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Die Anstifter
ОглавлениеBei all diesen laut miteinander konkurrierenden Stimmen ist es nicht verwunderlich, dass das 6. Jahrhundert n. Chr. ein Zeitalter vieler „Tage“ war – der sogenannten Tage der Araber. Diese Schlachttage entstanden manchmal, wenn ein organisierter Überfall außer Kontrolle geriet; öfter hatten sie ihren Ursprung in kleinen Auseinandersetzungen über Weideland, in angeblicher Beleidigung oder ähnlichen Anlässen, die dann in Gewaltanwendung ausarteten. Doch ob es sich nun um kurze Geplänkel oder totalen Krieg handelte, immer waren sie einer Art von ritterlichem Verhaltenskodex unterworfen. Am Ende intervenierte eine neutrale Instanz und die Parteien schlossen Frieden oder einigten sich zumindest auf Reparationen: Die Anzahl der Gefallenen wurde ermittelt und der Seite Blutgeld entrichtet, die die meisten Opfer zu beklagen hatte. Manchmal war der finanzielle Verlust enorm, wie bei den Reparationszahlungen nach einem Krieg zwischen den Stämmen Abs und Dhubyān – 3000 Kamele für drei Jahre Kriegshandlungen.27
Der archetypische Zusammenstoß dieser Epoche war der Krieg von al-Basūs, der zwei „Bruderstämme“ gegeneinander aufbrachte – Taghlib und Bakr, deren Herrschaftsgebiete im Nordosten der Halbinsel sich bis nach Südirak und in die Syrische Wüste erstreckten und an die der Lachmidenkönige angrenzten. Beide Stämme beriefen sich auf denselben Urahn, Wāʾil. Der Konflikt hatte seinen Anfang vermutlich in den 490er-Jahren n. Chr., währte 40 Jahre und wurde von einem Ereignis nicht gerade welterschütternden Ausmaßes ausgelöst: Erschüttert wurden vielmehr Lercheneier in einem Nest in einer himā, einem Stück Privatweidegrund, auf den Kulaib, der Anführer der Taghlib, das Monopol innehatte. Als Verursacherin der Erschütterung machte dieser Kulaib eine ungeschickte Kamelstute namens Sarāb („Luftspiegelung“28) aus, die Eigentum eines Mitglieds des Bakr-Stammes war. Kulaib, der mit einer Frau der Bakr verheiratet war, bezichtigte nun ihren Bruder, die Kamelstute auf sein Weideland gelassen zu haben. Es entspann sich ein Wortwechsel, nicht mehr – bis sich eines schönen Tages die verdächtigte Kamelstute, hinter Kulaibs Kamelen an der Tränke anstehend, losriss und vordrängelte. Kulaib, den dieser Regelbruch aufs Äußerste erzürnte, griff kurzentschlossen zu seinem Bogen und schoss ihr in den Euter. Die Tante seines Schwagers, al-Basūs, nicht weniger erzürnt über diese an die Adresse des Kamelbesitzers, ihres Schützlings, gerichtete Beleidigung, riss sich daraufhin entrüstet das Kopftuch vom Haupt und feuerte ein paar Verse ab. Diese wurden als „die Anstifter“ bekannt und schließen wie folgt:
Doch nun lebe ich unter solchen Leuten: wenn der Wolf kommt, sind es meine Schafe, die er reißt!29
Ab hier nimmt der Plot dieser altertümlichen Seifenoper eine hässliche Wendung: Kulaib wurde von al-Basūsʼ Neffe, Dschassās, getötet und zwischen den Bruderstämmen entbrannte ein totaler Krieg. Die Vorhut dieses Kriegs bestand zwar „nur“ aus Worten, verursachte dafür aber umso mehr Opfer: Ein stolzer Dichter nach dem anderen tat sich mit Oden hervor, um den Konflikt anzuheizen, und die Tage und Opferzahlen mehrten sich. Wer nun meint, die Macht der Dichtung anzweifeln zu können, sollte bedenken: Der Krieg von al-Basūs ist weder nach Kulaib noch seinem Mörder benannt, sondern nach der alten Dame, die ihn mit ihren Versen entfachte. Frauen waren nicht die Geringsten unter den Kriegern: Sie rissen ihre Kopftücher ab, entblößten ihre Häupter zum Kampf und schwangen Wörter: „Krieg! Krieg! Krieg! Krieg!“ schrie eine,
Er ist aufgeflammt und hat uns verbrannt.
Das Hochland ist gefüllt mit seinem Gebrüll!30
Nur die völlige Erschöpfung der Kombattanten und das Eingreifen des Lachmidenkönigs setzten dem Gebrüll nach 40 Jahren ein Ende.31
Der große ägyptische Schriftsteller Taha Hussein meinte, vieles im Bericht über diesen Krieg sei eine Projektion von Auseinandersetzungen aus islamischer Zeit.32 Ob er damit nun richtig liegt oder nicht, der Krieg von al-Basūs und vergleichbare Konflikte (wie der Krieg von Dāhis, der von einem angeblichem Betrug bei einem Pferderennen ausgelöst wurde)33 spiegeln die chronische gesellschaftliche Brüchigkeit und Uneinigkeit wider, von denen das Jahrhundert vor dem Islam heimgesucht wurde. Das zweite Miniaturepos des vorislamischen Arabertums deckt außerdem die destruktive Kehrseite der Diaspora vom Maʾrib-Damm auf: Sesshafte Völker sahen sich nach neuen Weidegründen um – und brachten einander dann im Kampf um das Weiderecht um. Der Vater von Kulaibs Mörder Dschassās erkannte, wie schwer die Tat seines Sohnes wog: „Du hast die Einheit deines Volkes gebrochen … Bei Allah, der Stamm von Wāʾil wird nie wieder eins sein, nicht nach dem, was du getan hast.“34
Im Grunde hat der Krieg von al-Basūs immer noch kein Ende genommen, obwohl er ein wirklich abschreckendes Beispiel gesetzt hat. Stattdessen ist er zum Vorboten einer sich als nahezu endlos herausstellenden Uneinigkeit geworden, die sich heute, 1500 Jahre später, als eine Abfolge von Déjà-vus darstellt. Damals riss sich al-Basūs aus Protest ihr Kopftuch vom Haupt. Das tun die Frauen heute noch immer, oder sie verbrennen es. Kulaib (dessen Name „Hündchen“ bedeutet) ist das Modell des erfolgreichen und geliebten Anführers, des „wohlmeinenden Diktators“, der Realitätsverlust erleidet und sich unweigerlich (man muss nur lange genug warten) als böswillig entpuppt. Mehr als einmal habe ich meine Freunde kopfschüttelnd über die Vendetta, die der hiesige und heutige einstmals „wohlmeinende“ Diktator gegen die Eindringlinge in seine Weidegründe führt, sagen hören: „Schon wieder der verdammte Krieg von al-Basūs.“