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Kapitel 3 Weit und breit verstreut: Die Grammatik der Geschichte im Wandel
ОглавлениеNicht genug, dass Araber hoch oben zwischen den zwei imperialen Löwen, Persien und Rom, eingeklemmt waren, sie bekamen es auch häufig mit einem dritten Löwen zu tun: mit dem Königreich des Südens, Himyar.
Sollte die Prahlerei des Imruʾ al-Qais, des „Königs aller Araber“, der Wahrheit entsprechen, dann hatten seine Leute den Löwen im Süden bereits einmal am Schwanz zu greifen bekommen, bevor sie in das bewässerte Land des Himyarenkönigs Schammar rund um Nadschrān eindrangen. Doch auch das wäre nur ein kurzes Zwischenspiel in der Löwenjagd gewesen, zudem wahrscheinlich angezettelt von einer der Mächte im Norden: Bei dem frühen islamischen Historiker al-Tabarī ist nachzulesen, dass der sassanidische Schah von Persien um diese Zeit eine Großexpedition gegen die Stämme der Halbinsel angeordnet hatte. Dabei kann es sich durchaus um die in Imruʾ al-Qaisʾ Grabinschrift erwähnte Kampagne gehandelt haben.1 Dann wäre der Überfall auf König Schammars fruchtbaren Süden wohl eher ein kleiner Nebenkriegsschauplatz gewesen – und aus persischer Sicht besonders nützlich, da Schammar selbst im späten 3. Jahrhundert n. Chr. in expansionistischer Stimmung gewesen war und sich weit nach Nord- und Ostarabien vorgewagt hatte.2 Berichte aus islamischer Zeit, wonach der König von Himyar bis nach Samarkand in Zentralasien (dem er der Legende nach seinen Namen gegeben haben soll: Schammar-kand, „Schammar vernichtete es“3) und bis nach Tibet vorgedrungen sein soll, gehören dagegen vermutlich eher ins Reich der Legende.4 Für die Perser, die gerade ihren eigenen Einfluss im Osten der Halbinsel zu erweitern suchten, war es schon Bedrohung genug, dass Schammar es bis nach Zentralarabien geschafft hatte.
Es liegt also nahe, dass Imruʾ al-Qais, bevor er mutmaßlich zu den Römern überlief, als Löwentatze der Perser diente und aufsässige Stämme bändigte. Doch diese Expedition sollte weitaus verhängnisvollere Folgen für die Südaraber haben als ein einmaliger Überfall auf Nadschrān. Auf dem Weg dorthin, so sagt Imruʾ al-Qais, „züchtigte“ er ein wichtiges Stammeskonglomerat mit dem Namen Madhhidsch.5 Um diese Zeit wanderten Madhhidsch unter der Führung der Kinda, vermutlich infolge von persischem Druck, massenhaft aus Zentralarabien in den Süden.6 Wie wir gesehen haben, führten einige der Kinda in ihrer Karawanenstadt Qaryat Dhāt Kahl ein semiurbanes Leben. Im Herzen aber blieben sie und die mit ihnen assoziierten Stämme badw und, wenn ihre Chancen schlecht standen, pflegten sie dem Kampf auszuweichen, ihre Zelte abzubrechen und sich in Sicherheit zu bringen.
Die Ankunft Zehntausender Nomaden und Halbnomaden im sesshaften Süden – Madhhidsch in den Gebirgsausläufern östlich des saftigen Hochlands von Himyar, Kinda im Herzen des fruchtbaren, von Himyar regierten Talkomplexes mit dem Namen Hadramaut – führte dort zu bleibenden Veränderungen. Zuvor waren Araber und ihre Sprache bereits in das alte sabäischsprachige Südarabien eingefallen. Nun stieg der Zustrom von Stammesnomaden und nagte am Fundament der sesshaften Zivilisation des alternden himyarischen Löwen. Nicht lange, und die Wolkenkratzer-Paläste von Zafār sollten ins Wanken geraten.