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Der Blick von außen

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Für die Assyrer, die sie als erste erwähnten, waren „Aribi“ in der Tat sowohl geografisch als auch gesellschaftlich ein Volk für sich, das „weit weg in der Wüste lebt und weder Aufseher noch Amtsträger kennt“.36 Ein oder zwei biblische Referenzen könnten sogar aus noch früherer Zeit stammen, die Datierung ist durch die spätere Bearbeitung aber nicht mehr greifbar. Daher stammt die erste bisher bekannte, unstrittig datierbare Erwähnung von Arabern aus der Inschrift, die der assyrische König Salmanassar III. hinterließ: Der König zeichnete auf, dass er 853 v. Chr. eine syrisch-palästinensische Koalition im Kampf besiegte, die von jenem ersten bekannten Araber, Gindibu,37 und seinen Kamelen – nicht weniger als 1000 an der Zahl – verstärkt wurde.38 Nach dieser Zeit mehren sich die Erwähnungen von Arabern (und ihren Kamelen) und es kommen andere aus griechischen und hebräischen Quellen dazu.

Aus der Tatsache, dass sich sowohl in assyrischen als auch in biblischen Texten – offensichtlich unabhängig voneinander – um etwa die gleiche Zeit Erwähnungen von Arabern finden, schließt Robert Hoyland, ein Historiker des frühen Arabiens, dass die betreffenden Menschen sich selbst als Araber bezeichnet haben müssen.39 Wenn dem so ist, haben sie erfolgreich dafür gesorgt, davon kein schriftliches Zeugnis zu hinterlassen.40 Bis zu ihrem epigrafischen Coming-out als Araber vergingen seit dieser ersten assyrischen Erwähnung immerhin weitere rund 1200 Jahre. Doch geht man nach ihrem Namen, so treten sie in diesen frühen Texten zweifellos als Araber hervor. Den ersten Eigennamen, „Gindibu“, oder in standardarabischer Umschrift Dschundub, trugen Araber in den späteren Jahrtausenden zwar eher selten, aber dennoch regelmäßig. Er bedeutet „Grille“ oder „Heuschrecke“ und ist Vorbote einer langen Tradition, in der Menschen mit Tiernamen belegt werden. Auf Stammesniveau leiten sich Namen wie „Kalb“ (Hund) oder „Asad“ (Löwe) wohl von Totems ab; auf persönlicher Ebene haben Tiernamen eine apotropäische, Unheil abwehrende Funktion. Wie der Historiker des alten Arabiens, Ibn al-Kalbī, sagte, hatten die Araber „ihre Feinde im Sinn, wenn sie ihren Söhnen einen Namen gaben“.41

Nicht untypisch war daher ein Stammesangehöriger mit dem Namen Wākiʿ („Starkes Pferd“), unter dessen Vorfahren sich ein „Hund Sohn des Löwen“ (oder des Wolfs oder Hahns oder Ähnliches) und „Wüstenratte Sohn der Koloquinte“ befanden.42 Letzteres ist der Name einer bitteren oder stachligen Pflanze, die Wüstenratten und andere recht unkuschelige Tiere vertreibt. Schade, dass solche Namen heute aus der Mode gekommen sind. Andere Namen aber, die auch in assyrischen Texten vorkommen, sind weiterhin in Gebrauch, zum Beispiel Hamdanu43 (mein erstes Haus im Jemen gehörte einem Herrn al-Hamdanī).

Die Aribi der assyrischen Inschriften sind noch in anderer Hinsicht unverkennbar arabisch: vor allem im Gebrauch ihrer Kamele, auf die sie ein Monopol zu besitzen scheinen, aber auch in der Mobilität, welche die Kamele ihnen verschaffen. Sie bilden eine mobile Hilfstruppe, die, wie in dieser frühesten assyrischen Inschrift, mal für die eine, mal für die andere Seite kämpft. Ihre zähen Reittiere geben ihnen einen taktischen Vorteil, da sie Terrain durchqueren und zu ihrem Gewinn nutzen können, das großen, hungrigen Armeen auch ohne direkte Kampfhandlung bereits feind genug ist. Die Erwähnungen in Inschriften werden häufiger, als die Aribi als Transporteure im Überlandhandel von Duftstoffen in Erscheinung treten. Sie transportieren die aromatischen Harze von Südarabien nach Norden und werden später in diesem Handelsgeschäft zu Akteuren, die versuchen, die Handelsrouten unter ihre Kontrolle zu bringen.

