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Spione

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Kuddl war lange am Bahnhof geblieben, denn dort gab es viel zu sehen. Der Bahnhof war gerammelt voll mit Wehrpflichtigen, dazu kamen allerhand Truppen auf Durchreise, die in Baracken verpflegt wurden, ehe sie weiterfuhren, und Tausende Schaulustige, die »Hurra« und »Deutschland« brüllten. Die Züge waren bemalt und beschrieben wie für einen Kinderumzug, und die Soldaten in den Fenstern winkten und machten flotte Sprüche. Landsturmleute und Bahnbeamte mit Gewehr bewachten die Bahnsteige, damit kein Spion eine Bombe legte oder eine Achse ansägte. Sah jemand zu fremdländisch aus, wurde er von den Leuten verprügelt und vom Landsturm hopsgenommen, denn man durfte kein Risiko eingehen.

Das brachte Kuddl auf die Idee, sie könnten auch in der Mietskaserne auf Jagd nach Spionen gehen, bei ihnen wohnte ja eine ganze Reihe Ausländer. Die meisten waren in den Tagen davor aufs Amt zitiert worden, damit sie entweder dem Deutschen Reich die Treue schworen oder interniert oder abgeschoben wurden. Aber Kuddl meinte, er würde wetten, dass der eine oder andere sich noch in der Wohnung verkrochen hielt, und das wäre dann der Beweis dafür, dass der ein Spion sei und nur darauf warte, zuzuschlagen.

Er machte Henni den Vorschlag, dass sie sich auf die Lauer legten, zum Beispiel unter der Treppe bei den Briefkästen, bis sie einen entdeckten, der vorbeischlich, ihn dann fesselten und im Handwagen auf die Wache führten. Doch als er auf die Idee kam, war es schon fast Mittag, und zu Hause warteten Latkes mit Apfelmus und saurer Sahne, was eine von Hennis Leibspeisen war. Außerdem reichte allein die Tatsache, dass einer zu Hause war, der Polizei kaum als Beweis, dass er auch Bomben legte. Und so entschied Henni, einfach zu klingeln und die Ausländer ins Gesicht zu fragen, wie sie es mit den Serben hielten und ob sie planten, den Krieg zu sabotieren.

Kuddl fand das doof. »Warum sollten sie dir überhaupt aufmachen, wenn sie sich doch verstecken«, sagte er.

Doch Henni fand: »Lass mich nur machen«, und zog gleich von Stock zu Stock und Hof zu Hof, um bei allen zu klingeln oder klopfen, die einen komischen Namen hatten oder sonst wie verdächtig waren.

Sie kannten sie ja alle. »Herr Spolianski«, rief sie durch die Türen, »Herr Sullivan, Frau Chevalier, können Sie mich verstecken?«

Die meisten machten wirklich nicht mehr auf. Erst im vierten Hinterhaus, zwei Treppen links, kam Herr Fjodorov ihnen sogar nachgelaufen, als sie weiterzogen. »Entschuldige, Kindchen«, sagte er und hielt noch einen Topf in der Hand, in dem er rührte, »ich koche meinen Katzen gerade das Essen und wollte nicht mehr Gas verbrauchen als nötig. Komm nur rein, vor wem musst du Ärmste dich denn verstecken? Kurt, willst du ihr etwa böse?«

Herr Fjodorov war wohl pensioniert, jedenfalls war nicht ersichtlich, wovon er lebte. Seine Wohnung teilte er mit mindestens zehn Katzen, und so roch er auch. Dafür holte er Henni manchmal, wenn eine der Katzen geworfen hatte, und sie durfte die Jungen streicheln, bevor Herr Fjodorov sie seufzend in einen ausgedienten Futtersack von Fuhrmann Meisel steckte und in der Spree versenkte, weil der Hausverwalter ihm eigentlich schon die zehn anderen Katzen nicht erlaubte.

»Kuddl doch nicht«, sagte Henni, »nein, wir sind Spione, Herr Fjodorov, und wenn man uns findet, werden wir verkloppt. Sind Sie auch Spion? Also wir jagen ja heute Nacht einen Zug in die Luft, und Sie?«

Herr Fjodorov brauchte einen Augenblick, bevor er begriff, wovon sie redete, dann lachte er aber und sagte vergnügt: »Wofür habe ich wohl all die Katzen, na, Kindchen? Morgen binde ich jeder eine Bombe um den Bauch, und dann lasse ich sie in der Hauptpost laufen.« Vor ihnen her ging er in seine Wohnung zurück. »Dann kommt mal rein.«

Doch Henni schüttelte den Kopf. »Etwas in der Art hatte ich eben befürchtet, Herr Fjodorov«, sagte sie traurig, nahm Kuddl an der Hand und rannte mit ihm auf die Straße, um Herrn Fjodorov zu melden. Zwei Schupos holten ihn dann auch gleich ab.

Henni hatte sich das Enttarnen von Spionen allerdings heroischer vorgestellt, irgendwie blieb ein fieser Nachgeschmack, und so hatte sie beim Mittagessen gar keinen richtigen Appetit.

»Wer kümmert sich jetzt um die Katzen?«, fragte sie nach einer Weile und überlegte, ihre Latkes zu sparen und ihnen zum Abendbrot zu bringen.

»Vergiss die Katzen«, sagte Kuddl und mopste ihr die Latkes vom Teller, »denk lieber an die Wohnung, die frei wird. Mensch, drei Zimmer, da kann eine ganze deutsche Familie drin wohnen.«

Die heilige Henni der Hinterhöfe

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