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Die Ratte mit den Eisenzähnen

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Im Süden, einem wahren Flickenteppich von Königreichen, wurden Einheitsbestrebungen in der Sprache von Königstiteln zum Ausdruck gebracht. Saba war von alters her das bedeutendste Königreich. In seinem Schatten waren kleinere Königreiche an den Ufern der Wüste im Landesinneren emporgestiegen und gefallen – die kurzlebigen Staaten von Maʾin, Qatabān und Ausān. Früh im 1. Jahrtausend n. Chr. hatte sich das Volk der Himyaren, das in den Bergen zwischen der Wüste und dem Toten Meer lebte, hervorgetan; die nächsten Jahrhunderte waren Zeuge von Machtstreitigkeiten und hin und wieder Koalitionen zwischen Himyaren und Sabäern. Weiter östlich, hinter einem Golf von Sand, hatte die große Oase von sich verzweigenden Schluchten, Hadramaut, ihre Unabhängigkeit und ihre Bewässerungssysteme lange erhalten können, jedoch war sie zum Ende des 3. Jahrhunderts an den von Himyaren dominierten sabäischen Staat gefallen. Zur Zeit des Eroberers der Region Hadramaut, dem expansionistischen König Schammar, der im späten 3. Jahrhundert n. Chr. regierte, war Südarabien so vereint wie nur möglich – und sicherlich vereinter als zum Zeitpunkt, da ich dies schreibe. Schammars Titel verkündete Folgendes: Er war „König von Saba, Dhū Raidān [dem Himyarenpalast, der das Himyarenreich symbolisierte], Hadramaut und Yamanāt“. Letzterer Begriff, Yamanāt, „die Südländer“, bezeichnet wahrscheinlich die früheren Königreiche von Ausān und Qatabān. Diese Liste ergänzten spätere himyarische Könige um den Zusatz „und ihrer Araber im Hochland und in der Küstenebene“,7 in dem Versuch, zumindest nominell ein wachsendes Problem in den Griff zu bekommen.

Jenes letzte und neueste Element, das arabische, sollte die übrigen Elemente des königlichen Titels und die kurzlebige Einheit des Reiches zunichtemachen. Immer mehr Mitläufer schlossen sich aʿrāb-Söldnern im Dienste des Königs an – Stammesgenossen, die unter persischem Druck nach Süden und Westen getrieben worden waren. Unter einem starken König wie Schammar entwickelten sich die Söldner zu einer nützlichen Kraft. Später setzten schwächere Herrscher die aʿrāb ein, „um Blutfehden zu verfolgen … Das einzige Ergebnis für das Land war Vernichtung“8 und, zwei Jahrhunderte nach Schammar, die sukzessive Besetzung durch Äthiopien und Persien. Das Motiv des Söldners, der seinen Meister schwächt, zieht sich wie ein roter Faden durch die arabische Geschichte. So auch das Motiv des Nomaden, der die Lebensweise seines sesshaften Nachbarn zerstört. Es sei in diesem Zusammenhang noch einmal an Ibn Chaldūns Bemerkung erinnert, der aus der Rückschau, 1000 Jahre nach der Zeit des Königs Schammar, beobachtete: „Überall dort, wo die [arabischen] Beduinen gesiegt haben, bricht die Zivilisation zusammen.“ Als weitere Belege führt er Südarabien und den späteren Irak, Syrien sowie seine eigene Heimat, Nordafrika, an.9 (Das Motiv wiederholt sich heute vor meiner Haustür, wo ein ehemaliger Herrscher, der auf Rache sinnt, tribale Revolverhelden aus dem nördlichen Hochland auf die Hauptstadt von Sabas Nachfolger losgelassen hat. Das Gleiche passiert, mutatis mutandis, im Irak, in Syrien und Libyen, über ein halbes Jahrtausend nach Ibn Chaldūns Beobachtung.)

