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Das Buch vom Stock

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Al-Dschāhiz, ein Experte für das Arabertum aus dem 9. Jahrhundert n. Chr., war der Ansicht, die wichtigste „Nationaleigenschaft“ der Menschen, mit denen er sich befasste, sei ihre Sprache. Da er auch wusste, wie wichtig das „Einen der Stimme“ war, widmete er diesem Thema ein kurzes, aber bedeutendes Werk mit einem seltsamen Titel: Das Buch vom Stock. Es richtete sich gegen eine überwiegend von Muslimen persischen Ursprungs getragene Protestbewegung, die behauptete, die Botschaft des Propheten Mohammed von Gleichheit und Eintracht sei von arabischen Chauvinisten – in ihren Augen ungehobelten, herumzeternden und mit Stöcken fuchtelnden Stammesangehörigen – pervertiert worden.

In seiner Schrift verteidigt al-Dschāhiz das traditionelle Arabertum und die Rute beziehungsweise den Stock, der zur körperlichen Züchtigung eingesetzt wurde. Der Stock, so sagt er, sei seit der wundersamen Verwandlung von Mosesʼ Stab in eine Schlange stets ein Zeichen der Macht gewesen, und führt eine Reihe von Belegen an: Der Stock sei des Magiers Zauberstab, des Herrschers Zepter sowie Symbol und Stütze des Redners – ein Taktstock, um die Massen zu führen, eine rhetorische Lehne im wörtlichen Sinn, ein Schwefelholz, um Revolutionen zu entfachen, ein Knüppel zu ihrer Unterdrückung. Andere fügten diesen Beispielen noch weitere hinzu – etwa das Schreibrohr des Schriftgelehrten, das sowohl Wunden lindern als auch Menschen vernichten könne:

Fürchte das Rohr, und ersehne es doch, denn es ist dafür bekannt, Gift und Heilmittel zu speien.26

Für die Macht der Sprache, die Macht über Menschen und die Vereinigung von Stimmen dürfte sich wohl kaum ein geeigneteres Symbol finden lassen als der Stock, das Rohr, der Stab. Sind die Stimmen einmal gebündelt und ist Einheit hergestellt, dann trifft jeden, der den Kampf gegen die Einheit aufnimmt, der Vorwurf, „den Stab zu brechen“.27

Die persische Protestbewegung war keineswegs die einzige. Im ganzen arabischen Reich lehnten sich Muslime koptischen, berberischen, iberischen und sonstigen Ursprungs gegen Ungleichbehandlung auf und mussten sich den Vorwurf gefallen lassen, sie brächen den Stab. Die meisten von ihnen erwiesen sich jedoch nur vorübergehend als Rebellen und integrierten sich im Laufe der Zeit in das arabische Reich oder assimilierten sich sogar vollständig. Das ethnische Gedächtnis ist weitaus vergesslicher, als man meinen könnte. Nur die Perser beharrten auf ihrer eigenen Geschichte und hielten an ihrer Sprache und Kultur fest. Das belastete die Beziehungen zu den arabischen Nachbarn und sorgt weiterhin für Spannungen.

Mit einem anderen, grundsätzlichen und systemischen Problem haben die arabischen Länder bis heute zu kämpfen: Ob die Einung des Wortes erfolgreich verläuft oder nicht, hängt nicht unbedingt von der objektiven Wahrheit dieses Wortes ab. Das Arabische hat selbstverständlich kein Monopol auf die massenhafte Manipulation der Wahrheit, aber es ist bemerkenswert gut darin. Schon Ibn Chaldūn wusste: „Die Kunst der Poesie und der Prosa liegt in Wörtern, nicht in Ideen. Die Ideen sind für die Wörter zweitrangig.“28 Anders gesagt: Versteht sich jemand auf überzeugende Redekunst und stiftet Gruppensolidarität, dann hat er damit zugleich den Beweis für die Wahrheit seiner Worte erbracht. Das zeigt sich nirgends besser als im Wunder des Koran: Er ist Wunder und Wahrheit zugleich, weil so viele Menschen an ihn glauben.

Aber nicht nur die religiöse Sprache erzeugt riesige Glaubensgemeinschaften. Wie der in Syrien geborene Dichter und Essayist Adonis einmal bemerkte, können Politik und Religion eine „organischen Verbindung“ miteinander eingehen, sodass „[…] Politik praktisch zu einer Art von religiöser Unterwerfung [islām] und einem Glaubensbekenntnis gegenüber dem herrschenden System [wird]. Alles andere wird automatisch als eine Art Abfall vom rechten Glauben und als Gotteslästerung hingestellt.“29

An anderer Stelle erläutert er, dass tauhīd (die Lehre von Gottes Einheit) ein sowohl theologischer als auch politischer Begriff sei: „Die Einsicht in die Wirkungsweise des tauhīd auf diesen beiden Ebenen bildet die Grundlage, um die Natur der Herrschaft im Islam zu begreifen und die arabische Geschichte nachzuvollziehen.“30 Damit ist das „Ja“ zu allem, was die Herrschenden sagen oder tun, dasselbe wie das „Amen“ zu Gottes Geboten. Die außerordentliche Disziplin, die Abū Sufyān in der Szene zu Beginn dieser Einleitung noch so bemerkenswert und erstaunlich fand, durchdringt inzwischen nicht mehr nur das sakrale Leben, sondern auch das säkulare. Widerspruch gilt als Häresie. Jedenfalls scheinen die säkularen Führer das zu denken.

Dabei können sie sich auf die Etymologie berufen. Das arabische Wort für „Politik“, siyāsa, unterscheidet sich der Bedeutung nach grundlegend von dem griechischen pólis, dem Zusammenleben in der Stadt. Siyāsa lässt sich in etwa wiedergeben als „Haltung und Dressur von Pferden, Kamelen etc.“.31

Vor diesem Hintergrund kann es nicht wundern, dass eine Einzelstimme nichts zählt gegen ʿasabiyya, gegen das geeinte Wort. Natürlich gibt es auch anderswo auf dieser Welt Orte, an denen abweichende Meinungsäußerungen erstickt werden. Doch in der arabischen Welt, wo die Macht der Rhetorik und die Angst vor dem Brechen des Stabes auch heute noch groß sind, fällt das leichter als anderswo.

Die Aufstände von 2011 waren eine Bühne, auf der vorübergehend einzelne Stimmen zu Wort kamen: „Jeder, wirklich jeder hier ist zum Redner geworden“, schrieb Ahdaf Soueif über die Demonstrierenden auf dem Befreiungsplatz in Kairo. „Wir haben unsere Stimme gefunden.“32 Fast alle von ihnen sind wieder zum Schweigen gebracht worden, übertönt vom geeinten Wort.

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