Читать книгу Arab - Tim Mackintosh-Smith - Страница 43
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ОглавлениеQuellen aus islamischer Zeit behaupten, dass Adam die Schrift verwendete, um auf Tontafeln zu schreiben.45 Unendlich viel früher in der Geschichte existierte sie im Himmel auf „einer Tafel, wohlverwahrt“,46 dem Original des Koran, die so alt war wie Gott selbst. Die etwas bodenständigeren Ursprünge der Schrift werden, ziemlich glaubhaft, in der Lachmidenhauptstadt al-Hīra und einer anderen Stadt, al-Anbār, weiter südlich im heutigen Irak, verortet.47 Wenn man die Formen der arabischen Buchstaben selbst betrachtet, ist offensichtlich, dass sie sich organisch aus der nabatäischen Schrift entwickelt haben,48 vielleicht mit Einflüssen von anderen Schriftsystemen Arabiens.49 Von al-Hīra aus verbreiteten sich die neuen Buchstaben zunächst relativ träge. Es gibt sehr wenige Graffiti in erkennbar arabischer Schrift aus der Zeit vor dem 5. Jahrhundert50 und die Vorstellung, dass sie „kurz vor dem Islam“ – zum Ende des 6. Jahrhunderts – Mekka erreichte,51 passt zu der Aussage, dass zum Zeitpunkt, da Mohammeds Prophetie ihren Anfang nahm, nicht mehr als zwei Dutzend Mekkaner schreiben konnten.52 Wenig verheißungsvolle Anfänge; doch während der folgenden Generationen wurde es notwendig, eine heilige Schrift zu bewahren, ein Imperium zu erweitern und eine Kultur zu propagieren, was dazu führte, dass die arabische Schrift sich rasant verbreitete. Sie schrieb sich in Raum und Zeit ein, um nach dem lateinischen Alphabet das am weitesten verbreitete Schriftsystem der Welt zu werden.
Ein Experiment des Kalifen Hischām aus dem 8. Jahrhundert n. Chr. vermittelt einen Eindruck davon, wie die Schrift funktionierte.53 Der Kalif bemerkte einen Meilenstein am Wegesrand und bat einen schriftunkundigen aʿrābī in seiner Gesellschaft, diesen für ihn zu „lesen“. Denn aʿrāb, selbst die Analphabeten unter ihnen, waren dafür bekannt, dass sie lesen konnten: Sie lasen die Landschaft, die karge grüne Vegetation, die verborgene Wasserquellen verriet, Tierspuren von Kamelen bis hin zu Käfern und die Spuren, die ihre eigenen Wanderungen und die anderer hinterließen. Sie konnten aus den Palimpsesten verlassener Zeltlager eine ganze bewegende Geschichte entziffern. In der alten Dichtung der Wüste werden Spuren am Boden manchmal explizit mit Schriftzeichen verglichen. Der Dichter Labīd zum Beispiel, der kurz vor dem Islam lebte, konnte die Spuren der verlassenen Lagerstätte seiner Geliebten lesen:
Die Spuren der Wohnsitze sind bloßgelegt,
verwittert wie Inschriften auf alten Steinen.54
Nomadische Araber lebten in einer lesbaren Welt. Als er die Schrift auf dem Meilenstein betrachtete, sagte der Beduine:
„Das ist der Stab eines Hirten,
ein Ring,
drei Teile wie der Kot einer Hündin
und so etwas wie der Kopf eines Sandhuhns.“
Hischām setzte die Zeichen in Gedanken zusammen,
oder, mit den Pünktchen,
was sich als chamsa, „fünf [Meilen]“, lesen lässt.