Die lange und brüchige Erzähllinie des Aufstiegs und Verfalls der sesshaften Gesellschaft in Südarabien wurde vom späteren arabischen Gedächtnis vereinfacht und kondensiert in der Erzählung vom Verfall des Damms von Maʾrib, die in Poesie, Prosa und heiliger Schrift immer wieder auftaucht. Die Fassung von al-Masʿūdī aus dem 10. Jahrhundert n. Chr. beginnt mit einer Beschreibung des Königreichs von Saba in seiner Blütezeit:

Die Sabäer genossen die höchsten und luxuriösesten Lebensstandards … im fruchtbarsten Land, das man sich vorstellen kann … Sie übten militärische Macht aus und ihre Stimme war geeint …10

Saba war also ein vereintes Volk, das mit einer Stimme sprach. Seinen Reichtum und die Fruchtbarkeit seines Landes verdankte es dem mächtigen Damm von Maʾrib, der den Wadi überspannte. Er war mit 680 Metern Länge und 18 Metern Höhe eines der größten Werke der Wasserbaukunst in der antiken Welt und leitete Niederschlag aus einem Einzugsgebiet von 10 000 Quadratkilometern ab, um damit ein ebenso großes Gebiet zu bewässern. Der Legende nach begannen die Probleme, als die kāhina oder Seherin des Königs nachts von der Zerstörung des Dammes träumte und tagsüber die natürliche Ordnung auf den Kopf gestellt sah: Drei Rennmäuse stehen auf ihren Hinterläufen und halten sich mit den Vorderpfoten die Augen zu; eine Schildkröte liegt urinierend auf dem Rücken; Bäume bewegen sich, obwohl es keinen Wind gibt. Sie interpretierte diese Zeichen und erzählte dem König, eine Ratte werde den Damm beschädigen. „Und es kommt eine Ratte, die mit den Pfoten einen Stein [aus dem Damm] herausrollt, den fünfzig Männer nicht hätten bewegen können …“11

Al-Masʿūdī, womöglich um seine Glaubwürdigkeit besorgt, stellt dieser Geschichte einen eher nüchternen Bericht voran, der allgemeine Vernachlässigung als Ursache für die Vernichtung des Dammes nahelegt. In der noch knapperen Darstellung im Koran gelten der Damm und seine Segnungen an sich schon als Vorzeichen genug. Sie sind eine Gunst und Gabe Gottes und wer den Herrn ignoriert, beschwört die Vernichtung herauf:

Für die Sabäer lag einst ein Zeichen in ihrem Wohnort: zwei Gärten, rechts und links.

Ein gutes Land. Und ein Herr, der bereit ist zu vergeben.

Sie aber wendeten sich ab.

Da schickten wir gegen sie des Dammes Wassermassen und tauschten ihnen ihre beiden Gärten gegen zwei andere mit Dornbuschfrüchten, Tamarisken und wenig Lotosbäumen.

… da machten wir sie zur Legende

und rissen sie ganz und gar in Stücke …12

Der letzte Satz kann auch bedeuten: „Und wir zerrissen sie vollends in Stücke.“ Wie sowohl alte sabäische als auch moderne arabische Flüchtlinge zur Genüge wissen, ist das eine Warnung vor dem, was passiert, wenn man das Fundament einer sesshaften und vereinten Gesellschaft zerbröckeln lässt.

