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Lauter Diebe

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Denn Araber griffen zu dichterischer Sprache, um einander zu besingen, zugleich aber auch immer häufiger zu anderen Mitteln, um einander das Leben schwer zu machen. Wenn man sich noch mal die Grabsäule des Idschl ins Gedächtnis ruft, des speertragenden, kamelreitenden Kriegers, könnte die Frage auftauchen, ob das zweite, reiterlose Kamel neben ihm vielleicht erbeutet war.

Schon in den Schilderungen der Genesis, wo Ismael als räuberischer Außenseiter dargestellt wird, ist der Raubzug offenbar untrennbar mit der Lebensart von Nomaden verbunden:

Er wird ein Mensch wie ein Wildesel sein; seine Hand wider jedermann und jedermanns Hand wider ihn, und er wird sich all seinen Brüdern vor die Nase setzen.65

Auch den Assyrern entging nicht, dass Araber eine besondere Vorliebe für Überfälle zu haben schienen (vielleicht schimpft hier aber auch nur ein besonders großer Esel den kleinen ein Langohr).66 Später stellten arabische Banksys auf ihren Graffiti Raubzüge dar und bedankten sich in dokumentierten Gebeten für das Beutegut.67 Als Lebensstil war der Raubzug keine planlose willkürlich Unternehmung: Mit der Zeit wurde er zu einer normierten wirtschaftlichen Institution mit festem Verhaltenskodex und Fixanteilen – meistens einem Viertel oder Fünftel für den Anführer des Raubzuges plus einer Sonderzulage sowie der ersten Wahl bei besonders beliebten Gegenständen.68 Raubzüge waren nicht einfach endemisch, sondern systemisch.

Für moderne Menschen aus dem Westen ist es schwer vorstellbar, dass der Überfall als etwas anderes betrachtet wurde – und weiterhin wird – als Wegelagerei, als Festlandpiraterie. Bis zu einem gewissen Punkt hat er Ähnlichkeiten mit der alten Seemannspraxis der Kaperei und übrigens auch mit der Kultur der Prisennahme bei den regulären Seestreitkräften: Noch bis 1918 wies Großbritanniens Royal Navy dem Kapitän ein Viertel der Prise zu und der restlichen Bemannung kleinere Anteile. Die Prise sollte in Kriegszeiten selbstverständlich ein feindliches Schiff sein – doch was ist der Kriegszustand anderes als eine gesetzliche Erlaubnis für den Raubzug? Man könnte ebenso sagen, dass Stämme, die sich gegenseitig überfallen, im chronischen Kriegszustand miteinander stehen.

In einem auf Viehtrieb und Raubzug begründeten Wirtschaftssystem wurde das Stehlen von Tieren als eine Möglichkeit zur Besitzerweiterung gesehen, wenn andere Maßnahmen der Viehzucht nicht genügten. Der innere Zusammenhang von Viehtrieb und Raubzug wird durch das Vokabular aufgedeckt: ghanam, „Schafe und Ziegen“, bedeutete wohl ursprünglich jede Art von Herdentieren. Das eng verwandte ghanīma bedeutet „Beute, Raubgut“. Um auf die Parallelen zwischen ʿarab und arya zurückzukommen: Das sanskritische Wort für „Kuh“ (das arya-Äquivalent des Kamels) ist go und bildet das erste Element von „Krieg“,69 gavisti, wörtlich „Kuhwunsch“. Krieg und Überfall dienten in beiden mobilen Hirtengesellschaften nicht dazu, den Grundbesitz zu erweitern, sondern den Bestand an mobilen Tieren, die darauf weideten. In einer Gesellschaft, die das Wort „Immobilie“ nicht kennt, wird womöglich auch Besitztum weniger eng verstanden: Das galt für die herrenlose Hohe See und die Prisen genauso wie für die Wüste und ihre „Schiffe“.

