Читать книгу Zwischen Stern und Stall - Tina Willms - Страница 7
Wie im Märchen
ОглавлениеEin bitterarmes Mädchen bekommt einen Zaubertopf geschenkt. Wenn man sagt: „Töpfchen, koche!“, so kocht es süßen Hirsebrei. Wenn man sagt: „Töpfchen, steh’!“, so hört es zu kochen auf. Nun muss das Mädchen nie mehr Hunger leiden und auch seine Mutter hat an jedem Tag genug zu essen.
Eines Tages, als das Mädchen ausgegangen ist, befiehlt die Mutter: „Töpfchen, koche!“. Doch als sie satt ist, hat sie vergessen, wie der Befehl lautet, der den Topf zum Aufhören bringt. Und so kocht und kocht das Töpfchen weiter; der Brei quillt über und erfüllt das ganze Haus, um dann auf die Straße weiterzufließen.
Als das Mädchen nach Hause zurückkehren will, kommt ihm die dicke süße Masse entgegen. Entsetzt ruft es: „Töpfchen, steh’!“
In die Stadt aber gibt es keinen Weg mehr, es sei denn, man isst sich durch den süßen Brei hindurch.
Manchmal komme ich mir in der Adventszeit vor wie im Märchen „Der süße Brei“. Als sei das Zauberwort abhanden gekommen, das ein „Genug“ anzeigen und so das „Mehr und Mehr“ beenden könnte, das mich in dieser Zeit bedrängt: Die Geschenke – so scheint mir – werden immer größer und immer aufwändiger verpackt, die Plätzchenrezepte werden vielfältiger, die Weihnachtsfeiern ausufernder und die Dekorationen nehmen ein nahezu absurdes Ausmaß an.
Mir scheint, es gibt keinen Weg zum Weihnachtsfest an all dem vorbei. Ich fühle mich manchmal vollgestopft, überrumpelt oder gar überrollt davon. Die Musik auf dem Weihnachtsmarkt empfinde ich dann als Gedudel, die glitzernde Überfülle der Lichter blendet mich, und der Andrang in den Geschäften macht mich aggressiv.
Und es kommt – anders als im Märchen – niemand, um ein Zauberwort zu sprechen, das den Überfluss beendet, der zum Schrecken geworden ist.
Wie gut, wenn ich mich darauf besinnen kann, dass ich es bin, die die Adventszeit gestalten kann. Ich selber habe das Zauberwort in mir.
„Halt!“, könnte es heißen, „Weniger ist mehr“ oder „Es kommt auf den Inhalt an, nicht auf die Verpackung.“
Ich denke an das erste Weihnachtsfest. Armselig ging es dort zu. Und doch war alles da, was notwendig war. Gott beschenkte die Welt mit sich selbst.
Dieses Geschenk gleicht eher einem Schwarzbrot oder einem Apfel als süßem Brei. Es ist eher nahrhaft als klebrig süß und macht eher kraftvoll als dick.
Gott bedrängt und überrollt mich nicht. Er beschenkt mich mit sich selbst. Seine Energie geht auf mich über. Sein sanftes Licht steckt mich an. Seine Liebe erfasst mich und macht mich selbst zu einer Liebenden.