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Kapitel 4 An der Schwelle zu wahrer Größe: Die Tage der Araber Ein Vorhang fällt – und hebt sich

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Im 6. Jahrhundert n. Chr. wurde Arabien unweigerlich mehr zu dem, was es heute ist – arabischer und weniger südarabisch. Von heute aus blicken wir auf Saba/Sheba und seine südarabischen Nachfolger – wie bereits der Verfasser des Buches Joel – wie auf „ein Volk in weiter Ferne“, nur, dass die zeitliche Distanz inzwischen noch größer geworden ist. Die Denkmäler der Sabäer mit ihren Stier- und Steinbockfriesen, den gehörnten Monden aus Alabaster, den fremden, eleganten Semaphoren ihrer Schrift – all das erscheint altertümlich und fremd. Im Kontrast dazu sind leichte Schwingungen der Fäden spürbar, die von diesem arabisierten 6. Jahrhundert bis in die heutige Zeit hinüberreichen: Wir folgen einem solchen Faden, wenn wir einen Stamm wie die Anaza von seiner jetzigen Heimat in der Grenzregion von Irak, Syrien und dem nördlichen Saudi-Arabien nach al-Haddar im Osten der Halbinsel zurückverfolgen, eine Gegend, die seine Vorfahren lange vor dem Aufkommen des Islam verließen und die ihre stubenhockerischen Cousins immer noch bewohnen.1 Und wir spüren mehr als nur Schwingungen. Wir hören unterschiedliche Stimmen, laut und deutlich. Der marokkanische Gelehrte Mohammed al-Jabri nennt den Dichter Imruʾ al-Qais aus dem 6. Jahrhundert n. Chr. – nicht dessen früheren Namensvetter, den (wahrscheinlich) übergelaufenen König – als den ersten auf seiner Liste großer Araber, „von denen wir spüren, dass sie immer noch bei uns leben oder vor uns stehen … auf der Bühne der arabischen Kultur, einer Bühne, auf der der Vorhang nie gefallen ist“.2 Wir werden auf Imruʾ al-Qais – den Dichter und gescheiterten Einiger von Stämmen – noch zurückkommen.

Im ersten Drittel des 6. Jahrhunderts fiel der Vorhang nach diesem früheren, südarabischen Akt. Der Akt endete damit, dass der Himyarenkönig Yūsuf Asʿar offiziell das Judentum annahm und Nichtjuden verfolgte. Seine Gründe waren wohl weniger religiöser als vielmehr politischer Natur, denn er war ein Gegner des Königreichs von Aksum. Um das Jahr 518 soll er in Nadschrān viele Christen niedergemetzelt haben,3 ein Ereignis, das sogar im Koran als Brandopfer erwähnt wird.4 Dem christlichen Königreich von Aksum in Äthiopien, das bereits in der Vergangenheit versucht hatte, in Südarabien militärisch zu intervenieren und in neuerer Zeit äthiopische Handelsenklaven in diesem Raum unterstützte, lieferte der Vorfall in Nadschrān den Vorwand für einen vollständigen Einmarsch.

Aber es gab noch weitere, ältere Gründe für den südarabischen Niedergang. Während der vorangegangenen beiden Jahrhunderte hatten die Überfälle von ʿarab-Stämmen auf sesshafte Völker zugenommen;5 gleichzeitig verließen sich die Herrscher von Zentralstaaten für ihren Schutz immer mehr auf ʿarab-Söldner.6 Diese badw-Stämme aber brachten das Fass zum Überlaufen und der bisher sesshafte Süden wurde immer unruhiger und immer beduinischer.

Die Äthiopier wussten, dass dieses Mal der Widerstand gegen sie – anders als zu den Zeiten, als der alte sabäisch-himyarische Staat noch mächtig war – weitaus weniger gut koordiniert sein würde. Die Südaraber scheinen einen letzten Versuch unternommen zu haben, sich zu organisieren: Eine späte himyarische Inschrift prahlt beispielsweise mit der weiterhin „untrennbaren Verbindung“ der Paläste von Silhin und Dhū Raidān, Symbole des alten sabäischen Staates und des neueren von Himyar, vereinigt in einem Königreich.7 Doch in Wahrheit herrschte Uneinigkeit. Yūsuf Asʾar war durch einen Putsch an die Macht gekommen, was nie eine gute Voraussetzung für Stabilität ist, und das Königreich von Saba, Dhū Raidān, Hadramaut, Yamanāt sowie der Araber im Hochland und in der Küstenebene, brach auseinander. Im Jahr 525 soll König Yūsuf sein Pferd ins Rote Meer getrieben haben, über das seine Eroberer gekommen waren, und in den Wellen verschwunden sein.8

Die Äthiopier installierten zunächst einen folgsamen christlichen Herrscher, einen Himyaren, doch dieser wurde bald durch den äthiopischen General Abraha ersetzt. Mit der Zeit nahm Abraha, von seinem aksumitischen Meister getrennt durch den Graben des Roten Meeres und einen Festungswall von arabischen Bergen, die alten Königstitel des sabäisch-himyarischen Reiches an und startete seine eigenen Expeditionen in den Norden. Eine davon wird in einer sabäischen Inschrift erwähnt, die als Datum das Jahr 552 nennt.9 Es könnte sich um genau jene Expedition handeln, derer nicht in lakonischem Sabäisch, sondern im packenden „Kapitel des Elefanten“ im Koran gedacht wird, das erzählt, wie Scharen von göttlich geleiteten, mit Steinen bewaffneten Vögeln im Sturzflug einen Angriff zurückschlagen, den die Äthiopier samt Kriegselefanten auf die Mekkaner durchführen.10 Falls es sich in der sabäischen Fassung um denselben Feldzug handelt, werden diese Details dort jedenfalls ausgelassen. Das „Jahr des Elefanten“ könnte aber auch während eines anderen äthiopischen Feldzugs stattgefunden haben und wird in der Tat allgemein auf das Jahr 570 datiert. Doch wenn – wie die Tradition will – Abraha selbst ihn angeführt hat, muss er zu diesem Zeitpunkt bereits ein sehr alter Mann gewesen sein. Das alles wäre zu vernachlässigen, wäre nicht angeblich Mohammed in dem Jahre geboren, in dem der Angriff mit den Elefanten stattgefunden hat. Und es wäre schön zu wissen, wann genau das war.

Die Himyaren waren noch Meister im Datieren. Später, in islamischer Zeit, kommt der Einordnung von vorislamischen Ereignissen dann die Präzision abhanden, um es freundlich auszudrücken: Sogar der überwiegend zuverlässige al-Masʿūdī sagt beispielsweise von König Yūsuf Asʾar (der immerhin im selben Jahrhundert wie der Prophet Mohammed lebte): „Er regierte 260 Jahre lang oder, wie man auch sagt, etwas kürzer …“11

Als der Vorhang für den alten Süden fiel, schien es, als wäre der ganze tausendjährige Akt des Dramas auf der Arabischen Halbinsel bloß ein Traum gewesen.

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