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Ein Volk für sich

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Die allerfrüheste Frühzeit entzieht sich uns weitgehend. Noch gibt es kaum Erkenntnisse über die Menschen des Paläolithikums, von denen nur hier und da Überbleibsel von Werkzeugen im Hochland der Arabischen Halbinsel aufgefunden wurden. Aber wir wissen, dass es nur sehr wenige Menschen waren, die weit verstreut lebten. Als gesichert gilt mithin, dass die Halbinsel nicht unbewohnt war und ihre Geschichte kein leeres Blatt. Jüngere Studien über paläolithische Stätten in Saudi-Arabien haben gezeigt, dass diese ersten Bewohner der Arabischen Halbinsel frühen Klimaveränderungen ausgesetzt waren und sich ihnen mit der Zeit angepasst haben.24 Fast genauso wenig wissen wir über die neolithischen Jäger des einst feuchten Leeren Viertels vor der großen Dürre. Allmählich können wir uns jedoch ein besseres Bild von anderen Aspekten neolithischen Lebens machen. Schon im 6. Jahrtausend v. Chr. hüteten Menschen Vieh; 2000 Jahre später betrieben sie Ackerbau und – was noch wichtiger ist, da es einen Hinweis auf gesellschaftliche Strukturen mit ständig enger werdender Zusammenarbeit gibt – entwickelten Bewässerungssysteme in den Gebieten, in denen das Hochland zum immer trockeneren Landesinneren abfiel.25 Ebenfalls im 4. Jahrtausend v. Chr. nutzten Menschen entlang der arabischen Küste, insbesondere am Persischen Golf, die Baumaterialien und Lebensmittel, die sie an der von Mangroven gesäumten und mit Schalentieren übersäten Küste vorfanden. In der frühen Bronzezeit exportierten die Küstenbewohner auch das wertvolle Nebenerzeugnis ihrer Schalentiere, die Perle, die zu einem der frühesten und kostbarsten Handelsgüter rund um den Indischen Ozean wurde. Während dieser Zeit blieben die Völker der Meeresküste politisch sowie geografisch zwar am Rande; ihr fruchtbarer Randbezirk war jedoch wirtschaftlich überlebenswichtig und damit Ziel von Angriffen aus dem Landesinneren. Er wurde außerdem zum Sprungbrett für die arabische Expansion rund um den Indischen Ozean.

Die ältesten Darstellungen arabischer Geschichte entwerfen ein vages, geradezu fantastisches Bild von binnenländischen prähistorischen Bewohnern der Arabischen Halbinsel, die im Einklang mit zeitgemäßen Konzepten arabischer Identität als in Stämmen lebend gedacht werden. Als die wichtigsten dieser Stämme gelten Ād und Thamūd, über die kaum etwas auf uns gekommen ist, außer dass sie in großer Zahl zu einem unbestimmten Zeitpunkt in der Geschichte ausgelöscht wurden. Der Dichter Imruʾ al-Qais aus dem 6. Jahrhundert n. Chr. spricht beispielsweise von einem Schlachtfeld, „als wäre es von Thamūd und Iram“ – Iram war die legendäre Hauptstadt der Ād, eine Art arabisches Atlantis oder Shangri-La.26 Beide Stämme werden überdies häufig im Koran erwähnt, in Gleichnissen über göttliche Vergeltung für menschliche Sünden: „Sahst du denn nicht, was dein Herr den Ād antat?“, fragt ein Vers.27 Ausgelöscht hat er sie mit einem Donnerschlag28 oder einem „verheerenden Wind“,29 als sie die monotheistische Botschaft ablehnten. Es ist verlockend, diesen himmlischen Blitzkrieg als dramatische Verdichtung eines langen Prozesses der Austrocknung und Wüstenbildung zu interpretieren und das Volk der Ād als eine Reminiszenz jener neolithischen Jäger zu sehen, dessen Lebensweise um 4000 v. Chr. mit der letzten niederschlagsreichen Periode endete.30 Ausschmückungen der koranischen Erzählung machen diese Idee noch attraktiver. Die vielleicht früheste erhaltene arabische Chronik, eine Sammlung, die angeblich aus dem 7. Jahrhundert stammt und Abīd ibn Scharya zugeschrieben wird, erzählt, dass die Ād vor ihrer Vernichtung eine dreijährige Dürrezeit erlitten.31 Danach rutscht der Bericht allerdings eher ins Spekulative ab: Als der vernichtende Wind schließlich zuschlägt, verschont er eine Frau namens Hazīla und trägt sie nach Mekka – eine vorislamische Version von Dorothy aus dem Zauberer von Oz –, damit sie Kunde von dem Unheil überbringen möge.32 Bei späteren Historikern stößt die Version verständlicherweise bereits auf Skepsis: „Die Leute, die über Ād berichten“, schrieb der zuverlässige Abū al-Fidāʾ im Syrien des 14. Jahrhunderts, „sind sich untereinander nicht einig und alles, was sie sagen, ist wirr und weitab von der Wahrheit, deshalb verzichten wir darauf, es weiterzugeben.“33

Mit dem ausgestorbenen Stamm der Thamūd befinden wir uns hingegen schon auf sichererem und datierbarem Terrain. Der Name ist bekannt als der eines historisch belegten Stammes aus dem Westen der Halbinsel, der im 2. Jahrhundert n. Chr. unter anderem Kontakte mit den Römern unterhielt und ihnen Steuern zahlte.34 Im Koran werden die Thamūd wie die Ād als ein Stamm erwähnt, der den Monotheismus ablehnte und dafür Tribut zollte; wie die Ād wurden die Thamūd im späteren arabischen Gedächtnis mythisiert. In Erwartung ihrer Nemesis pflasterten sie sich beispielsweise mit Myrrhe, hüllten sich in Leichentücher aus Leder und legten sich in selbstgehauene Gräber35 – eine recht anschauliche Volksätiologie für die in Leder gewickelten Mumien, die sich mutmaßlich einst in den in Fels gehauenen Gräbern im Hedschas befanden, wie es sie an einigen weniger zugänglichen Stellen weiter südlich immer noch gibt.

Ād, Thamūd und vergleichbare mythische oder mythisierte Stämme werden von den Historiografen aus islamischer Zeit al-ʿarab al-ʿāriba, „die wahren/arabischsprachigen Araber“, genannt. Alle anderen nach ihnen wurden als ʿarab mutaʿarriba, „arabisierte ʿarab“, und ʿarab mustaʿriba, „arabisierende ʿarab“, bezeichnet. Diese Anhäufung von Affixen, arabischsprachig/arabisiert/arabisierend, spiegelt vermutlich eine Realität wider: Die Menschen, die als Araber bekannt wurden, erlangten ihre wie auch immer geartete Einheit durch einen graduellen Prozess der Akkulturation, in erster Linie durch die Einbindung in die Sprache. Wichtiger noch ist die andere Realität, die von den traditionellen Historikern stillschweigend akzeptiert wurde: dass Araber ursprünglich kein säuberlich vereintes Volk, sondern eine gründlich durchmischte Truppe waren.

Wenn wir uns vom späteren arabischen historischen Gedächtnis abwenden und einen Blick zurück auf die frühesten schriftlichen Zeugnisse werfen, wird klar, was die Araber nicht waren. Keines der Völker des besiedelten Fruchtbaren Halbmonds, des fruchtbaren Küstengebiets oder Südarabiens bezeichnete sich ursprünglich selbst als Araber. Für die sesshaften Bevölkerungen des Halbmonds, der Küste und des Südens waren Araber offenbar ein Volk für sich.

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