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Das Wort verbreitet sich

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Als im 6. Jahrhundert n. Chr. dieser Prozess der ethnischen Selbstfindung, räumlichen Sesshaftwerdung und geistigen Nationenbildung an Fahrt aufnahm, zogen die Mächte rund um Arabien in den Krieg: Römer (mittlerweile Byzantiner) gegen Perser und das äthiopische Kaiserreich von Aksum gegen das himyarische Südarabien. Als die imperiale Schale um sie herum Risse bekam, fiel auch die noch nicht gefestigte arabische Gesellschaft in sich zusammen. Ohne die Rückendeckung ihrer Partner verloren die arabischen Könige ihre Raison dʼÊtre, „die Araber“ ihren bestimmten Artikel, und Arabien wurde re-beduinisiert. Es entstand ein Durcheinander und Wettstreit vieler Stimmen, denn jeder Stamm hatte nicht nur seine eigenen Dichter, sondern außerdem – da immer mehr Sachverständige und Spezialisten auf dem Felde der Sprache hinzugekommen waren – seine eigenen chātibs (Redner) und kāhins (Wahrsager und Seher).

Das war der Nährboden aus Worten und Weissagungen, aus dem Mohammed erwuchs und von dem aus er die Redekunst auf neue, ungeahnte Höhen führte. Das Erstarken des Islam verdankt sich der Sprache: der mitreißenden Rezitation des dem alten, magischen Hocharabisch entsprungenen Koran, die den Hörern ein neues spirituelles Universum eröffnete, aber auch den Schlachtrufen und religiösen Formeln – allen voran die Beschwörung des allmächtigen alten mekkanischen Hochgotts: Allāhu akbar, Allah ist am größten.

Bei Ibn Chaldūn heißt es: Mohammed „versammelte die Araber im Wort des Islam“.19 Mohammeds Leistung besteht darin, die Aufgabe, die jedem hohen Scheich zufällt, in besonders vortrefflicher Weise erfüllt zu haben – die Stimme zu einen. Und damit ein Musterbeispiel geliefert zu haben, wie es gelingen kann, Worte zur raschen Verbreitung von Ideen einzusetzen und mit diesen wiederum eine Bewusstseinsänderung herbeizuführen. Vielleicht ist der Islam in der Menschheitsgeschichte sogar das Beispiel schlechthin dafür, dass man mit den Mitteln der Sprache – statt mit Körperkraft oder im darwinistischen Konkurrenzkampf ums Überleben – zu Macht kommen kann.20 Denn nur 100 Jahre nach dem Schlüsselerlebnis Abū Sufyāns hatten die arabischen Streitkräfte des Islam ein Gebiet erobert – oder genauer gesagt geplündert und stellenweise besetzt –, welches die Fläche des Römischen Reiches auf dem Gipfel seiner Macht noch weit übertraf. Noch ein paar Jahrzehnte später waren Araber mit ihrer neuen Hauptstadt Bagdad – deren vier Haupttore in alle vier Ecken der bekannten Welt wiesen – zu Global Playern geworden. Und auch ihre Sprache expandierte in die Welt, indem sie das große und dauerhafte Kulturreich namens Islam zunächst begründete und dann zusammenhielt – fester und schneller, als jedes Dogma es je vermocht hätte.21

Doch der eigene Erfolg wurde den Arabern zum Verhängnis. Dieselbe Sprache, die sie vor dem Islam kulturell und unter ihm politisch geeint hatte, zerstörte diese Einheit auch. Innerhalb weniger Generationen war die alte, magische, dichterische ʿarabiyya – das Hocharabische, das ethnische Erkennungszeichen schlechthin – zum Medium von Kultur, Gottesverehrung und Verwaltung im ganzen Reich geworden. Die einst vereinte Stimme zerstreute sich nun unter unzähligen arabisierten Völkern vom Pamir bis zu den Pyrenäen. Genetisch betrachtet gab es überall Araber. Aus linguistischer Sicht durchzog ihre Sprache diese weit gefasste Kultur mit ihrem unverwechselbaren Klang. Doch sie selbst verschwanden allmählich von der Bildfläche.

In Eugene Rogans Die Araber: Eine Geschichte von Unterdrückung und Aufbruch, das die Epoche von 1500 bis 2000 abdeckt, tritt dieser Vorgang des allmählichen Verschwindens bildlich zutage: Die ersten beiden Bildtafeln in dem Buch zeigen nicht etwa Araber, sondern florentinische Porträts ethnischer Türken. Wie wir noch sehen werden, spielt sich im Schatten dieser unsichtbaren Jahrhunderte eigentlich eine arabische Expansion ab, deren Ausmaß der ersten Eruption des Islam beinahe ebenbürtig ist – oder vielleicht noch bemerkenswerter als diese ist, gerade weil sie sich so beiläufig vollzog. Allerdings fand diese Expansion nur im Hinterhof der arabischen Welt statt, im Indischen Ozean. Andernorts blieben Araber zu Hause und sahen mit an, wie andere Reiche errichtet wurden.

Wenn es so etwas gibt wie eine „Grammatik“ der Geschichte, die sich analysieren lässt, ließe sich wohl sagen, dass die Mehrzahl der vormals so aktiven und nicht zu übersehenden Araber nun in Passivität verfallen waren und in der eigenen Vergangenheit lebten. Das grammatische Passiv in der arabischen Sprache jedenfalls wird tatsächlich auch als „unbekannte“ oder „namenlose“ Stimme bezeichnet – und es ist wohl nicht allzu weit hergeholt zu sagen, dass den Arabern ihr Name abhandengekommen war und sie in der größeren Gesamtheit der Muslime auf- beziehungsweise untergegangen waren.

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