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Körpersprache ist nicht gleich Körpersprache
ОглавлениеNeben meiner Liebe für Beobachtung und deduktives Denken fing ich schon früh als Teenager an, mich intensiver für Körpersprache und nonverbale Kommunikation zu interessieren. Dabei verfolgte ich zwei verschiedene Ansätze: einerseits das Lesen und Deuten von Körpersprache und andererseits das bewusste Benutzen von Körpersprache als Schauspieler/Tänzer/Pantomime oder auch als Mittel, um das Publikum oder mein Gegenüber unbewusst zu lenken bzw. zu beeinflussen.
Meine ersten theoretischen Erfahrungen habe ich mit diversen Büchern von Samy Molcho gesammelt. Er war auch mit ein Grund, wieso ich eigentlich Schauspiel am Max-Reinhardt-Seminar in Wien studieren wollte – es kam dann aber anders, weil ich mich gegen ein reines Schauspielstudium entschied, um mehr Tanz-plus-Bewegungsunterricht und weniger Rollen- und Repertoirestudium zu haben.
Die ersten Samen allerdings wurden bei mir schon als kleiner Knirps im Zirkus Knie (Schweizer National-Circus) gesät. Jedes Jahr im Mai, wenn der Zirkus Knie in Zürich haltmachte, gingen wir mit der ganzen Familie zur Vorstellung, und ich war immer ganz fasziniert von der Atmosphäre, den Tieren, den Artisten. Am meisten berührt und geprägt hat mich jedoch Dimitri, der Clown. Die üblichen »Blödel«-Clowns fand ich als Kind manchmal auch okay, aber immer nur für einen kurzen Moment und für einen Lacher; es blieb jedoch nichts davon hängen.
Ein Dimitri aber oder später auch ein David Shiner und ein Peter Shub haben die Lust nach mehr in mir geweckt, etwas bewegt. Wie sie ohne Worte und oftmals mit »nichts« so viel kommunizieren und Emotionen wecken können, das ist fantastisch. Neben ihrer enormen Körperbeherrschung müssen sie extrem gute Beobachter sein, um all die Details aufzunehmen und ihre Geschichten auf das Minimum – die Essenz – reduzieren zu können.
Auf der anderen Seite gibt es die guten amerikanischen Stand-up-Comedians wie Eddie Murphy oder David Chappelle, die nur mit Worten riesige Zuschauermassen auf geniale Art zu unterhalten wissen.
Ich selbst wollte zwar weder Pantomime noch Comedian werden, aber das Minimalistische dieser Kunstformen hat mir besonders imponiert: Es geht nur um die Kommunikation zwischen dem Publikum und dem Künstler. Keine Lichteffekte, Requisiten und anderer Firlefanz – alles auf ein Minimum reduziert, aber mit einer umso größeren Wirkung!
So sehe ich auch meine Shows, mit jedem neuen Programm möchte ich puristischer werden. Auch ein Grund dafür, warum ich auf der Bühne immer ganz in Schwarz gekleidet bin. Nichts soll ablenken, nur das Gesicht und die Hände, mit denen ich sehr viel kommuniziere, müssen besonders herausgehoben werden.
Ich persönlich teile die Körpersprache in dreieinhalb Teilgebiete auf:
1. (a) Körpersprache als Ganzes: Hier wird der gesamte Körper betrachtet. Der Gang, die Körperhaltung, also das, was man klassischerweise unter Körpersprache versteht und was Pantomimen und Clowns so vorzüglich durch Übertreibung zur Darstellung bringen. Diese »Grundkörpersprache« können wir alle recht gut lesen. Dabei geht es eher um eine grobe Unterscheidung: Ist die Person mir gegenüber freundlich gestimmt oder nicht? Ist sie heute gut gelaunt oder müde?
Dazu gehört aber auch das allgemeine körperliche Erscheinungsbild: sportlich oder unsportlich, stark oder gebrechlich, über- oder untergewichtig …
Wenn man Körpersprache so betrachtet, dann sagt sie eher etwas über den Charakter, die Laune des Tages, die körperliche Verfassung und die Angewohnheiten aus, aber nicht unbedingt etwas darüber, was eine Person genau in dieser Sekunde denkt oder fühlt.
Dieser Ansatz liefert also nur eine grobe und oft auch offensichtliche Information: Ist jemand selbstbewusst, verängstigt, ist jemand nervös oder ist ihm kalt … Die Wechsel zwischen den einzelnen Körperhaltungen sind einfach zu beobachten, doch muss man natürlich auch die gesendeten Signale richtig deuten können.
