Читать книгу Die heilige Henni der Hinterhöfe - Tim Krohn - Страница 14
Landeier
ОглавлениеIm Frühjahr 20 zogen dann drei Busenfreundinnen aus der Lüneburger Heide ein, die Henni richtig ins Herz schloss, die aber leider zu blöd für die Stadt waren und nicht lange blieben. Minna, Auguste und Bertha waren Ausreißerinnen, die hofften, in Berlin ihr Glück zu machen. Sie kamen mit einer Ziege und drei Hühnern im Gepäck, weil sie offiziell zu einem Schullager an der Ostsee unterwegs waren und Minnas Papa, der Kleinbauer war, gefürchtet hatte, sie müssten dort Hunger leiden. In Kühlungsborn, dort unterhielt ihr Dorf mit ein paar anderen Dörfern nämlich ein Ferienheim. Im Übermut hatten sie beim Umsteigen in Rostock die Fahrkarten getauscht, den Zug in Richtung Wittenberg bestiegen und sich eingebildet, sie könnten dieses Berlin im Vorbeimarsch erobern. Sie waren wie Henni sechzehn und stotterten vor Aufregung, dass sie es tatsächlich nach Berlin geschafft hatten. Henni führte sie in den ersten Tagen ein bisschen rum, zeigte ihnen das Schloss, das Brandenburger Tor, das KaDeWe und wie man die U-Bahn benutzte dafür lernte sie melken.
Die Ziege hatten die Mädels allerdings nicht lange. Die Hühner, für deren Gehege Henni Justus Karnerich mobilisiert hatte, kamen schon in der ersten Nacht weg. Danach hielten sie die Ziege auf dem Dachboden (die drei wohnten zur Untermiete bei Schuster Klapp, im selben Schlag, in dem einst Hendrik »Eene hab ick ja noch« gewohnt hatte), eines der Mädels schlief immer bei ihr und bewachte sie. Doch so eine Ziege ist nun mal weitherum zu hören und zu riechen, und als Minna in der fünften Nacht Wache schob, bekam sie Besuch von unbekannt. Noch im Schlaf fing sie sich eine satte Ohrfeige ein und fasste sich erst, als die Ziege schon meckernd durch die Dachluke geflogen und mit dumpfem Krachen im Hof gelandet war. Als die Lüneburger Mädels im Morgengrauen endlich wagten nachzusehen, brutzelte sie sicher schon in einer Pfanne. Nur der Blutfleck war noch eine Weile zu sehen.
Danach wären sie am liebsten gleich wieder nach Hause, denn auch sonst kamen sie mit dem Stadtleben schlecht zurecht. Sie verstanden die Berliner Schnauze nicht, und wenn sie um Arbeit anstanden, waren sie viel zu langsam, zu höflich und zu scheu. Doch das Geld für die Rückfahrt hatten sie Schuster Klapp gegeben, und den Eltern zu schreiben, trauten sie sich nicht, denn offiziell waren sie ja zur Erholung an der Ostsee. Dass sie stattdessen einen verregneten April lang in einem dritten Hinterhof am Prenzlberg zur Untermiete hockten, ohne Ofen, ohne Geld, ohne Ziege und Hühner, ohne Arbeit oder auch nur ein wenig Hoffnung, schüttelte sie heftig, und keine wollte schuld gewesen sein. Da half es wenig, dass Henni prahlte, wie knafte ihr Berlin war, hatte man sich erst an ein paar Dinge gewöhnt, und sich allerhand Mühe gab, sie auf den Geschmack zu bringen.
In ihrem Mitleid nahm sie sie schließlich mit zu Anna Köchel. »Wenn ihr da keinen Spaß kriegt, weiß ich auch nicht. Und selbst wenn nicht, die Asche für die Heimfahrt verdient ihr da mit einem Wackler mit dem Hintern.«
So hielten Minna, Berta und Auguste durch, bis Anna Köchel von einer Reise zu ihrem Patenkind nach Travemünde zurück war, und an einem Freitagmittag ließen sie sich präsentieren.
»Ach Gottchen, was bringste denn da«, rief Anna Köchel erst nur, denn Landeier waren bei der Kundschaft wenig gefragt. Henni zuliebe fasste sie sich dann aber ein Herz, taufte die Mädels um in Hanny, Fanny und Tilly, schickte sie zu Anna und Olga, dass die ihnen etwas Schmissiges nähten (streng verbrieft auf Kredit), und versprach, sie ihren Gästen am anderen Abend anzudienen. Henni war begeistert, begleitete die drei zu Anna und Olga, und während Maß genommen wurde, brachte sie den Mädchen noch ein paar praktische Sätze bei wie: »Ohne Moos nüscht los«, »Kommste rin, kannste rauskieken«, oder: »Eenmal Küche ausjefeecht macht schlappe Fünfe, für Zehne mach ick mich noch nackich.«
Anna und Olga hatten ihnen aus »loser Raschelware«, wie sie eine olle Gardine nannten, hübsche Schlupfblusen genäht, deren Saum haarscharf dort lag, wo das Bein aufhörte und die Lüneburger Heide zu sprießen begann. Anna Köchel befahl ihnen, die Zöpfe aufzudröseln, rieb ihnen die Backen rot und drapierte sie direkt unterm Lüster auf dem Sofa. Sie sahen richtig süß aus, Henni war tüchtig stolz und überzeugt davon, dass sie Anna Köchel einen Renner beschert hatte. Allerdings futterten Hanny, Fanny und Tilly, noch ehe die Gäste eintrudelten, alle Mettwurst-Schnittchen weg. Danach hockten sie wie die Hühner auf der Stange steif und aneinandergepresst auf der Sofakante, kriegten den Schnabel nicht auf, wenn ein Herr sie ansprach, und Tilly fing auch noch an zu heulen. Anna Köchel bot die Lüneburger Mädels vier Stunden lang wie sauer Bier an, um Mitternacht ertrug sie ihre langen Gesichter dann nicht mehr und jagte sie in ihren Schlupfblusen davon.