Читать книгу Praxishandbuch DSGVO - Tobias Rothkegel - Страница 83
4. Verarbeitung personenbezogener Daten zu Zwecken der Werbung
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Die DSGVO beinhaltet – anders als das BDSG a.F. in § 28 Abs. 3–5 BDSG a.F. – keine Sondervorschriften für die Verarbeitung personenbezogener Daten zu Zwecken der Werbung. Damit richtet sich deren Zulässigkeit also nach den allgemeinen Erlaubnisvorschriften gem. Art. 6 Abs. 1 DSGVO.140
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Der Begriff der „Werbung“ ist dabei weit zu verstehen und lehnt sich an Art. 2 lit. a der Richtlinie über irreführende und vergleichende Werbung an.141 Demnach ist „Werbung“ jede Äußerung bei der Ausübung eines Handels, Gewerbes, Handwerks oder freien Berufs mit dem Ziel, den Absatz von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen, einschließlich unbeweglicher Sachen, Rechte und Verpflichtungen, zu fördern.
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Einerseits kann die Verarbeitung personenbezogener Daten zu Zwecken der Werbung auf eine Einwilligung der betroffenen Person gestützt werden. Die Voraussetzungen für die Wirksamkeit einer Einwilligung werden ausführlich unter Rn. 243ff. erläutert. Zudem werden in Kap. 17 Rn. 125ff. die speziellen Anforderungen an Einwilligungen zu Werbezwecken im Bereich des Customer-Relationship-Management erläutert, insbesondere vor dem Hintergrund der sich aus der ePrivacy-Richtlinie 2002/58/EG ergebenden Besonderheiten.
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Holt der Verantwortliche keine entsprechende Einwilligung von der betroffenen Person ein oder erfasst die eingeholte Einwilligung die geplante Verarbeitung der Daten nicht, kann der Verantwortliche deren Verarbeitung zu Werbezwecken aber ggf. auch auf gesetzliche Erlaubnisvorschriften stützen. Zumindest in bestimmten Einzelfällen ist es denkbar, eine solche Datenverarbeitung auf Art. 6 Abs. 1 lit. b DSGVO zu stützen.142 In den weitaus meisten Fällen kommt als gesetzliche Rechtsgrundlage insoweit allerdings Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO („Datenverarbeitung auf Basis einer Interessenabwägung“) in Betracht, soweit es sich bei der betroffenen Person um kein Kind handelt.143 So besagt auch Erwägungsgrund 47 ausdrücklich, dass die Verarbeitung personenbezogener Daten zum Zwecke der Direktwerbung als eine einem berechtigten Interesse dienende Verarbeitung betrachtet werden kann.144
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Damit eröffnet die DSGVO Werbetreibenden Datenverarbeitungs- und Nutzungsmöglichkeiten, ohne eine entsprechende Einwilligungserklärung der betroffenen Person einholen zu müssen. So enthält Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO auch keine § 28 Abs. 3 S. 2 BDSG a.F. entsprechende Beschränkung der Datenkategorien (auf die sogenannten Listendaten), die zu Zwecken der Werbung verarbeitet werden dürfen. Vielmehr erlaubt die Vorschrift – sofern die Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind – die Verarbeitung sämtlicher Datenkategorien (mit Ausnahme der besonderen Kategorien personenbezogener Daten, deren Verarbeitung sich zuvorderst nach Art. 9 DSGVO (wohl i.V.m. Art. 6 Abs. 1 DSGVO)145 richtet, und von Daten über strafrechtliche Verurteilungen und Straftaten gem. Art. 10 DSGVO).