1. (b) Gestik: Die Gestik ist bei jedem Menschen sehr individuell und hängt auch stark von der Kultur ab. Ein bestimmtes Handzeichen in einem Kulturraum kann etwas davon ganz Verschiedenes in einem anderen bedeuten. Im Buch Bodytalk von Desmond Morris findet man eine gute Auflistung von Handsignalen und ihrer Bedeutung, deren Ursprung und in welchen Ländern sie verwendet werden. Selbst die Gebärdensprache ist unpraktischerweise nicht einmal weltweit einheitlich …
2. Mimik: An der Mimik kann man mit Abstand am meisten ablesen, aber es ist auch der Bereich, den wir am meisten zu kontrollieren versuchen. Daher müssen wir lernen, die sozusagen gefakten Emotionen und Gesichtsausdrücke herauszufiltern, um das »wahre Gesicht« zu erkennen. Unser Gesicht ist, je nach Bezeichnungen und Definition, mit 43 verschiedenen Muskeln bestückt, mit denen wir bis zu zehntausend verschiedene Gesichtsausdrücke erzeugen können. Viele von diesen sind auch antrainierte und kulturell bedingte Gesichtsausdrücke, die aus Höflichkeit oder aus sozialen und beruflichen Gründen meist eine »maskierende« und damit etwas unechte Funktion haben: die zur Schau gestellte Freude über ein Geschenk, das man nicht wirklich haben will; das gequälte Lächeln eines Verlierers oder eine heuchlerische Reaktion dem Chef gegenüber.
Wie können wir nun aber bei all diesen vielen Variationen und den vielen unechten Gesichtsausdrücken überhaupt eine halbwegs verlässliche Schlussfolgerung ziehen? Die gute Nachricht lautet, dass wir alle nur eine Handvoll verschiedener Grundemotionen besitzen und die unmittelbare Reaktion auf einen äußeren Reiz (eine Frage, etwas, das wir sehen, spüren, schmecken …) nicht kontrollieren können.
Diese sogenannten Mikro-Expressionen sind unbewusste und ganz schnell erfolgende muskuläre Reaktionen, die durch einen Reiz ausgelöst werden. Das Tolle daran ist, dass diese Mikro-Expressionen ehrlich und nicht manipuliert sind, aber sie ergeben sich so schnell, dass beinahe alle Menschen, kein spezielles Training vorausgesetzt, diese »verpassen« und nicht deuten können. Daher ist es ein so großer Vorteil, bei TV-Duellen zwischen Politikern oder bei Zeugenaussagen das Bildmaterial ganz genau und manchmal auch Bild für Bild anschauen zu können, um Falschaussagen und andere Täuschungsmanöver zu erkennen.
3. Physiognomik/Phrenologie: Bei der Physiognomik wird behauptet, dass man an der äußeren Erscheinung und besonders den Gesichtsmerkmalen und Gesichtszügen den Charakter, die Eigenschaften und die Fähigkeiten eines Menschen erkennen und ablesen kann.
Die Physiognomik (oftmals auch als Kunst des »Gesichterlesens« bezeichnet) ist wie die Phrenologie, das »Charakterdeuten aufgrund des Schädels«, eine klassische Pseudowissenschaft und liefert nicht einmal ansatzweise irgendwelche Beweise oder brauchbare Resultate. Natürlich beeinflusst unsere Erscheinung uns und unsere Umwelt enorm, aber ob Sie ein kleines oder größeres, ein angewachsenes oder freies Ohrläppchen besitzen, sagt letztlich rein gar nichts über Ihren Charakter aus.
Unser äußeres Erscheinungsbild wird ständig von anderen und uns selbst beurteilt; dass dieses also einen gewissen Einfluss auf unser Verhalten und unseren Charakter hat, ist klar, aber es handelt sich dabei mehr um eine sich selbst erfüllende Prophezeiung und Autosuggestionen. Wenn Sie nun in einem anderen Land, in einer anderen Kultur aufgewachsen wären, dann hätten Sie sich zwar nicht genau gleich entwickelt, aber Ihr Ohrläppchen wäre immer noch gleich geformt.
Die Physiognomik und die Phrenologie waren in der Moderne lange verpönt, da damit unter anderem auch von den Nazis ein pseudowissenschaftlicher Rassismus betrieben wurde, aber in den letzten Jahren kam vor allem das »Gesichterlesen« wieder zu neuen Ehren.
Als seichte Unterhaltung – so wie ein Tageshoroskop in einer Tageszeitung, das man nicht ernst nimmt – kann es sicher lustig sein, sich dahingehend zu betätigen, aber wenn so etwas dann bei Firmen im Zuge der Jobbesetzung herangezogen wird, dann haben wir ein Problem.