Der Damm von Maʾrib erlitt wahrscheinlich zu Lebzeiten des Propheten Mohammed im frühen 7. Jahrhundert den letzten, irreparablen Bruch.13 Doch Inschriften vor Ort legen nahe, dass es bereits knapp 300 Jahre zuvor Probleme gegeben haben muss: Statt in regelmäßiger Wartung die Schlickablagerungen zu entfernen, wechselten sich lange Perioden von Vernachlässigung mit hektischen Notreparaturen ab. Dies alles deutet auf den allmählichen Zusammenbruch der zentralen Autorität, die früher die Instandhaltung des Baus organisiert hatte. Der Zusammenbruch wurde durch die äthiopische und persische Besatzung im 6. Jahrhundert beschleunigt, doch er war letztendlich auf das Eindringen und die wachsende Macht von aʿrāb-Stämmen während der vorangegangenen beiden Jahrhunderte zurückzuführen.14 Es waren „diese menschlichen Ratten“, so formuliert es ein moderner jemenitischer Historiker Südarabiens, bei dem die Wut über die Katastrophe offenbar immer noch nicht abgeklungen ist: „Die badw- und aʿrāb-Söldner … hatten den größten Anteil an der Zerstörung seines letzten [unabhängigen] Staates.“15 Ihre wachsende Zahl und militärische Stärke hatten dazu geführt, dass sie sich von Söldnern zu Drahtziehern und dann zu Drahtschneidern und Machtgrapschern entwickelt hatten. Sobald sie das Sagen hatten, waren ihre tribalen Herrscherstile, hauptsächlich basierend auf Arbitrage, nur noch arbiträr. Der Rattenzahn fraß sich in das Fundament der jahrhundertealten sesshaften Gesellschaft.

Wie alle guten Gleichnisse funktioniert die Geschichte vom Niedergang und Fall des Damms von Maʾrib auf mehreren Ebenen zugleich. Für den Bauern und den Volkshistoriker gilt sie als eine Warnung vor dem, was passiert, wenn die Vorboten der Natur unbeachtet bleiben. Für den Propheten und sein Volk ist sie ein Beispiel dessen, was schiefläuft, wenn die gottgegebene Ordnung nicht aufrechterhalten wird. Der Sozialhistoriker liest sie als Gleichnis für die zunehmende Durchlässigkeit eines anderen legendären „Damms“ – der hochporösen Barriere zwischen Nomadentum und Sesshaftigkeit – und den daraus resultierenden Menschenfluten.

Wenn es tatsächlich infolge des Zusammenbruchs der Bewässerung und Gesellschaft im Süden eine große Diaspora sesshafter Völker gegeben hat, wie die Erzählungen nahelegen, müssen sich Auflösungserscheinungen schon lange vor dem letzten Dammbruch in später vorislamischer Zeit angekündigt haben.16 Die Volkssagen erwähnen außerdem, wie wir noch sehen werden, die Auswanderung des großen Stammes Azd und seines wichtigen Unterstamms Ghassān aus Maʾrib, die ein paar Jahrhunderte zuvor erfolgt sein muss. Wir wissen nicht, ob es tatsächlich eine Massenabwanderung gegeben hat; wahrscheinlicher ist, dass die sesshaften Bevölkerungen in mehreren Wellen nach und nach abgewandert sind. Unbestreitbar aber sind die weitreichenden Folgen: Auch wenn es sich nicht gerade um eine Überschwemmung handelte, so bewirkte doch die Bewegung einer großen Anzahl sesshafter Menschen auf dem ganzen arabischen Subkontinent einen Wandel. Als Nomaden in das alte bebaute Land einsickerten und ehemals sesshafte Völker dieses Land verließen, lösten sich die alten einheitlichen Staaten auf und die Grenzen zwischen badw und hadar brachen nieder: „Die Könige haben ihre Heimat verlassen“, so heißt es in einem Gedicht, das einem vorislamischen Herrscher aus dem Süden zugeschrieben wird, „und sich zu anderen Ländern aufgemacht, in denen sowohl badw als auch hadar wohnen.“17

Arabien war in Bewegung und trat in eine Ära dynamischer Uneinigkeit ein – ein Stühlerücken, das letzten Endes die epochalen Wanderungen und Eroberungen des Islam in Gang setzte. Die großen alten Zivilisationen wurden dabei zwar nicht gänzlich zerstört, aber eines steht fest: Wo gehobelt wird, fallen Späne.

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