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Aus der Formulierung in Erwägungsgrund 47 DSGVO, dass die Verarbeitung personenbezogener Daten zum Zwecke der Direktwerbung als eine einem berechtigten Interesse dienende Verarbeitung betrachtet werden kann, kann nicht nur entnommen werden, dass Direktwerbung ein berechtigtes Interesse i.S.d. Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO sein kann.146 Vielmehr bestehen nach hier vertretener Ansicht gute Argumente, dass aus dieser Formulierung eventuell auch entnommen werden kann, dass die Verarbeitung personenbezogener Daten zu Zwecken der Direktwerbung auch ohne Einwilligung der betroffenen Person nach Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO grundsätzlich zulässig ist (die Interessenabwägung also grundsätzlich zugunsten des Verantwortlichen/Dritten ausgeht) – wobei dies allerdings stets im Einzelfall zu prüfen ist und von der jeweils konkreten Werbemaßnahme abhängt –, wenn:
– die Datenverarbeitung erforderlich zur Durchführung der Direktwerbung ist,
– die Datenverarbeitung zu Werbezwecken für die betroffene Person vernünftigerweise zu erwarten war (z.B. durch eine entsprechende Information auf der Website, über die die zu verarbeitenden Daten erhoben wurden, typische Akzeptanz in der jeweiligen Sozialsphäre)147 und
– ein „Näheverhältnis“ zwischen dem Verantwortlichen und der betroffenen Person besteht, wobei nach Erwägungsgrund 47 DSGVO ein solches Näheverhältnis bestehen kann, wenn die betroffene Person ein Kunde des Verantwortlichen ist.148
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Auch wenn eine betroffene Person selbst mit einem gewerblichen Händler/Anbieter in Kontakt tritt, kann ggf. eine entsprechende vernünftige Erwartungshaltung sowie ein ausreichendes Näheverhältnis bestehen.149 Ebenso kann die Verarbeitung von Daten zu Werbezwecken, die ein Verantwortlicher von einem anderen Verantwortlichen – z.B. einem Datenhändler – erhält, nach hier vertretener Ansicht ggf. auf Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO gestützt werden.150 In diesem Fall ist dann aber besonders sorgfältig zu prüfen, ob in der jeweiligen Konstellation nicht doch die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, überwiegen, zumal die Datenschutzaufsichtsbehörden Erlaubnisvorschriften bei der Verarbeitung personenbezogener Daten zu Zwecken der Werbung i.d.R. restriktiv auslegen.
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Allerdings ist in diesem Zusammenhang stets zu beachten, dass die werbliche Ansprache einer betroffenen Person in vielen Fällen, z.B. bei E-Mail- und telefonischer Werbung, nicht durch die DSGVO geregelt wird. So geht die Datenschutzrichtlinie in der elektronischen Kommunikation 2002/58/EG der DSGVO nach Art. 95 DSGVO unter den dort genannten Voraussetzungen vor. In Deutschland wurde diese Richtlinie u.a. in § 7 UWG umgesetzt, der u.a. die werbliche Ansprache mittels E-Mail und Telefonanrufen regelt. Vor diesem Hintergrund haben die in § 7 UWG enthaltenen Regelungen, die der Umsetzung der genannten Richtlinie dienen – z.B. das grundsätzliche Zustimmungserfordernis zu telefonischer und elektronischer Direktwerbung –, nach hier vertretener Ansicht Vorrang vor den allgemeinen Regelungen der DSGVO, z.B. in Art. 6 DSGVO.151
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Dafür, dass die Verarbeitung personenbezogener Daten zu Zwecken der Direktwerbung in vielen Fallkonstellationen auf Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO gestützt werden kann, steht den betroffenen Personen – quasi im Gegenzug – im Fall der Verarbeitung ihrer Daten zu Zwecken des Direktmarketing ein Widerspruchsrecht nach Art. 21 Abs. 2 DSGVO zu. Über dieses Recht hat der Verantwortliche die betroffene Person gem. Art. 13 Abs. 2 lit. b DSGVO zum Zeitpunkt der Datenerhebung bzw. gem. Art. 14 Abs. 2 lit. c DSGVO innerhalb der in Art. 14 Abs. 3 DSGVO normierten Frist zu informieren. Übt die betroffene Person dieses Recht aus, darf der Verantwortliche keine Daten der betroffenen Person mehr auf Grundlage von Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO für Werbezwecke verarbeiten.
