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Im Anfang war der Dichter

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In den drei Jahrtausenden überlieferter arabischer Geschichte hat die geeinte Stimme drei Wellen der Einheit ausgelöst. Die treibende Kraft hinter diesen drei Wellen der ʿasabiyya, der Stammessolidarität, um es in Ibn Chaldūns Worten zu sagen,13 war ʿarabiyya, die arabische Hochsprache. Diese Wellen beschreiben weit umfassendere Ereignisse als Ibn Chaldūns Modell der zyklischen Abfolge von Stämmen und Dynasten. Die erste Welle breitete sich im Jahrtausend vor dem Auftreten des Islam ganz allmählich aus – ein ethnisches Selbstverständnis bildete sich heraus. Die zweite glich einem Tsunami, der sich mit den arabischen Eroberungen des 7. und 8. Jahrhunderts und deren Folgen geografisch weit ausdehnte, der dann aber ebenso rasch, wie er entstanden war, zurückwich und dabei ein reiches, beständiges Sprachsediment hinterließ. Die dritte Welle war eine der Wiederentdeckung des ethnischen, kulturellen – und später des kultischen – Selbstverständnisses, getragen von zunächst noch vor sich hinschlummernden Kräften, die im 19. Jahrhundert von nationalistischen Bewegungen aus Europa geweckt wurden. Diese Welle umspült uns noch heute. Das vorliegende Buch ist entsprechend den drei Wellen in drei etwa gleich lange Abschnitte gegliedert, die drei unterschiedlich lange Epochen behandeln: „Aufstieg“ und „Revolution“ (900 v. Chr. bis 630 n. Chr.); „Dominanz“ und „Niedergang“ (630 bis 1350); „Finsternis“ und „Wiederaufstieg“ (1350 bis heute).

Die Anfänge der ersten Welle, des erwachenden Selbstverständnisses, liegen im Dunkeln und sind schwer zu datieren. Aber es spricht einiges dafür, dass mit der Domestizierung von Kamelen, die als Lasttiere eingesetzt wurden, eine zunehmende Mobilität in Gang kam und immer mehr Araber in Fernhandel und Transportwesen tätig wurden. Das machte es unabdingbar, eine Sprache herauszubilden, mit der sich Sprecher unterschiedlicher nordarabischer Dialekte verständigen konnten (die Bewohner Südarabiens und die Menschen des Nordens gehörten unterschiedlichen Sprachfamilien an, die zwar verwandt waren, aber eine Verständigung unmöglich machten – einander etwa so nah wie das Deutsche und das Italienische). Allmählich bildete sich außerdem, wahrscheinlich über einen langen Zeitraum hinweg und lange vor dem 5. Jahrhundert n. Chr., im Zentrum der Halbinsel eine „Hochform“ dieser vereinheitlichten Sprache des Nordens aus, die ʿarabiyya. Sie hatte nur äußerst geringe Ähnlichkeit mit der im Alltag gesprochenen Sprache und diente als „mystische Zunge“ zur „Wahrsagung und Rezitation von Dichtung“.14 Wer diese besondere Sprachform beherrschte – in erster Linie der schāʿir, dem ältesten Wortsinn nach ein Seher oder Schamane, später dann ein „Dichter“ –, vermochte Anhänger um sich zu scharen. Kam es zu Raubzügen, wurde dem schāʿir gar die Rolle zuteil, für die auch Walt Whitman einen Dichter geeignet hielt: „Die tödlichste Kriegswaffe … mit jedem Wort aus seinem Mund vermag er Blut zu vergießen.“15

Der plötzliche Einschlag des Islam hat so viel Staub aufgewirbelt, dass der Blick auf vieles, was davor geschah, getrübt ist. Dennoch wissen wir einiges aus der Zeit vor dem schlagartigen Auftritt der Araber auf der Weltbühne, angefangen bei ihrer ältesten, dokumentierten Erwähnung im Jahre 853 v. Chr. In weiten Teilen Arabiens lebten Menschen in nicht sesshaften, schnell spaltbaren und reizbaren Gruppen; denn Stammesgruppen, die in einer lebensfeindlichen Umwelt umherziehen, müssen sich aufteilen, um Aussicht zu haben, den Kampf ums Überleben zu gewinnen. Zur Messung der Zeit dienten die Namen der Vorfahren, nicht Denkmäler oder Annalen. Gegen Ende des 1. Jahrtausends v. Chr. nehmen die Ränder dieser heterogenen Gesellschaft (falls der Begriff hier schon angebracht ist) allmählich Kontur an, was vor allem ihren Kontakten mit den benachbarten Imperien zu verdanken ist – Rom, Persien und Südarabien, das fruchtbare Bergland an Ferse und Innenrist der Halbinsel, wo das Königreich Saba (das biblische Scheba) und dessen Nachfolger über eine überwiegend sesshafte Bevölkerung herrschten.

Großreiche sind im Unterschied zu horizontal organisierten Stämmen und Clans hierarchisch und pyramidenförmig aufgebaut, um Arbeitsabläufe und Herrschaft effektiv organisieren zu können. Mit der Anerkennung durch die Imperien bildeten sich allmählich auch unter Arabern Hierarchien heraus, so finden sich etwa Belege für Phylarchen (Stammesführer) und später „Könige der Araber“.

Das alte nomadische, unstete Leben nahm langsam – an den Rändern – sesshaftere Formen an: Arabische Könige herrschten in zwischen Wüste und urbar gemachtem Land gelegenen Zentren, die teils Feldlagern, teils Städten glichen. In den Gebieten Nord- und Zentralarabiens schien sich die Gesellschaft von außen nach innen zu festigen, wie Wachs in einer Gießform. Könige bedürfen aber nicht nur der Anerkennung durch ihre Nachbarn, sie sind auch auf die ihres eigenen Volkes angewiesen: Sie leben von Lobpreis und Propaganda, dem Handwerkszeug der Dichter (die damals noch nicht so hießen). In diesem Umfeld bildete sich die Hochsprache in ihrer eigenen, noch heute erhaltenen Form heraus. Diese Sprache hatte das Potenzial, eine tiefer empfundene Einheit zu stiften. Johann Gottfried Herder, einer der Vordenker des modernen europäischen Nationalbewusstseins, wusste um diese Macht der Poesie. „Ein Dichter“, schrieb er 1778, „ist der Schöpfer eines Volkes um sich: er giebt ihnen [sic] eine Welt zu sehen und hat ihre Seelen in seiner Hand, sie dahin zu führen.“16

In Europa war das zu Herders Zeiten neues Terrain. In manchen Teilen Frankreichs sorgte etwa „ein Tagesmarsch in jedwede Himmelsrichtung [dafür], dass man nicht mehr verstanden wird“.17 Das Ideal einer einheitlichen Nationalsprache lag also damals noch in weiter Ferne. Ganz anders in der arabischen Welt. Reynold Nicholson, einem ihrer besten Kenner, verdanken wir die Erkenntnis, dass es die Poesie war, die Araber „moralisch und geistig lange vor Mohammed zu einer Nation gemacht hatte“.18

Natürlich wurde die Sprache der Dichter im Alltag nirgends gesprochen. „Nationale Geschlossenheit“ war ein dichterisches, ein proklamiertes Ideal. So ist es immer gewesen.

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