Читать книгу Entfessle dein Potenzial - Tobias Heinemann - Страница 4
Einleitung
ОглавлениеMeine erste größere Überseereise, die ich alleine und sehr spontan im Sommer 1993 antrat, führte mich nach Kalifornien, genauer genommen nach San Diego und nach Los Angeles. Ich wohnte für einige Zeit bei Loch David, einem Künstler, Biker und College-Professor in einer Person, den ich kurz davor bei einem Auftritt in Eisenstadt, Österreich, kurz kennengelernt und dann spontan »angekickt« hatte, ob ich nicht in den Sommerferien während eines Aufenthalts bei ihm auf der Couch schlafen könne. Damals gab es »Couchsurfing« noch nicht, aber genau so lief es in etwa ab. Wir wurden gute Freunde, und San Diego gefiel mir damals so gut, dass ich unbedingt in Kalifornien studieren und arbeiten wollte.
Zwei Sommer später unternahm ich mit meinem älteren Bruder Gereon einen langen USA-Roadtrip. Dank der Kontakte meiner letzten Reise und dank Loch David hatte ich verschiedene Gigs in San Diego und L.A. an Land ziehen können, doch hauptsächlich ging es darum, Land und Leute kennenzulernen, Spaß zu haben und festzustellen, ob und wo ich gegebenenfalls ein Jahr später ein Schauspielstudium antreten sollte. Zur Auswahl standen die UCLA School of Theater, Film and Television in Westwood und die UCSD Theatre & Dance in La Jolla.
Letztendlich war dann aber London doch die bessere Wahl für mich, und ich studierte am Doreen Bird College of Performing Arts Tanz, Gesang und Schauspiel. Ich nahm das schlechtere Wetter und Essen in Kauf und bekam dafür einen strengeren Stundenplan und die einzigartige Theaterdichte im West End Londons als Ersatz. In vier Jahren in der Metropole sah ich an die zweihundert verschiedene Liveshows, was eine unbezahlbare »Zusatzausbildung« bedeutete …
Wenn ich allerdings an unseren Roadtrip in den USA zurückdenke, so ist es schon erstaunlich, wie gut wir uns nur mit einer sehr groben Karte des Flächenstaates – ganz Kalifornien auf einem DIN-A4-Blatt – zurechtgefunden haben! Ab und zu mussten wir uns zwar etwas »durchkämpfen« und auch mal mitten in der Wildnis im Auto übernachten, aber auch das hatte seinen Reiz. Geschichten zu erzählen hatten wir jedenfalls bald reichlich.
Einmal beispielsweise, als wir zur Rushhour in Los Angeles unterhalb und westlich der Hollywood Bowl im dichten Verkehr feststeckten und ahnten, dass es wohl ewig dauern würde, bis wir endlich auf der richtigen Straße landen würden, war der schnellste Ausweg aus dem Chaos ein unerlaubter U-Turn. Ich sah mich um, konnte weit und breit keinen Polizisten sehen, gab das Okay, und mein Bruder wendete das Auto bei der nächsten Gelegenheit. Kaum gedreht, heulten schon die Sirenen: Ein Polizist auf einer Harley-Davidson, der hinter einer Plakatwand versteckt war, hatte uns gesehen und brachte uns zum Anhalten.
Was dann geschah, schien wie aus einem Hollywoodfilm entlehnt. Über Megafon brüllte der Cop seine Aufforderungen: »Motor abstellen!«, »Hände ganz langsam auf das Armaturenbrett legen!« usw. Als mein Bruder kurz über seine linke Schulter blickte, wurde er erst richtig aggressiv und forderte uns auf, nach vorne zu sehen und uns nicht zu bewegen.
Im Rückspiegel sah ich, wie der Polizist sich uns langsam und jederzeit schussbereit näherte – es war ein schwarzer Cop mit verspiegelter Ray-Ban-Sonnenbrille, düsterer Miene und in einer angespannten Haltung.
Immer noch in forschem Ton forderte er meinen Bruder auf, ganz langsam das Fenster mit einer Hand zu öffnen, um dann vorsichtig die Fahrzeugpapiere und den Führerschein auszuhändigen. Als er feststellte, dass wir Touristen waren, entspannte sich jedoch sofort sein ganzer Körper. Seine Miene hellte sich auf, er nahm die Sonnenbrille ab und erklärte uns sehr freundlich unser Vergehen und dass es uns nun leider teuer zu stehen komme.
