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Säer und Melker

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Diese relative Trockenheit, die auf der geologischen Zeitachse eine jüngere Entwicklung darstellt, setzte nicht lange vor dem Anfang menschlicher Geschichtsschreibung auf dem arabischen Subkontinent ein. Und doch hatte sie tiefgreifende Folgen für diese Geschichte. Die Umwelt und besonders die Art und Weise, wie Menschen aus trockenen und Menschen aus feuchten Umgebungen miteinander umgehen, war für diese Geschichte einer der folgenreichsten Faktoren, wenn nicht gar der folgenreichste.

Arabien ist für sich genommen vielleicht keine echte Insel, aber es ist isoliert in einem anderen Sinn, der viel tiefer geht als der Meeresboden: Es liegt auf einer eigenen tektonischen Platte. Zudem bildet die Plattengrenze zur Westseite hin, entlang dem Roten Meer und darunter, die Fortsetzung einer der größten und aktivsten Bruchlinien der Erde, welche im Osten Afrikas den Großen Afrikanischen Grabenbruch und im Norden das Jordantal, das tiefste Tal auf Erden, hervorgebracht hat. Die tektonische Bewegung drückt die Ferse der Halbinsel nach oben und hebt und krümmt die südwestliche Spitze. Über Millionen von Jahren ist durch dieses Anheben eine lange Gebirgskette entstanden. Die gezackte Linie, von arabischen Geografen al-Sāra, „der Grat“, genannt, befindet sich für Schnee und Schmelzwasser zu weit südlich innerhalb des Nördlichen Wendekreises – und ist mit dem höchsten Gipfel auf 3700 m zudem nicht hoch genug. Dennoch sammelt sich auf den kühlen Gipfeln Niederschlag aus der unterhalb liegenden feuchten Küstenebene und, wichtiger noch, sie werden vom Monsun gestreift.

Im Süden und Westen der Halbinsel gibt es also wie im Fruchtbaren Halbmond Wasser – allerdings weder einen Euphrat noch einen Tigris: Die Menschen müssen den Regen in arbeitsintensiven, meist sehr großen Anlagen nutzbar machen. Im folgenden, einem vorislamischen Herrscher des Jemen zugeschriebenen Vers werden solche Anlagen in Yahsūb, einer Hochebene in der Sāra-Kette beschrieben:

Im grünen Garten des Landes Yahsūb

fließt das Wasser reichlich, es strömt von achtzig Dämmen.8

Die Zahl ist nicht zu hoch gegriffen: Noch heute sind in dem Gebiet die Standorte von über 60 Dämmen aus vorislamischer Zeit bekannt.9 Nicht weit davon entfernt in Bāinūn gruben vorislamische Wasserbauingenieure durch den Fuß eines kleinen Berges einen 150 Meter langen Tunnel, der so groß war, dass man mit einem Auto durchfahren könnte, und leiteten so das Wasser von einem Tal zum nächsten. Die berühmteste Bewässerungsanlage liegt weiter nördlich in Maʾrib, wo ein riesiger Staudamm den Wasserablauf aus einem Einzugsgebiet von 10 000 Quadratkilometern regelte.10 Das Nutzbarmachen der Natur bedingt und verstärkt gesellschaftliche Ordnung und Stabilität. Desorganisation und Instabilität führen unweigerlich zu Zerfall. Mit der Zeit geschah das Unvermeidliche, der Damm von Maʾrib brach und hielt als Gleichnis für gesellschaftlichen Zusammenbruch im frühesten und immer noch verbindlichsten arabischen Buch, dem Koran, her.11 Die Moral der Erzählung ist also auch eine Moral der Geschichte insgesamt (wenn es so etwas überhaupt gibt): Möchtest du Dämme, Schleusen, Tunnel und Terrassen bauen und instand halten, so musst du auch eine funktionierende sesshafte Gesellschaft errichten und pflegen. Anders ausgedrückt: Das Ingenieurwesen basiert auf Recht und Ordnung ebenso wie auf Stein und Mörtel.

Im Gegensatz zum Süden und Westen der Halbinsel ist der Niederschlag in den Wüsten und Halbwüsten gering und nie ganz vorhersehbar. Es kann plötzliches und überraschendes Grün wachsen: „Das Wurmkraut sprießt“, berichtete im 9. Jahrhundert n. Chr. ein rāʾid, ein Kundschafter der nomadischen Kamelhirten auf der Suche nach Weideland:

Der Salzstrauch schlägt aus, der Dornenbusch trägt Blätter. Kräuter bedecken den Boden, die Wasserläufe grünen, die Talflächen sprießen.

Die Hügelchen sind mit Gras bekleidet, das büschelweise austreibt. Burzelkraut, Klee und Malve keimen auf.12

Die Suche nach einem solch flüchtigen pastoralen Paradies bedeutet jedoch, ständig mit Herden und Zelten umherzuziehen – und wenn alle anderen das Gleiche tun, kommt es zum Kampf um Ressourcen und zu gesellschaftlichen Unruhen.

