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Die innere Identität

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Hocharabisch, „Königsarabisch“, wird hin und wieder nach dem griechischen Modell als „poetische Koine“, als Literatursprache einer großen Region, bezeichnet. Rasch entwickelte sich nebenher gewissermaßen eine ethnische Koine. Wenn, wie bereits vorgeschlagen, die ursprüngliche Bedeutung des Wortes ʿarab die „eines gemischten Volkes“ von unterschiedlicher Herkunft ist,67 dann kann eine Sprache, die sowohl von ihnen geteilt als auch nach ihnen benannt wurde – ʿarabiyya – die ʿasabiyya, das Gefühl der Gruppensolidarität, nur verstärken. Anders ausgedrückt: Das Einen der Wörter – eine einheitliche Sprache – war ein wichtiger Beitrag zum Einen des Wortes – einer vereinten politischen Stimme.

In der Dichtung des letzten vorislamischen Jahrhunderts erhob sich diese Stimme gegen die Stimmen anderer. Araber waren bereits dabei, eine eigene Identität zu bilden. Der nächste Schritt war es, diese Identität mit der Errichtung einer Grenze zu stärken. Das komplementäre Paar ʿarabiyya-ʿasabiyya wurde so mit einem Paar von gegensätzlichen Begriffen abgesichert: ʿarab/ʿadscham, Araber/Nichtaraber. Der zweite Begriff ist eng mit aʿdscham verwandt, was „unfähig, korrekt zu sprechen“ bedeutet, weshalb sich das Paar mit arya/mleccha, griechisch/barbarisch und so weiter vergleichen lässt. Diese Art von linguistischem „Nationalismus“ unterscheidet sich vom ausgewachsenen territorial-linguistischem Nationalismus, der sich seit dem 19. Jahrhundert herausgebildet hat,68 aber viel fehlt nicht. Und der Gegensatz in ʿarab/ʿadscham bezeichnet sogar noch mehr: Beim marokkanischen Literaturwissenschaftler Mohammed al-Jabri ist nachzulesen: „Araber lieben ihre Sprache so sehr, dass sie sie nahezu als heilig betrachten. Sie sehen die Faszination dieser Sprache, der sie unterliegen, nicht nur als Ausdruck der Macht der Sprache, sondern auch ihrer eigenen Macht.“

Wie alle anderen Menschen auch, so fährt al-Jabri fort, sind Araber sprechende Tiere. Im Unterschied zu allen anderen Menschen jedoch betrachten sie sich als die einzigen wahrhaft „wohlberedten Tiere“. Da alle anderen ihnen an Sprachgewandtheit unterlegen seien, seien sie auch weniger mächtig und gewissermaßen weniger Mensch als sie selbst.69 Diese Argumentationskette mag nicht unbedingt logisch erscheinen. Wenn man aber wie das Volk von Tarīfa, der Seherin von Maʾrib, davon ausgeht, dass die Wahrheit in den Lauten und der syntaktischen Schlüssigkeit liegt, nicht in der Bedeutung des logos, des Wortes, ergibt sie durchaus Sinn. Auf Arabisch zu denken, so Ibn Chaldūn, ist eine Frage der göttlichen Inspiration, nicht eine der Logik. Nichtmuttersprachler sind deshalb im Nachteil, wenn es um die Gedankenprozesse von Arabern geht.70 Der Philosoph Abū Hayyān al-Tawhīdī aus dem 10. Jahrhundert n. Chr. brachte es auf den Punkt: „Syntax“, die Art und Weise, in der Wörter zusammen einen Sinn bilden, „ist die Logik der Araber. Logik ist die Syntax der Vernunft“.71 Andererseits erklärte der libanesische Sprachwissenschaftler ʿAbd Allāh al-Alaylī: „Ich denke arabisch, also bin ich Araber.“72

Ein deutlich trivialeres letztes Beispiel: „Bei Gott, ich bin Araber!“ schrie ein weniger philosophisch angehauchter Mensch, dessen Arabertum infrage gestellt wurde. „Ich habe keine Socken zu stopfen“, fuhr er in Anspielung auf die socken- und hosentragenden ʿadscham par excellence, die Perser, fort. „Ich trage keine Kniehosen, und fremdes Gebrabbel nehme ich auch nicht in den Mund!“73 (Old-School-Araber betrachteten das Tragen von Hosen als ein Zeichen von Verweichlichung und trugen wie die wilderen Schotten unter ihren Kilts nur den nackten Hintern.) Nicht nur sind anderer Leute Sprachen also weniger mannhaft, sie sind auch weniger sinnhaft. Wem all das nach sprachlicher „Herrenrasse“ riecht, der hat womöglich die richtige Nase.