Mit der Zeit wurde der Raubzug mit darwinistischer Abgeklärtheit als das Überleben des Stärkeren betrachtet. „Fruchtbarkeit“, schrieb al-Dschāhiz, einen anonymen Sprecher zitierend, „lädt zu Feindschaft ein, zum Überfall auf die Nachbarn. Es lädt den Starken dazu ein, jeden Schwächeren aufzufressen.“70 Die Ränge der Räuber brachten ihre eigene Aristokratie hervor, deren Legitimation dem alten Geld- und Landadel diametral entgegenstand: „Du magst mich kritisieren“, sagte der Dichter und Aristokrat des Raubzuges Duraid ibn al-Simma, dessen langes Leben um 530 n. Chr. begann und im Widerstand gegen Mohammed endete:

Doch ich sage dir, dass neuer Wohlstand

mir viel lieber ist als alter.71

Zugleich konnten Überfälle den Schwächsten in der Gesellschaft soziale Sicherheit bieten. Urwa ibn al-Ward, ein Bandenführer aus dem 6. Jahrhundert n. Chr., versammelte die Kranken, Alten und Schwachen um sich, päppelte sie auf und nahm sie anschließend mit auf seine Raubzüge, sodass sie ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten konnten.72 Raubzüge und Vermögensumverteilung gehen zusammen: Zuerst findet die Umverteilung zwischen Räuber und Beraubten und anschließend innerhalb des Räubers eigenem Stamm statt.

Ein Herrscher von Mosul aus dem 11. Jahrhundert n. Chr. mit dem Namen Qirwāsch wird entsprechend als wahhāb nahhāb, „Spendierer und Schänder“ umschrieben – das heißt, Spendierer von Geschenken und Schänder anderer Leute Eigentum, „in Übereinstimmung mit den bewährten Bräuchen der ʿarab“. Obwohl die bewährte Praxis besagte, dass man Blutvergießen vermeiden sollte, musste Qirwāsch zugeben: „Das Blut von fünf oder sechs Beduinen klebt an meinen Händen. Was das Blut der Stadtleute anbelangt, von ihnen nimmt Gott keine Notiz.“73 Eine ähnliche Beschreibung wie die von Qirwāsch wird für einen modernen spendablen Schänder verwendet, für den Mann, der mein Adoptivland über drei Jahrzehnte lang regierte und den Löwenanteil seiner Wirtschaftsleistung abzweigte.74 Seine Anhänger sagen: „Yaʾkul wa-yuʾakkil“, „er isst und ernährt andere“. Oder sie nennen ihn sāriq ʿādil, „einen gerechten Dieb“. Seine hungrigen Gegner nennen ihn einfach einen Dieb.

Überfälle auf Herden oder Staaten befeuern den ewigen Kreislauf von Einheit und Uneinigkeit. Essen und Ernähren, Spendieren und Schänden, Erobern und Umverteilen von Beute sind der schnellste Weg zur Bildung einer Einheit. „Seine Hände waren mit Beutegut gefüllt“, sagte man im 5. Jahrhundert n. Chr. von al-Barrāq, dem Anführer des großen Stamms der Rabīʿa, „und die Stämme der Araber fielen unter seine Herrschaft.“75 In den meisten Fällen ist die daraus entstehende Einheit jedoch nur sehr schwach. Selbstredend stand und steht ein System von Plünderung und Umverteilung nicht nur im Widerspruch zur Bildung eines zentralisierten, steuereintreibenden Staates, eines Gemeinwesens von Bürgern mit gleichen Rechten und Pflichten, sondern auch zu jeder Art von langfristiger Stabilität. Die Übertragung der Macht läuft unvermeidlich zerstörerisch, wenn nicht gar blutig ab. Das Plündern perpetuiert einen alten, internen Kampf der Kulturen: zwischen qabīla-Stamm und schaʿb-Volk, zwischen Wettbewerb und Zusammenarbeit, Segmentierung und Symbiose, Persönlichkeiten und Institutionen, Einklang und Vielstimmigkeit, zwischen einer Gesellschaft, die mehr auf Konkurrenz und geraubtem Gut, und einer Gesellschaft, die auf gegenseitiger Unterstützung beruht. Wie aber wurden ausgerechnet Araber unter allen mobilen Völkern zu Plünderern schlechthin?

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