Die Erwähnungen mehren sich, und mit ihnen die Kamele. Die Assyrer waren expansionsfreudig, wollten den Handel in Arabien kontrollieren und prahlten mit der Unterjochung unzivilisierter Nomaden. In einem Relief, das dem Sieg des assyrischen Königs Tiglath-Pileser III. über Schamsī, „Königin der Araber“, in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts v. Chr. gewidmet ist, sieht man eine stämmige, aber hübsche Aribi-Frau eine Kamelherde anführen oder vielmehr einen Bruchteil der 30 000 Kamele, die der König in der begleitenden Inschrift erobert zu haben behauptet.44 Im darauffolgenden Jahrhundert beschlagnahmte König Assurbanipal so viele Herden aus mat Aribi, dem arabischen Land, dass man „in meinem Land für ein paar Pennies am Markttor ein Kamel kaufen konnte“.45

Die Assyrer fielen nicht wie der Wolf im Schafspelz über Arabien her, sondern kamen als kamelstehlendes Kollektiv von multinationaler Dimension. Selbstverständlich war es äußerst sinnvoll, Araber ihres wichtigsten Transportmittels zu berauben. Dieser Fall von massenhaftem Viehdiebstahl (und der damit einhergehenden Versklavung von Menschen) aber war die Reaktion darauf, dass Araber, genauso wie Gindibu zwei Jahrhunderte zuvor, einen Feind der Assyrer unterstützten, in diesem Fall die größte rivalisierende Supermacht der Zeit, die Babylonier. Gleichzeitig jedoch hatten Araber sich untereinander zusammengetan, die eigene Stimme und Macht geeint. Hier klingen also bereits einige Motive an, die sich mit der Zeit noch häufiger wiederholen werden.

Erstens gab es einen Kern, um den herum sich diese erste zaghafte Einheit bildete, ein Wallfahrts- und Kultort im Norden der Arabischen Halbinsel, Dūma, der für einige Stämme einen heiligen Ort darstellte. Der bekannteste dieser Stämme war ein Gemeinwesen, vielleicht eine Stammeskonföderation, mit den Namen Qīdār.46 Unser Wissen über Qīdār, das ungefähr zwischen 750 und 400 v. Chr. existierte, ist äußerst begrenzt, aber es könnte sich durchaus um den ersten Versuch einer – den auf Verwandtschaft basierenden Stammesverband übersteigenden – Einheitsbildung in der arabischen (im Gegensatz zur südarabischen) Geschichte handeln. Und es ist wohl nicht ohne Bedeutung für die arabische Geschichte insgesamt, dass dieser erste Versuch an einem Wallfahrtsort stattfand. Dieses Motiv entfaltet sich dann 1300 Jahre später und 1100 Kilometer weiter südlich an einem anderen Ort der tribalen Wallfahrt, in Mekka, in vollem Klang.

Ein anderes Motiv, das immer wieder hervortritt, ist das von benachbarten Großmächten, die arabischen Stammesführern königlichen Status verleihen. Die Assyrer etwa erklärten die besiegte Schamsī sowie die qīdārischen Stammesführer Zabība (730 v. Chr., ihr Name bedeutet „Rosine“) und Hazael (frühes 7. Jahrhundert v. Chr.) zur „Königin der Araber“ bzw. zum „König der Araber“. Irgendwann in diesem 7. Jahrhundert dann drängten die Assyrer dem Gemeinwesen ihre eigene Marionettenkönigin auf, eine Frau der Qīdāriten mit dem Namen Tabūʿa.47 Dass externe Mächte Könige benannten und hin und wieder sogar ernannten, wird sich in drei Jahrtausenden arabischer Geschichte als durchgängiges und für die arabische Identität und Solidarität äußerst folgenreiches Leitmotiv herausstellen.

Ein drittes, im Laufe der Zeit regelmäßig wiederkehrendes Motiv ist die Art und Weise, wie die Assyrer Araber, wenn sie sie nicht gerade bestraften, weil sie sich auf die Seite des Gegners geschlagen hatten, als Puffer zwischen sich und diesen Gegnern einsetzten. Dies wird besonders deutlich in Bezug auf Ägypten. Schon Herodot weist darauf hin, dass die Perser Araber benutzten, um im 5. Jahrhundert v. Chr. ihr Hoheitsgebiet gegen die Ägypter abzuschotten. Solche Symbiosen kommen im Jahrtausend darauf immer wieder vor.

Alles in allem lässt sich sagen, dass Araber für ihre nördlichen Nachbarn, die Assyrer, Babylonier und später Perser, eine eher untergeordnete, aber dennoch äußerst nützliche Rolle spielten – wenn sie denn einmal keinen Ärger bereiteten. Man erwartete, dass sie, wenn schon nicht unterwürfig, wenigstens folgsam und dankbar waren. Assurbanipal lässt zum Beispiel nach seiner Kampagne gegen mat Arabi Folgendes dokumentieren: „Die Menschen in Arabien fragten sich: ‚Warum ist so ein Unheil über Arabien hereingebrochen? Weil wir die großen Schwüre von Assur nicht eingehalten und gegen die Güte von Assurbanipal gesündigt haben.‘“48 Viele Araber, die das heute lesen, interpretieren es als die frühe Ausformulierung eines anderen Motivs, das sich ebenfalls bis heute durchzieht und das sich in ihren Beziehungen zu Supermächten auch nach dem Kalten Krieg noch wiederholt: Tut, was wir euch sagen, sonst werdet ihr büßen.

