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Kapitel 1 Stimmen aus der Wüste: Früheste Araber Die Insel der Araber

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Nehmen wir die Landschaft als Ausgangspunkt, zäumen wir das etymologische Pferd von hinten auf: Wahrscheinlich gab es schon Araber, bevor es einen Ort mit dem Namen Arabien gab, und ganz sicher schon lange, bevor die gesamte Halbinsel nach ihnen benannt wurde. Denn angesichts der rastlosen arabischen Geschichte geht es in ihr eher um Menschen als um Orte, eher um Kerle als um Karten, um es mit E. C. Bentley zu sagen.1 Es ist daher auch vergeblich, nach einem genauen Ursprungsort der Araber Ausschau zu halten, wir müssen uns mit einer Ursprungsregion begnügen – mit der Arabischen Halbinsel und den angrenzenden Gebieten. Denn diese Landschaft ist prägend gewesen für das Schicksal von Arabern, die mittlerweile über so gut wie den ganzen Erdball verstreut sind. Der Blick zurück auf die Ursprünge gibt wichtige Aufschlüsse, um ihre jetzige Lage zu verstehen.

Das Wahrzeichen dieses arabischen Subkontinents, der Halbinsel selbst, ähnelt einem Klumpfuß, der auf die Unterseite des Iran zielt, beim Ausholen aber einen scharfen Rhinozeros-Stoß vom Horn von Afrika versetzt bekommt. Ein anderer Vergleich bietet sich vielleicht noch eher an: der mit Indien (einschließlich Pakistan, Nepal, Bangladesch und Sri Lanka) und Europa (ohne die europäischen Teile der ehemaligen Sowjetunion), den beiden anderen an Eurasien hängenden Subkontinenten.2 Denn einer möglichen Definition nach ist Arabien ebenfalls ein Subkontinent: Die Halbinsel liegt zusammen mit dem Fruchtbaren Halbmond des Irak und der Levante auf einer einzigen tektonischen Platte (vielleicht sollte man wegen der geringen Größe lieber von einem tektonischen Tellerchen sprechen), der arabischen Platte.

Alle drei Subkontinente sind flächenmäßig mit etwas über vier Millionen Quadratkilometern in etwa gleich groß. Damit hört die Ähnlichkeit zwischen ihnen aber auch schon auf. Südlich des Himalayas stellt Indien menschlicher Bewegung und direktem Austausch nur wenige natürliche Barrieren in den Weg: Das Land ist wie geschaffen für Einheit, für langlebige Königreiche und Imperien, auch wenn diese von Kriegen unterbrochen werden, in denen die Spieler wie bei der Reise nach Jerusalem abwechselnd einen Platz abbekommen. Europa hingegen wird vom Kap Finisterre in Galicien bis hin zum Balkan von einer Gebirgskette durchzogen und geteilt, ist an den Rändern in immer kleinere Halbinselchen zerfranst und zerfasert und hat küstennahe Inseln wie Großbritannien hervorgebracht. Es ist der Kampfplatz weniger beständiger Reiche, ein Flickenteppich streitsüchtiger Stämme, die widerwillig und historisch erst spät zu Nationalstaaten zusammengewachsen sind.3 Der Großteil Arabiens ist wie Indien frei von physischen Barrieren, doch es gibt ein Hindernis, das größer ist als die Meeresbuchten und Berge Europas: der Wassermangel. Indien und Europa sind auf den Niederschlagskarten erfrischend blau eingefärbt, Arabien dagegen zeigt ein dürres Braun, das ein Maximum von 250 mm Niederschlag pro Jahr markiert. Nur an den äußersten Rändern geht es in jeder Hinsicht aufwärts: an der südwestlichen Spitze des Jemen, an einigen Flecken im Oman, vor allem am al-Dschabal al-Achdar, „dem grünen Berg“ im äußersten Osten, und in den Bergen oben im Nordwesten des Libanon. Ganz im Nordosten bilden Tigris und Euphrat mit ihren leicht zugänglichen Wassermassen die Ausnahme, doch der von ihnen bewässerte Fruchtbare Halbmond hebt sich von der riesigen unfruchtbaren südlichen Halbinsel deutlich ab.

Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass Arabien sich in einer weiteren Hinsicht von den beiden anderen Subkontinenten unterscheidet. Der indische Teilkontinent mit einer Bevölkerungsanzahl von ca. 1,7 Milliarden war immer ein Migrationsziel, eine dicht bevölkerte Sackgasse. Ebenso der europäische mit seinen 540 Millionen Einwohnern, auch wenn ihm ein halbes Jahrtausend kolonialer Auswanderung etwas Entlastung brachte. Selbst wenn man die reicheren Länder des Fruchtbaren Halbmonds mitzählt, erreicht die Bevölkerung von Arabien weniger als ein Zehntel der Einwohnerzahl des indischen Subkontinents - rund 160 Millionen.4 Vor nur einer Generation – vor dem Zustrom der Petrodollars und der Expat-Spezies (Arbeiter aus Bangladesch, Bürohengste aus Kerala, texanische Ölcowboys, „Jumeirah Janes“ und die anderen Dauergäste von Downtown Dubai) –, betrug sie wohl nur ein Fünftel dessen, und auf der Halbinsel selbst lebten weniger als zehn Millionen Menschen.

