Читать книгу Zwischen Stern und Stall - Tina Willms - Страница 21
Wunschzettel
ОглавлениеIn den Wochen vor Weihnachten hat das Postamt in Himmelsthür bei Hildesheim alle Hände voll zu tun. Zigtausend Briefe gehen dort jährlich ein, adressiert an den Weihnachtsmann, der, wie die Kinder glauben, dort hinter der Himmelstür wohnt.
Aus aller Welt kommen sie: die Wunschzettel mit den großen und kleinen Kinderwünschen. Ich kann mir vorstellen, wie sie aussehen. Ich erinnere mich selbst noch gut daran, wie ich als Kind meinen Wunschzettel geschrieben habe. In Schönschrift und möglichst ohne einen Fehler. Dann habe ich meistens noch ein paar Bilder darauf gemalt: Einen Tannenbaum oder einen Schneemann, Sterne oder Kerzen. Der Weihnachtsmann sollte sehen, wie viel Mühe ich mir gemacht hatte, und sich über die Bilder freuen.
Auch die Auswahl der Wünsche habe ich gut bedacht. Nicht zu viele, denn es sollte nicht unbescheiden wirken. Aber mit zu wenig wollte ich mich auch nicht begnügen, auf gar keinen Fall.
Die Adresse in Himmelsthür kannte ich damals noch nicht. Meine Eltern übermittelten dem Weihnachtsmann meinen Brief.
Wie schön war es doch, als Kind eine Anschrift für seine Wünsche zu haben. Zu wissen, dort kommen sie an, dort werden sie gelesen oder gehört, ja, vielleicht sogar erfüllt.
Dann wurde ich größer, der Weihnachtsmann wurde zur Märchengestalt. Später erfuhr ich, dass das himmlische Postamt auf der Erde bei Hildesheim steht. Menschen beantworten dort die Briefe der Kinder.
Aber eine Adresse für meine Wünsche, die hätte ich immer noch gern.
Wie sähe der Wunschzettel aus, den ich heute, als Erwachsene, schreiben würde? In Gedanken setze ich mich hin und schreibe ihn auf.
Manches notiere ich, was ich gern für mich selbst hätte. Einen schönen Schal. Bücher oder CDs.
Aber ich merke, dass das gar nicht so entscheidend ist. Wichtiger sind die großen Wünsche, die ich ersehne für die Welt.
Friede auf Erden, notiere ich. Mir fällt die Nacht ein, in der Engel davon ein Lied gesungen haben.
Brot für die Welt, schreibe ich auf. Und denke an die Hilfsaktion, die in jedem Jahr am 1. Advent eröffnet wird.
Vieles kommt mir noch in den Sinn: dass Kinder ohne Gewalt aufwachsen können, dass kranke Menschen geheilt werden, dass alle Menschen sauberes Wasser zum Trinken haben.
Damit die kleinen Anliegen wahr werden, ist oft nur wenig nötig, handwerkliches Geschick oder der Gang in ein Geschäft. Die großen Wünsche brauchen mehr: Kraft und Fantasie, Mut und vor allem: einen langen Atem.
Ich kann diese Wünsche an Gottes Adresse schicken, als Gebet. Doch zum Erwachsensein gehört auch, anzuerkennen, dass nicht nur er für diese Wünsche zuständig ist. Ich selbst kann dazu beitragen, dass sie wahr werden. Ich will mich anstecken lassen vom Kind in der Krippe, das, groß geworden, Frieden gesät und Brot ausgeteilt, Wunden geheilt und Leben gebracht hat.