Im Norden gab es also eine Reihe von Reichen, deren Interessen mal mit denen von Arabern übereinstimmten, mal mit ihnen kollidierten. Auch im Süden, in den beregneten Bergen, Hochebenen und Wüstenmündungen, wo große Wadis in die Wildnis flossen, bestanden sesshafte Königreiche, die sich zu verschiedenen Zeiten während der anderthalb Jahrtausende vor dem Auftreten des Islam zu einem Imperium zusammentaten, das flächenmäßig nicht besonders groß, aber kulturell einflussreich war. Das Bedeutendste dieser südarabischen Königreiche war Saba.

Eines vorneweg: Von Arabern ist in den Inschriften der südlichen Königreiche kaum jemals die Rede.49 Erst ab den letzten vorchristlichen Jahrzehnten spielen die Vagabunden aus dem Norden in den südlichen Annalen eine Rolle, und dann fast ausschließlich als Söldner. Daraus lässt sich recht deutlich ablesen, dass Araber sich zum Ende des 1. Jahrtausends v. Chr. von den Wüstengrenzen des Fruchtbaren Halbmonds aus in den Süden ausbreiteten. Auch nachdem sie regelmäßig in den Inschriften aus dem Süden erwähnt werden, „steht außer Zweifel“, so der große Experte dieser Texte, A. F. L. Beeston, „dass sie eindringende Elemente sind, die nicht völlig in die typische [südarabische] Kultur integriert sind“.50 Wie im Norden waren Araber ein Volk für sich.

Mit der Zeit kam es zwar zur Integration, aber in unerwartete Richtung: Südaraber wurden kulturell und sprachlich arabisiert. Diese Form der Integration wird zu einem weiteren, hier erstmals angeschlagenen, aber durchgängigen Leitmotiv, das dann mit der raschen Ausbreitung des Arabertums im Zusammenhang mit dem Islam stark in den Vordergrund tritt, bei der die sprachliche und kulturelle Bekehrung stets gründlicher – und wohl auch schneller – vonstatten ging als die religiöse Bekehrung.51 In der Tat gingen die Sabäer und andere Südaraber so tief im Arabertum auf, dass im 9. Jahrhundert n. Chr. in den Augen von al-Dschāhiz „Arabien“, die Halbinsel, gleichbedeutend war mit „Araber“: „Alle Araber sind ein und derselbe, da ihre Wohnstätte und ihre Insel, ihre moralischen Werte und Veranlagung, und ihre Sprache eins sind.“52 (Im Unterschied zu ihrer Politik, in der Hader und Zwist vorherrschen.)

Aber Südaraber wurden nicht nur arabisiert, sondern arabisierten sich selbst, wie wir sehen werden. Das ging sogar so weit, dass sie einen völligen Imagewandel vollzogen und sich nun zu den einzig wahren Arabern erklärten. Gelehrte Historiker haben sich davon nicht verwirren lassen; ihnen ist der Unterschied zwischen eigentlichen Arabern und Südarabern stets im Gedächtnis geblieben. Ibn Chaldūn zählt zum Beispiel drei Hauptgruppen von „Semiten“ auf: „Von Sām [Sem] stammen die Araber, Hebräer und Sabäer ab“53 – mit den Sabäern meint er die Südaraber allgemein. Der Riss zwischen Arabern und Hebräern verfolgt uns noch heute. Die Unterscheidung zwischen Nord- und Südarabien jedoch ist Vergangenheit und nahezu vergessen. Hin und wieder werden die Geister zum Leben erweckt, wie zum Beispiel in dem Konflikt, der sich vor meiner Haustür abspielt und der gelegentlich als Konflikt zwischen Süd- und Nordarabern gedeutet wird. In einer Analyse des alten Nord-Süd-Zwiespalts heißt es etwa: „Diese zusätzliche Einsicht in die Frage, warum arabische Einheit so schwer zu erreichen ist, könnte sich für Politikwissenschaftler als nützlich erweisen.“54

Bei dieser Einsicht dürfte es sich allerdings höchstens um die Spitze eines ganzen Eisbergs von Einsichten handeln. Im Norden brauchten zum Beispiel, wie wir sehen werden, die ursprünglich nichttribal organisierten sesshaften Bauern des nördlichen Fruchtbaren Halbmonds in frühislamischer Zeit viel länger, um in das Arabertum aufgenommen zu werden, als ihre südlichen Nachbarn vor ihnen. Außerdem wurden sie nur widerwillig und unvollständig aufgenommen. Die schwelende Uneinigkeit äußert sich meist – wie im heutigen Irak – auf religiöser Ebene, im Streit zwischen Sunniten und Schiiten.

So viel dazu, was erste Araber nicht waren. Um zu erfahren, wer oder was diese schwer fassbaren Menschen wirklich waren, müssen wir uns die knappen, aber beredten Zeugnisse anschauen, die sie selbst hinterließen. Für Personen ohne festen Wohnsitz und ohne erkennbaren Anspruch auf eine Schriftkultur hinterließen sie eine überraschend große Anzahl von Schriften.

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