Bevölkerungstechnisch hing die trockenere Halbinsel immer am Tropf des Fruchtbaren Halbmonds. Sie hat die Menschen aber nie wirklich aufgenommen, sondern ist immer eher ein Etappenziel gewesen. Das ist der Geografie geschuldet. Die Halbinsel ist an drei Stellen durch strategische Meerengen von ihren Nachbarn getrennt. An der Ferse und der Zehe gibt es zwei Wasserpassagen: Bab al-Mandab, mit 26 Kilometern nur etwas breiter als die Überfahrt von Dover nach Calais, und die Straße von Hormus, die mit 54 Kilometern in etwa der Entfernung zwischen Cape Cod und Nantucket entspricht. Die dritte Trennlinie, die trockene Passage des Sinai, ist mit 200 Kilometern zwar breiter, aber leicht überbrückbar. Und das ist genau der Punkt: Alle drei trennen, aber vereinen auch. Sie laden zum Überqueren ein.

Und überquert haben sie die frühen Hominiden und Menschen auf ihrer Reise aus Afrika wohl auch – sowohl der Homo erectus vor fast zwei Millionen Jahren als auch der Homo sapiens zu verschiedenen Phasen in der Zeitspanne zwischen 125 000 und 45 000 Jahren vor unserer Zeit, vielleicht sogar früher (Untersuchungen stehen noch aus). Eine Exodusroute führte sie durch den Sinai und über die Arabische Halbinsel; eine andere Route führte sie, als der Meeresspiegel viel niedriger und die Meeresstraße noch schmaler war als heute, über Bab al-Mandab südlich über die Halbinsel und weiter über die damals ebenfalls noch engere Straße von Hormus.

Im Gegensatz zu diesen drei Straßen lädt die Sohle der Halbinsel, die Südküste, nicht zur Überquerung ein: Von hier bis in die Antarktis gibt es nicht gerade viel Land. Aber die Südküste liegt im Einzugsgebiet saisonaler Winde, die arabische Seeleute und Siedler schließlich in den Indischen Ozean treiben sollten, in einen wachsenden kommerziellen Halbmond, der sich von Mosambik bis zur Straße von Malakka und darüber hinaus erstreckte. Ihre Meereskamele waren so zäh und schnittig wie ihre Wüstenschiffe und sie zähmten die Winde: Monsun kommt vom arabischen mausim und bedeutet „(Segel-)Saison“.

Zum Norden hin, wo die Halbinsel mit dem eurasischen Rumpf verbunden ist, gibt es keine Barriere, keinen Himalaya, der die Überquerung zum Fruchtbaren Halbmond und darüber hinaus verhindert. So verließen die Bewohner der Arabischen Halbinsel häufig, schon lange vor dem Aufkommen des Islam, ihr Durchgangslager auf der Halbinsel, um in Eurasien und in der Weltgeschichte zentralere Rollen einzunehmen. Einer „Wellentheorie“ zufolge gab es mehrere Auswanderungswellen von Nomaden, die zeitweise von der Halbinsel überschwappten und die Täler des Tigris, des Euphrats und des Nils erreichten.5 Obwohl es dafür klare Anhaltspunkte gibt – am deutlichsten für die letzte und größte Welle, den Tsunami nämlich, der vom Islam ausgelöst wurde – deutet nichts auf eine Regelmäßigkeit dieser Auswanderungsströme hin. Dabei gilt es zu bedenken, dass die Bewegung auf der nördlichen Route in beide Richtungen stattfand: Sprachwissenschaftliche Belege zeigen, dass die Arabische Halbinsel historisch gesehen vor allem von Einwanderern aus dem Fruchtbaren Halbmond bevölkert wurde. Es steht nahezu zweifelsfrei fest, dass in der Levante, dem Gebiet östlich des Mittelmeers, die semitische Sprachfamilie ihren Ursprung hat, wobei das Arabische viele der frühesten Merkmale dieser Sprachen bewahrt hat. Dies ist ein weiterer Grund, beide Gebiete in der Zusammenschau zu betrachten, als einen Subkontinent sowohl in geologischer als auch in sprachwissenschaftlicher Hinsicht. Die Wanderungswellen stellt man sich also besser als Gezeitenwechsel vor – zuletzt wieder als steigenden Wasserpegel aus Eurasien und darüber hinaus, angezogen vom Magnetfeld der Petrodollars.

All dies zeigt: Die „Insel der Araber“, wie arabische Geografen die Halbinsel ihrer Vorfahren bis zum Tal des Tigris und Euphrats nannten - in älteren arabischen Quellen wird nicht zwischen insula – „Insel“, und peninsula – „Beinahe-Insel“ unterschieden –, ist bemerkenswert uninselhaft und in Wirklichkeit gut mit den benachbarten Landmassen verbunden. Die Isolation findet eher im Kopf als auf der Landkarte statt.

Es deutet auch an, warum sich die Menschen in Arabien oft in Bewegung - und untereinander in Auseinandersetzungen - befanden und warum Arabien immer ein Ort des Kommens und Gehens, der allmählichen Zuströme und plötzlichen Zerstreuungen war. In mancher Hinsicht ähnelt die „Insel“ der Araber damit einer anderen gut vernetzten „Insel“ - einer, die auch ein Imperium gründen und ihre Sprache und Menschen exportieren sollte: Großbritannien. Wie von Briten könnte man wohl auch von Arabern sagen, dass sie häufig etwas von ihrem Inselcharakter exportierten. Doch es gibt einen großen Unterschied: Abgesehen von seiner Funktion als Pilgerstätte wurde Arabien nach jenem größten Exodus, der islamischen Expansion, zum Randgebiet. Das ist in etwa so, als wäre mit dem Aufstieg des britischen Imperiums Großbritannien selbst zum Provinznest geworden.

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