Je mehr Kontakt Araber zu brabbelnden Fremden hatten – besonders zu Persern am Klientelhof von al-Hīra –, desto stärker setzten sie in Opposition zu ihnen die eigene Identität durch. Das Prinzip Identität-durch-Antagonismus verstärkte sich im Laufe des 6. Jahrhunderts, als die Perser selbst gleich an mehreren militärischen Fronten immer durchsetzungsfähiger wurden: gegen die Byzantiner im nördlichen Fruchtbaren Halbmond, im Norden und Osten der Halbinsel und, wie wir sehen werden, selbst in jenem anderen Fruchtbaren Halbmond, dem fernen Südwesten der Halbinsel. Als brabbelnde, hosentragende Perser ihre „Insel“ umzingelten, wurde der Antagonismus zu einem weiteren wichtigen Merkmal des Araberseins.

Bis dahin waren es die benachbarten Reiche, die Arabertum definiert – und unausweichlich die arabische Identität geformt – hatten, indem sie „Könige der Araber“ ernannt oder im Amt bestätigt hatten. Jene halbsesshaften Satellitenkönige wiederum, die Ghassaniden und Lachmiden, zogen nomadische Stämme in ihre eigene Umlaufbahn. Die Anfänge größerer politischer Einheiten waren gemacht: große Blöcke wie die Allianzen von Rabīʿa und Mudar, die aus mehreren Stämmen bestanden und lose mit den Byzantinern oder Persern verbündet waren.74 Gegen Ende des 5. Jahrhunderts hatte auch der dritte „Löwe“, das nun kränkelnde Himyarenreich im Süden, kurz vor Toresschluss genügend Energie gesammelt, um eine Expansion zu wagen und seinen eigenen neuen „König der Araber“ zu ernennen.75

Der Druck der drei benachbarten Mächte zwang Araber also in immer enger vereinte Blöcke, aber der Prozess verlief in zwei Richtungen: Arabische Solidarität wurde nicht nur von außen geformt, sondern entstand als eine Art Reflex, wie in einer Gussform, die aus den Nachbarn gebildet wurde. Wie bei den Zimmern der Künstlerin Rachel Whiteread, in denen leerer Innenraum plötzlich Form annimmt und sichtbar wird, gewannen die lange übersehenen Völker von den Rändern und der scheinbaren Leere innendrin nach und nach an Identität und Sichtbarkeit. Die Metapher der vereinenden Gussform findet sich bei al-Dschāhiz:

Als die ʿarab eins wurden, wurden sie gleich in Bezug auf Behausung, Sprache, Eigenschaften, Ziele, Stolz, Gewalt und Veranlagung. Sie wurden in einer Gussform geformt und in einem Guss gegossen.76

Das Gießen war kein plötzlicher Vorgang. Die Zementierung der Gesellschaft verlief vielmehr in einem Prozess, der Jahrhunderte in Anspruch nahm. Er begann an den Rändern, wo Araber Kontakt zu Nichtarabern hatten, und arbeitete sich nach innen vor. Damit die Identität schließlich gänzlich hervortreten konnte, musste die umschließende Form – jene umliegenden Imperien – zunächst zerschmettert werden. Das dauerte nicht lange: Die vereinheitlichte Hochsprache beflügelte eine neue Rhetorik, die wiederum mit der Zeit zur treibenden Kraft hinter der größten Diaspora der Geschichte und dem längsten Kreislauf von Einheit und Uneinigkeit der arabischen Geschichte wurde – dem des Islam. Für die Dauer von ein paar glorreichen Jahrhunderten zu Anfang dieses Kreislaufs brüteten Araber, die lange von anderer Völker Imperien in der Gegend herumgeschubst worden waren, ihr eigenes Imperium aus. Die Grammatik ihrer Geschichte verlief zusehends und unaufhaltsam im Modus des Aktivs, Großbuchstaben und der bestimmte Artikel traten hinzu. Eine Zeitlang waren Araber wirklich „die Araber“. Doch die Jahre vor dem Ausbrechen aus der Gussform waren eine Zeit besonderer Unruhe: Die Materie in der Form Arabiens entzündete sich wie in einem Verbrennungsmotor.

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