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Ohne festen Wohnsitz

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Obwohl viele der frühen Wandergeschichten mythisiert sind, gibt es Orte, an denen sie in eine greifbare Vergangenheit führen. Eine der Fortsetzungen der Geschichte von Tarīfa und ihrem ghassanidischen Volk erzählt, dass sie ihre Zelte im von Byzanz regierten Syrien aufschlagen, sich niederlassen und umgehend ein Dokument erhalten, das der Inbegriff des Lebens in der Zivilisation schlechthin ist: den Steuerbescheid. Während ihrer Wanderjahre kannten die Ghassaniden, wie die Aribi der Assyrer, „weder Aufseher noch Amtsträger“.27 Ohne Benjamin Franklin zu nahe treten zu wollen: In der badw-Weltsicht gehört zwar der Tod zu den Dingen, die uns sicher sind, nicht aber (wie in seinem berühmten Diktum behauptet) die Steuer. Die meisten der Ghassaniden verweigerten die Zahlung und kehrten zur Freiheit und Armut der Halbinsel zurück.28

Diese Fortsetzung zeigt nicht nur, wie beweglich Bevölkerungen waren, sondern auch wie fließend sich hadar-/badw-Identitäten zu dieser Zeit gestalteten. Die Stammesmitglieder von Ghassān, die behaupteten, sie hätten als sesshaftes Volk im Süden angefangen, hatten lange Zeit als Migranten – wenn auch nicht notwendigerweise als Nomaden – gelebt und teilten sich dann in zwei Gruppen auf, von denen die eine sich erneut niederließ und die andere das Wanderleben wiederaufnahm. Die sesshafte Gruppe war nun auch aus dem Wanderreich der Legenden auf festen historischen Boden gezogen. Um 490 n. Chr. ließ sich der Dschafna-Zweig von Ghassān tatsächlich in Syrien als Klient von Byzanz nieder und verdrängte dabei eine frühere arabische Gruppe, die als Puffer Konstantinopels gegen Perser und Nomaden gedient hatte. Ihre Anführer bekamen den Titel patricius (arabisch bitrīq; mit der Zeit erhielt das Wort auch die Bedeutung „hochmütig“ und, viel später, „Pinguin“ – vielleicht weil man an die äußere Ähnlichkeit dachte?) und die Krone der Klientelherrscher verliehen. Später, in der Mitte des 6. Jahrhunderts, angefangen mit dem Ghassaniden al-Hārith ibn Dschabala, erhielten sie den erhabenen Titel basileus, „König“.29 Die meisten von ihnen wurden zu eifrigen Christen, wenngleich von der monophysitischen Strömung, die sich von der imperialen Orthodoxie unterschied.30

Aber die Wurzeln gingen nicht tief. Die Ghassaniden standen mit einem Bein in beiden Lagern, nomadisch und sesshaft – oder besser gesagt: mit einem Bein im Zeltlager und dem anderen am Hofe. Trotz aller Insignien des Königtums (mit Inbegriff der Endung ihres Namens auf „-ide“, die für westliche Historiker eine Dynastie kennzeichnet) führten sie ein halbnomadisches Leben und hatten nie eine feste Hauptstadt.31 Einer Hauptstadt am nächsten kam noch ihr königliches Lager al-Dschābiyya auf den Golanhöhen, eine Zeltburg für Könige am Rande der Zivilisation, in die ortsfeste Gebäude wie zum Beispiel ein Kloster eingestreut waren.32 Auch sprachlich waren sie ohne festen Wohnsitz: Sie behielten das Arabische bei, benutzten aber für den Schriftverkehr auch Aramäisch,33 das lange die gesprochene Standardsprache der sesshaften Völker in der Levante gewesen war. Sie schrieben in nabatäischen Schriftzeichen, der gängigen Schrift in der Region,34 und hörten griechische Popmusik – jedenfalls, wenn man nach dem späteren Ghassanidenherrscher geht, der fünf Sklavinnen besaß, die zu seiner Unterhaltung „auf Rūmiyya“ sangen.35

Die Wurzeln der Ghassaniden in Syrien mögen dünn gewesen sein, sie stellten sich aber als ausgesprochen zäh heraus. Nach dem Aufkommen des Islam schlossen einige ihrer Leute sich der neuen Religion an, andere jedoch hielten am christlichen Glauben fest. Einige syrische Christen und libanesische Maroniten der heutigen Zeit behaupten, von ihnen abzustammen. Für den Augenblick jedoch genossen diese zu Pufferstaaten gewordenen byzantinischen Grenzwachen, diese zu Söldnerkönigen avancierten Feudalherren Macht und ein hohes Maß an Autonomie.

Natürlich waren sie nicht allein. Eugene Rogans Erkenntnis, dass die Rivalität der Supermächte die Araber stärkte,36 lässt sich auch auf den Osten, auf den persischen Einflussbereich übertragen. Die Wettbewerber der Ghassaniden im Kampf um die Macht waren die alteingesessenen Nachfolger von Imruʾ al-Qais ibn Amr, „König aller Araber“, die Lachmiden-Dynastie von al-Hīra im Irak, Klientelkönige des Sassanidenreiches. Und wieder scheint hier das Bild von Arabern, auf einem Felsen zwischen zwei imperialen Löwen eingeklemmt, zu einfach: Nicht nur befand sich, wie wir bereits gesehen haben, tief im Süden ein dritter Löwe, sondern die Araber saßen in Wahrheit auf zwei nebeneinander gelegenen Felsen, und statt die Löwen zu bekämpfen, bekämpften sie zunehmend einander.

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