Dies alles bringt eine Dualität hervor: einerseits hadāra, das sesshafte Leben des feuchteren Südens und Westens sowie des bewässerten Fruchtbaren Halbmonds, welches Stabilität bedingt (und auf der Kehrseite Stillstand und Stagnation); andererseits badāwa, das Wanderleben in der bādiya, der offenen Steppe und Wüste, die Mobilität geradezu erzwingt (und auf der Schattenseite politische und gesellschaftliche Fragmentierung hervorbringt). Das Wort Badawiyyīn, ein Pluraladjektiv von badāwa, taucht in anderen Sprachen als „Beduine“ auf. Darin spiegelt sich eine wesentliche menschliche Paarung, so alt wie Kain und Abel, die des sesshaften Bauern und des nomadischen Hirten. Nach einer einleuchtenden Theorie sind die Namen der beiden Söhne Adams mit dem arabischen qain, „Schmied“ – die prägende Beschäftigung sesshafter Völker seit der Bronzezeit – und ābil, „Kamelhirte“, verwandt.13 Das Arabische liebt Wortpaare, am liebsten reimende (Kain und Abel heißen auf Arabisch Qābīl wa-Hābīl), und bringt diese Dualität mit madar wa-wabar, „[Bewohner von Häusern aus] Ton und Kamelhaar“, oder zarʿwa-darr, „Säen und Euter[melken]“ zum Ausdruck.14

Ein weiteres Wortpaar kommt im Koran vor: schaʿb, „ein Volk“, und qabīla, „ein Stamm“. Der Koranvers, auf den der Titel der englischen Ausgabe dieses Buches (Arabs. A 3,000-Year History of Peoples, Tribes and Empires) anspielt, suggeriert einen Dualismus, einen Gegensatz so grundlegend wie der Gegensatz der Geschlechter:

Ihr Menschen! Siehe, wir erschufen euch als Mann und Frau und machten euch zu Völkern und zu Stämmen …15

Die meisten Kommentatoren gehen davon aus, dass damit auf sesshafte persische Völker und nomadische arabische Stämme verwiesen wird. Einige Forscher sind der Auffassung – und das ist wesentlich plausibler –, dass dieser Interpretation ein Anachronismus zugrunde liegt16 und sich die Zweiteilung auf die uralte gesellschaftliche Dualität im arabischen Milieu selbst bezieht.

Wir werden auf diese beiden Gruppen noch zurückkommen: Ihr Zusammenwirken erklärt viele der Kräfte und Spannungen, die sich durch die arabische Geschichte insgesamt ziehen. Für den Moment mag die Feststellung genügen, dass ein schaʿb, ein Volk, durch Ortsansässigkeit und nicht durch Verwandtschaft definiert wird, und dass es offenbar von früher Zeit an in großen und relativ stabilen Blöcken durch die Bindung an eine Hauptgottheit geeint wurde. Qabīla, ein Stamm, definiert sich hingegen nicht durch den gemeinsamen Aufenthaltsort, sondern beruht auf dem Konzept verwandtschaftlicher Bindung. Bei näherer Betrachtung ist diese Vorstellung oft hinfällig, wie beispielsweise bei den Stämmen von ʿAsīr, die alle qahtanischer Abstammung waren, bis sie kurz vor dem 10. Jahrhundert plötzlich umschwenkten und nizārische Wurzeln reklamierten.17 Ein exaktes Äquivalent dazu gibt es für Europa nicht, womöglich wäre es vergleichbar mit einer alten angelsächsischen Familie, die ihre Herkunft plötzlich leugnet und behauptet, mit den Normannen nach England gekommen zu sein. Veredelungen des Stammbaums dieser Art finden immer noch statt: Vor nicht einmal zwei Generationen überwarfen sich zwei große Zweige des jemenitischen Großstamms Bakīl mit ihren Stammesgenossen und schlossen sich dem anderen Großstamm Hāschid an. Der Prozess wurde als muʾācha, „Verbrüderung“, bezeichnet.18 Ibn Chaldūn formulierte es ohne Umschweife:

Die Sache der Abstammung, obgleich natürlich, ist doch etwas, was man sich vorstellt, und die eigentliche Bedeutung liegt in der engen Verbundenheit.19

Ebenfalls in Kontrast zum sesshaften schaʿb kann qabīla, der Stamm, gemeinsam die eine oder andere Gottheit anbeten, dennoch gilt die Loyalität hauptsächlich irdischen Anführern.

Diese verflochtenen Dualitäten von hadar/badw, „sesshaft/nomadisch“, schaʿb/qabīla, „Volk/Stamm“, die niemals Dichotomien sind, zeigen sich erst im Laufe der Zeit. Schon in den im historischen Dunkel liegenden Anfängen, lange vor dem Islam und sogar vor der christlichen Zeitrechnung, wird deutlich, dass die ersten als ʿarab bekannten Menschen zu den mobileren Gruppen gehörten, die sich über ihre Abstammung definierten.

Arab

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