Читать книгу Roter Herbst in Chortitza - Tim Tichatzki - Страница 17
Munition Osterwick 1920
ОглавлениеWilli keuchte, als er sich die Böschung hinaufmühte. Er war den ganzen Weg ohne Pause gerannt, um möglichst noch vor Maxim die Stelle zu erreichen, wo sie das MG zurückgelassen hatten. Seine Kleider klebten ihm am schweißnassen Körper und zum wiederholten Mal wischte er sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, die ihm immer wieder die Sicht versperrte. Oben angekommen musste er sich erst einmal auf seinen Knien abstützen, um wieder Luft zu bekommen. Doch es blieb ihm nicht viel Zeit. Er zwang sich, trotz seiner Seitenstiche weiterzulaufen.
Zum Glück konnte er sich auf seinen guten Orientierungssinn verlassen, sodass er nicht noch einmal durch das Dickicht kriechen musste. Er ging an der Baumreihe entlang und kam direkt zu der Stelle, wo die Mündung des MGs aus dem lichten Gestrüpp herausragte. Willi war überrascht, wie leicht es zu finden war, wenn man nur wusste, wo man suchen musste. Schnell bog er die wenigen Zweige zur Seite und wollte sich gerade die Metallkiste mit der Munition unter den Arm klemmen, da hörte er auch schon ihre Stimmen. Er fluchte leise. Einfach durchs offene Gelände davonzulaufen kam nun nicht mehr infrage. Maxim und Erwin hätten ihn sofort entdeckt.
Heute Morgen auf dem Weg zur Schule hatten sich Willi und Maxim wieder einmal heftig darüber gestritten, wie sie mit ihrem Fund weiter umgehen sollten. Maxim wollte, dass Abram die Brüder endlich über das MG informierte. Er war enttäuscht, dass der Pastor selbst nach der gestrigen Versammlung das Geheimnis weiterhin für sich behielt. Zu Unrecht, wie er fand, woraufhin er eigenmächtig beschloss, Erwin Wiebe zu der Fundstelle zu führen. Willi gelang es nicht mehr, seinen Freund davon abzubringen.
Er hatte den ganzen Morgen darüber nachgedacht, wie er es anstellen konnte, das MG unschädlich zu machen. Bis ihm kurz vor Ende der letzten Unterrichtsstunde ein Geistesblitz kam: Er konnte das Gewehr nicht verstecken, dafür war es viel zu schwer. Doch die Patronen konnte er sehr leicht an einen anderen Ort bringen. Das MG wäre dadurch unbrauchbar. Willi würde die versteckte Munition nur Abram zeigen, sobald der entschied, den Fund öffentlich bekannt zu machen.
„Es muss gleich hier irgendwo sein.“ Maxims Stimme klang laut und deutlich durch das Birkenwäldchen.
„Wehe, wenn du mich an der Nase herumführst und ich ganz umsonst durch diese Dornen gestiefelt bin“, schimpfte Erwin.
„Nein, keine Bange … Du wirst begeistert sein. Vertrau mir. Warte, ich glaube hier ist es schon.“
Mit den schweren Patronengurten über seinen Schultern zog sich Willi leise in das Dickicht zurück. Er musste sich flach auf den Boden kauern, da jeder weitere Schritt ihn unweigerlich verraten hätte. Er lag nun keine zehn Meter von Erwin und Maxim entfernt in den Büschen.
„Du hast nicht zu viel versprochen Maxim. Ein 08/15-MG. Und du bist dir sicher, dass es funktioniert?“ Erwin zeigte sich beeindruckt von der Waffe.
„Ja, bin ich. Ich weiß zwar nicht, ob es richtig zielt, aber es feuert ganz tadellos.“
„Und wo ist die Munition?“
„Da drüben in der Kiste.“
Willi hielt die Luft an. Jetzt war der Moment gekommen …
„Aber die Kiste ist leer. Hier ist keine Munition“, sagte Erwin.
„Doch, die ist da drin. Ganz sicher.“
Willi hörte, wie sie die Metallkiste untersuchten, begleitet von Maxims Beteuerungen, dass er nicht gelogen hatte.
„Ich wusste es doch. Du wolltest dich nur wichtigmachen. Was sollen wir denn bitteschön mit einem Gewehr ohne Munition anfangen?“ Erwin klang gereizt, wollte sich Maxims Geschichten nun nicht länger anhören. „Such erst mal die Munition und wenn du sie gefunden hast, kannst du mir ja noch mal Bescheid geben.“
Erwin machte kehrt und ließ den konsternierten Maxim allein im Wald zurück. Willi rührte sich noch immer nicht von der Stelle, sondern wartete geduldig, bis auch sein Freund wieder verschwunden war. Dann schlich er leise durch das Wäldchen, hinüber zu dem Versteck, das er sich für die Patronengurte ausgedacht hatte.