das Einzige, was sie noch redeten.

Henni tat das alles furchtbar leid, trotzdem fiel ihr dazu nichts weiter zu sagen ein als: »Nu, nu, das wird schon wieder«, und: »Das Jesulein …«

Leider wurde es überhaupt nicht wieder. Inzwischen hingen an allen Ecken Plakate der Gesundheitsbehörde: »Berlin, halt ein, besinn dich, dein Tänzer ist der Tod!« Dafür hatte die Berliner Regierung das allgemeine Tanzverbot wieder aufgehoben, und Fanny – die sich auch weiterhin so nannte und nach Tillys Abreise mindestens so enthemmt war wie Hanny – rekrutierte ihre Männer auf den öffentlichen Bällen. Dabei holte sie sich gleich den Tripper, angelte sich aber auch einen sogenannten Onkel, älteres Semester, hochspendabel und kauzig, spazierte im sonnigen Mai mit Pelzkragen durch die Kastanienallee und zog denn auch bei Schuster Klapp aus, ohne sich mit Hanny versöhnt zu haben.

Selbst von Henni verabschiedete sie sich nur, weil sie sich zufällig noch einmal über den Weg liefen. »Ick bin dann besser mal weg, bevor meene Olln mich finden«, sagte Fanny schon ganz berlinerisch, und als Henni sich wunderte, dass das nicht längst passiert war, weil Tilly sie doch sicher verpfiffen hatte, lachte Fanny schmutzig und sagte: »Die Minna ist doch zu doof, um sich ne Anschrift zu merken. Außerdem wird sie froh sein, dass sie mit dem einen blauen Auge vom Ziegendieb davongekommen ist, und sich von uns kein zweites holen wollen.«

Tatsächlich hatte Minna sich nie gemerkt, in welcher Straße die Mietskaserne lag, sondern war Berta und Auguste immer nur nachgetrottet, was sich zeigte, als Hanny Landei in Lüneburg anrief. Das war auch wieder Hennis Idee gewesen, denn Hanny war chronisch pleite und inzwischen gehörig verschuldet. Was sie bei Anna Köchel verdiente, wurde gar nicht mehr ausbezahlt, sondern verrechnet, Anita Berbers Frühstücks-Elixier gab es ja nicht gratis, auch nicht für Anna Köchels Mädchen. Beim Schuster Klapp wohnte Hanny noch gegen Naturalien, aber das wollte der sich auch nicht ewig leisten, und Henni schlug ihr vor, von Anna Köchels Fernsprechapparat aus in die Lüneburger Heide zu telefonieren und den Herrn Papa um Unterstützung zu bitten.

»Sag, du hast ne tolle Chance, dich hier zur Herrenschneiderin ausbilden zu lassen, und brauchst die Penunse für eine eigene Nähmaschine. Will er Referenzen, reichst du ihn an mich weiter. Ich erzähl ihm was von Sakkos und Tuxedos und Jägerjoppen und Gabardinejacketts, bis ihm ganz blümerant wird.«

Das tat Hanny Landei. Sie erreichte den Papa in seiner Eisenwarenhandlung, kam aber gar nicht zu Wort (und Henni sowieso nicht), weil er gleich loswetterte, er hätte Hanny, nein, Auguste schon längst am Kragen oder an den Haaren zurück nach Lüneburg geschleppt, hätte er sie nur gefunden. Gleich zu dritt waren sie nach Berlin gereist, Fannys Vater, ihr Bruder und er. Aber Tilly hatte ihnen nur mit auf den Weg geben können, dass die ausbeuterische Hexe Anna Köchel hieß, und die war nicht registriert. Das kam daher, dass »Köchel« ihr Mädchen- und Künstlername war, während die Wohnung und der Fernsprechanschluss noch auf ihren Gatten selig liefen, und der hatte Huber geheißen und war anno 15 an der Italienfront im Gebirgskrieg gefallen.

Nachdem Hannys Vater sich am Telefon ausgetobt hatte, fragte er dann doch noch: »Von wo aus rufst du denn an?«, und Hanny war so blöd zu sagen: »Na, von Anna Köchel, und die ist ganz und gar keine Hexe!«

Worauf ihr Vater rief: »Ha, dann hab ich dich jetzt.«

Denn natürlich fragte er beim Amt an, auf wen der Anschluss registriert war, und tauchte am anderen Morgen bei der Köchel auf, um gehörig Rabatz zu machen.

Hanny hatte sich allerdings nach ihrem Lapsus dünnegemacht, und Henni durfte für sie Anna Köchels ramponierte Wohnungstür bezahlen, weil sie die dumme Idee mit dem Telefonat gehabt hatte.

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