Alles herrlich logisch, dennoch gibt es systemimmanente Probleme. Anders als bei der lateinischen Schrift (die letztendlich derselben Inspirationsquelle entsprungen ist, dem antiken phönizischen Schriftsystem) werden die Kurzvokale in der Regel nicht geschrieben: Das oben erwähnte Wort für „fünf“ liest sich beispielsweise in Wirklichkeit als ch-m-s-h. In anderen Sprachen liest man also, um herauszufinden, was im Text steht, während es im Arabischen hilft, es zu wissen, was im Text steht, um lesen zu können.55 Die Überschrift dieses Abschnitts, „Schau, keine Vokale!“, in einer dem Arabisch ähnlichen Notierung, war also wohl etwas verwirrend. Und um es noch komplizierter zu machen, gibt es im Arabischen keine Großbuchstaben. (Ich weiß noch, wie ich, als ich gerade mit dem Arabischlernen angefangen hatte, versuchte, strtfwrd ʾbwnyfwn zu lesen … „Straightforward“ war es bestimmt nicht! Beim Versuch, Vokale hinzuzufügen, landete ich bei satarat fa-warada abū nīfūn – „Sie bedeckte [Wer war sie? Was bedeckte sie?], dann kam der Vater des Nīfūn [Wer zum Teufel sollte das sein?].“ Dann tauchte zum Glück ein Schnipsel Kontext auf – shyksbyr, offensichtlich der Barde – und die geheimnisvollen Worte wurden, da b und f die unarabischen Laute p und v ersetzen, „Stratford-upon-Avon“.)
Mit der Zeit wurde eine Methode entwickelt, die Vokale darzustellen, die aber bis heute nur sporadisch verwendet wird; Großbuchstaben gibt es weiterhin nicht. Mit etwas Übung wird Arabisch lesen einfacher. Doch es erfordert andere mentale Prozesse als das Entziffern lateinischer Buchstaben: Das Lesen der lateinischen Schrift ist wie ein Damespiel, Arabisch ist Schach. Und zu Anfang war Arabisch sogar noch weniger benutzerfreundlich, bis Punkte hinzugefügt wurden, um verschiedene Konsonanten mit der gleichen Form auseinanderzuhalten: Ohne Vokalzeichen oder Punkte könnte eine einfache Gruppe von zwei Buchstaben,
theoretisch auf 300 verschiedene Arten gelesen werden.56 Heutzutage sind alle Texte mit Punkten versehen, außer im Koran werden die Vokalzeichen aber nie konsequent notiert. Dies fügt der ohnehin schweren Sprache einen zusätzlichen Schwierigkeitsgrad hinzu – nicht zu vergessen, dass geschriebenes Arabisch niemandes Muttersprache ist: Sprecher des Arabischen lesen und schreiben also alle in einer „Fremdsprache“.57 Im Ergebnis nähern sich Leser höchstens der Bedeutung dessen, was sie lesen, an und müssen hin und wieder schlicht und ergreifend raten.
Das andere große Problem, das erst mit der Erfindung der Druckerpresse ans Licht kam, ist, dass Arabisch eine Kursive ist: wunderschön anzusehen, herrlich zu schreiben, aber eine elende Plagerei für Typografen und Setzer, und erst recht für Menschen, die eine altmodische Schreibmaschine verwenden. Wir werden noch auf das Problem zurückkommen. Für den Augenblick genügt es festzuhalten, dass sowohl die griechische Erfindung von separaten Zeichen für Vokale als auch die Tatsache, dass ihre Schrift die nichtkursive Form beibehielt, den Griechen und denen, die ihr Alphabet aus griechischen Zeichen ableiten, einen kleinen, aber entscheidenden Entwicklungsvorteil verschafft hat. Die arabische Schrift ist der Stolz und der Hauptbestandteil der islamischen Kunst, das wichtigste Emblem arabischer und islamischer Kultur, einer kalligrafischen Kultur, die – anders als ihr gewaltiges, aber letztendlich provinzielles Äquivalent in China – die Kontinente überspannen sollte. Wenn man jedoch sagen kann, dass Geschichten hamartias, tragische Fehler, aufweisen können, dann mag für Araber ihre Schrift eine davon sein, ebenso wie die schöne und tödliche Kombination von Kamel und Pferd.