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Wüste und Weide im Dialog

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Mobiler heißt nicht notwendigerweise vollständig nomadisch. Dennoch verlieh eine intrinsische Umtriebigkeit, das Gefühl, Lokalität und Loyalität seien beweglich, der arabischen Geschichte ihre besondere Würze. Die Geschichte ist ein Epos, aber ein Epos in Bewegung, mehr Odyssee als Ilias. Denn wie in der Odyssee geht es häufig um Begegnungen, von denen sich einige als produktiv, andere als destruktiv erweisen. In den jüngsten Kapiteln der Geschichte versuchen die Protagonisten, nach Hause zurückzukehren, zu ihrer Identität zurückzufinden. Dabei stellen sie wie Odysseus fest, dass die Zeit ihre Heimat verändert hat (oder sind sie es, die durch die Reise verändert wurden?). Auch wenn die Bewegung innehält, bleibt die Energie potenziell vorhanden, was vielleicht zum Teil erklärt, weshalb das auf Territorium basierende arabische Staatsexperiment, das seit dem 20. Jahrhundert im Gange ist, derart unter Beschuss steht. Denn was ist ein Staat anderes als statisch? Grenzen und Wanderlust sind nicht miteinander vereinbar.

Zugleich teilen sich diese rastlosen ʿarab ihren Namen mit einer Reihe sesshafter Völker. ʿArab, die Bezeichnung für eine periphere, mobile Minderheit, wurde schließlich zu einem Sammelbegriff für die Menschen der Wüste und Weide und allem dazwischen. Heutzutage beläuft sich das Verhältnis zwischen nomadischen und sesshaften Arabern allerhöchstens auf 1:100, und doch verzerrt der nomadische Blick auf die arabische Vergangenheit weiterhin das Bild, das sowohl Araber von sich als auch andere von ihnen haben. Nomadentum und Mobilität machen nur einen Teil der Geschichte aus. Ohne das sesshafte Element hätten Araber, ähnlich wie Tuareg oder Roma, kaum Einfluss auf die Weltgeschichte genommen oder, ähnlich wie die Mongolen, höchstens eine Sturzflut ausgelöst, die zuerst verwüstet und dann versickert. Die Realität ist außerdem deutlich komplexer als die griffige Dualität. Badw entstammen höchstwahrscheinlich sesshaften hadar-Volksgruppen. Oft werden sie von solchen wieder aufgenommen. Im Allgemeinen packen sesshafte Völker auch nicht massenhaft ihre Koffer, sie können aber kulturell beduinisiert werden. Badāwa selbst hat so viele Gesichter wie die Landschaft, reicht von Teilzeit-Hirtentum über Wanderweidewirtschaft bis hin zum seltenen kompromiss- wie wurzellosen Steppenläufer-Nomadismus.

Badw-hadar, Wüste und Weide, haben also nie einen unabänderlichen, gewissermaßen manichäischen Dualismus gebildet, kein „Sie-konnten-beisammen-nicht-kommen“. Im Gegenteil: Sie kommen zusammen, überschneiden sich, tauschen sich aus, und zwar am fruchtbarsten an Raststätten, wo Ortsgebundenheit und Beweglichkeit aufeinandertreffen: Oasen und Suks, Karawansereien und Pilgerstätten, deren Locus classicus – und mitnichten der Prototyp – Mekka ist. Das Wort sūq selbst ist eine semantische Wegkreuzung: Es beschreibt den Ort, an dem man seine Kamele verkauft, aber der Wortwurzel nach die Handlung, sie dorthin zu treiben.

Hadar und badw können sowohl gegeneinander- als auch zusammenwirken. Der oben zitierte Koranvers bringt wunderbar prägnant die zweideutige Beziehung zwischen sesshaftem schaʿb und umherziehender qabīla zum Ausdruck. Gott hat sie erschaffen, „damit ihr einander kennenlernt …“.20 Doch der Satz (im Arabischen ein einziges Wort, li-taʿārafū) ist doppeldeutig: Die vordergründige Bedeutung lautet, „sich kennenlernen, etwa durch wechselseitigen Kontakt“, aber im Hintergrund schwingt auch „sich unterscheiden/auseinanderhalten“ mit.21 Die Hoffnung auf Einheit und die lauernde Möglichkeit der Uneinigkeit existieren nebeneinander.

Ernest Gellner hat die Soziologie des Islam im Rahmen eines binären Systems von „urbanen“ versus „tribalen“ Strukturen untersucht und dafür Kritik geerntet.22 Der Islam, verstanden als die Weltreligion, die er geworden ist, ist viel zu groß und vielfältig, um in binären Begrifflichkeiten (geschweige denn als Monolith) erfasst zu werden. Und dennoch ist die Geschichte Arabiens von einem „Dialog“ zwischen badw und hadar geprägt.23 Meiner Auffassung nach hält dieser Dialog bis heute an, und ist darüber hinaus einer der Schlüssel zum Verständnis der arabischen Geschichte als Ganzes, nicht nur in Arabien, sondern weit darüber hinaus, von den Anfängen bis heute.

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