Ich erzählte ihm, dass wir uns auf dem Weg zum exklusiven und privaten Clubhouse der AMA in Hollywood verfahren hätten, und fragte, ob er uns helfen könne. Wir kannten zwar den Weg, aber so verschaffte ich mir die Möglichkeit, im Gespräch das Eis zu brechen – es ist immer eine gute Verhandlungstechnik, gleich zu Beginn vom Gegenüber eine positive Antwort abzuholen (und in diesem Falle etwas hilfebedürftig zu wirken).
Seine Augen fingen da regelrecht zu leuchten an, als er uns verriet, dass er schon reichlich Geschichten über dieses Clubhouse gehört habe, und als ich dann auch noch erwähnte, dass ich Gedankenleser und Mentalist sei und an diesem Abend dort auftreten würde, war er ganz aus dem Häuschen.
Er schlug mir einen Deal vor: Wenn ich ihn »knacken« könne, dann würden wir keinen Strafzettel bekommen! Gesagt, getan. Ich führte mit ihm also ein kurzes »Lügenexperiment« durch, bei dem er bei einer von fünf Fragen lügen sollte – und obwohl er sein Pokerface aufsetzte, wusste ich sofort, bei welcher Antwort er geschwindelt hatte.
Er strahlte über das ganze Gesicht wie ein kleiner Junge – Amerikaner sind ja sowieso super begeisterungsfähig und Afroamerikaner sowieso.
Die Situation war schon etwas surreal: Wenige Minuten zuvor hatten noch Anspannung und Gefahr in der Luft gelegen, und jetzt machte der Polizist Shakehands mit uns …
Das Ticket mussten wir natürlich nicht bezahlen – aber die Krönung kam erst noch, als er uns aufforderte, ihm zu folgen, er uns mit Blaulicht, teilweise auch mit Sirene, durch den Verkehr lotste und wir in unserem staubigen Nissan-Cherry-Mietwagen mitten durch Hollywood, unter anderem auch über den Hollywood Boulevard am berühmten TCL Chinese Theatre vorbei und bis zum AMA-Clubhouse chauffiert wurden! So hatten wir unsere eigene Polizeieskorte direkt bis zum Eingang des Clubhouse und die Valet-Parking-Boys kamen gar nicht mehr aus dem Staunen heraus.
Die Geheimnisse des Lügenexperiments, das ich damals mit diesem Polizisten durchgeführt habe, werde ich im Folgenden auch Ihnen vermitteln – und natürlich noch vieles mehr.
Als 2006 meine erste eigene Primetime-TV-Serie Der Gedankenjäger im Schweizer Fernsehen lief, wurde ich dann auf einen Schlag bei einem großen Fernsehpublikum bekannt, das Gedankenlesen, psychologische und mentale Experimente zum allerersten Mal so erlebt hat – damals gab es Serien wie The Mentalist, Lie to me oder Sherlock noch nicht. Dank des großen Erfolges meiner Sendereihe wurde ich mit E-Mails geradezu bombardiert.
Die inhaltliche Bandbreite dieser E-Mails war beeindruckend – von super erfreulich bis amüsant oder erschreckend abstoßend –, einige der kuriosesten finden Sie am Ende dieses Buches, und ich verspreche Ihnen, Sie werden sich am Kopf kratzen und schmunzeln müssen.
Eines der großen Themen, in unzähligen E-Mails, war immer, ob ich nicht ein Buch schreiben könne, in dem ich Interessierten beibringen würde, wie man sein Potenzial steigere, beziehungsweise ein Buch über die Techniken und Methoden, die ich verwende. So hatte ich über die letzten zehn Jahre hinweg immer im Hinterkopf, eines Tages ein solches Werk zu verfassen, das ich selbst auch gerne lesen würde – und nun halten Sie es in Ihren Händen.
Eines meiner Lieblingsbücher ist der Interviewband Truffaut/HITCHCOCK von François Truffaut und Alfred Hitchcock. Nicht nur, dass ich ein großer Fan von Hitchcocks Filmen bin – einige seiner Ideen haben mich als Regisseur meiner eigenen Bühnenprogramme und meiner eigenen TV-Shows geprägt –, sondern es fasziniert mich auch, wie er sein Publikum durch einen Film steuert, wie er Spannung erzeugt und ganz subtile Dinge für diejenigen einbaut, die einen Film mehrmals ansehen und diese Details dann erst entdecken.
Wenn ich ein neues Theaterprogramm oder eine neue Show schreibe/entwickle, zerbreche ich mir monatelang den Kopf, um dann zu entscheiden, wie ich das in meinen Augen beste Ergebnis in den Köpfen meiner Zuschauer erzeugen kann. In manchen Fällen bedeutet dies, dass ich mein Vorgehen (wie zum Beispiel beim Kontakt-Gedankenlesen oder beim blitzartigen Memorieren einer großen Datenmenge), meine Methode(n)/Technik(en) für ein Experiment ganz offen anspreche und so das Publikum Schritt für Schritt mitnehme. In anderen Fällen lasse ich alles offen oder deute eine Methode/Technik nur an, verwende dann aber vielleicht doch eine ganz andere oder einen Mix von Techniken, um somit das ultimative Erlebnis beim Zuschauer zu erreichen. Wie bei einem Maler sollte die Interpretation im Auge des Betrachters liegen, und jeder Einzelne soll für sich etwas ganz Bestimmtes sehen, empfinden und erleben.
Ich nehme die Besucher mit auf eine Reise, daher auch der treffende Name meines aktuellen Theaterprogramms »JOURNEY« – in den Passagen zum »Gedankenlesen« bzw. zum »Lesen einer Person« und in verschiedenen Unterkapiteln zum Thema »Memory« werden Sie übrigens Techniken finden, die ich genau so regelmäßig erfolgreich als Gedankenleser und Mentalist anwende. Vieles, was ich auf der Bühne oder im Fernsehen zeige, ist nichts anderes als eine Mischung aus verschiedenen Techniken, Methoden – und effektvoller Darbietung.
Oftmals hat die Präsentation in einer Show mit einer wirklichen Lebenssituation jedoch nicht so viel zu tun, da sich die Personen auf der Bühne nicht immer gleich verhalten wie im Alltag. Aber das macht nichts: Die Mechanismen, die greifen, sind ähnlich.
Die Bühne ist meine Spielwiese, mein Schachbrett: Ich kontrolliere die Situation und bestimme die Parameter – was ich Ihnen für wichtige Meetings und Verhandlungen auch empfehlen werde: Bestimmen Sie den Ort des Geschehens, wer wo sitzt, das Tempo usw.; je mehr Sie kontrollieren, umso einfacher ist es, sich aufs Wesentliche zu konzentrieren. In vertrauten Umgebungen und Situationen funktionieren wir einfach besser, und wieso sollten wir diesen Vorteil nicht nutzen?
Ein Großteil von dem, was ich da auf der Bühne mache, ist nur für mich und auf die jeweilige Situation ausgelegt; dieses Buch soll entsprechend auch keine Anleitung: »Wie werde ich Mentalist?!« sein, sondern ich habe Strategien, Methoden und Techniken für Sie ausgewählt, mit denen Sie auch in Ihrem Alltag etwas anfangen können; manche sind etwas akademischer (wie zum Beispiel das Memorieren von Namen, Begriffen usw.) und erfordern einen aktiven Einsatzwillen Ihrerseits, andere (wie etwa die Grundregeln der Beeinflussung) können Sie gleich umsetzen und sofort im täglichen Leben anwenden.
Es sind keine Pseudo-Methoden oder glorifizierte Schreibtisch-Ideen, die ich Ihnen präsentiere und selbst gar nicht wirklich verwende, so nach dem Motto: »Hier ist eine Anleitung, wie man es machen könnte – und ich mache dann doch alles anders.« Es gibt schon genügend unnütze Bücher auf dem Markt, und ich möchte weder meine noch Ihre Zeit verschwenden, und natürlich auch kein Papier.
Für mich sind es alles spannende Themen, die ich vor Ihnen ausbreite und die mich teilweise schon mein ganzes Leben lang begleiten und begeistern. Und ich kann Ihnen versprechen, dass Sie mit den Ideen im Buch Ihr Potenzial im beruflichen wie auch im privaten Bereich auf ganz unerwartet neue Art und Weise ausreizen werden.
Mein Ziel ist es, Sie mit diesem Buch zu inspirieren, Ihnen an manchen Stellen auch ein wenig die Augen zu öffnen (Stichwort »Cold Reading«) und Ihnen mentale Werkzeuge an die Hand zu geben, die Sie bitte gleich zum Einsatz bringen mögen.
Es würde mich freuen, wenn ich dieses Ziel tatsächlich erreichen könnte – wenn ja, freue ich mich, von Ihnen zu hören, und wenn nicht, dann geben Sie das Buch doch Ihrem nervigen Nachbarskind, vielleicht wird es Sie dann ja in Zukunft noch positiv überraschen …