Stellungnahmen der deutschen Datenschutzaufsichtsbehörden
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Die deutschen Datenschutzaufsichtsbehörden haben bereits mehrere Stellungnahmen zur Verarbeitung personenbezogener Daten für Werbezwecke veröffentlicht – insbesondere die „Orientierungshilfe der Aufsichtsbehörden zur Verarbeitung von personenbezogenen Daten für Zwecke der Direktwerbung unter Geltung der Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO)“.152
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In dieser Orientierungshilfe erläutern die deutschen Datenschutzaufsichtsbehörden ausführlich sowohl die nach ihrer Ansicht bestehenden allgemeinen Anforderungen an die Verarbeitung personenbezogener Daten zu Zwecken der Werbung als auch die besonderen Voraussetzungen für bestimmte Fallgruppen der Werbung, z.B. für die Datenerhebung anlässlich von Preisausschreiben, Beipack-Werbung, Freundschafts- und Empfehlungswerbung, Nutzung von E-Mailadressen von Bestandskunden etc.
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Hierbei vertreten die Datenschutzaufsichtsbehörden i.d.R. relativ strenge Positionen. Zwar ist z.B. auch nach Ansicht der Behörden postalische Werbung gegenüber Kunden im Nachgang zu einer Bestellung ohne weitere Selektion oder bei Vornahme einer Selektion, die keinen weiteren Erkenntnisgewinn mit sich bringt, grundsätzlich auf Basis von Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO zulässig.153 Sollte sich durch die Selektion allerdings ein Erkenntnisgewinn ergeben, wäre die Datenverarbeitung hingegen ohne Einwilligung regelmäßig unzulässig. Ebenso könnten die Profilbildung sowie Verhaltensprognosen- bzw. -analysen, die zu zusätzlichen Erkenntnissen führen, i.d.R. nicht auf Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO gestützt werden.154
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Allerdings wird die Orientierungshilfe der deutschen Datenschutzaufsichtsbehörden in der datenschutzrechtlichen Literatur – zu Recht – als zumindest teilweise zu restriktiv kritisiert, weil darin z.B. keine hinreichende Unterscheidung getroffen werde, ob sich die Werbung an Verbraucher oder an Unternehmer richte und das Profiling zu Zwecken der Werbung auf Basis von Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO sowie die Freundschaftswerbung zu pauschal als unzulässig erachtet werde.155
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Für Unternehmen, die personenbezogene Daten zu Werbezwecken verarbeiten wollen, ergibt sich vor diesem Hintergrund die folgende Empfehlung: In einem ersten Schritt sollte das jeweilige Unternehmen die Orientierungshilfe der Datenschutzkonferenz dahingehend prüfen, ob sie Hinweise für die geplante Form der Datenverarbeitung zu Werbezwecken enthält. Soweit möglich, sollte das Unternehmen diese Hinweise zur Vermeidung etwaiger Haftungsrisiken einhalten. Auch wenn die deutschen Datenschutzaufsichtsbehörden die DSGVO nicht rechtsverbindlich auslegen dürfen, ist mit großer Sicherheit davon auszugehen, dass sie das in dieser Orientierungshilfe geäußerte Verständnis grundsätzlich auch im Einzelfall (z.B. bei der Prüfung der Zulässigkeit der Datenverarbeitung) ihrer Auslegung der DSGVO zugrunde legen und ggf. auf dieser Basis Bußgelder verhängen werden. Allerdings wäre ein etwa damit (im Anschluss) befasstes Gericht an diese Auslegung nicht gebunden.
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Sollte das Unternehmen eine Verarbeitung beabsichtigen, die von den Hinweisen der Datenschutzaufsichtsbehörden abweicht, sollte das Unternehmen im Einzelfall prüfen, ob die Datenverarbeitung entgegen diesen Hinweisen (doch) auf Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO gestützt werden kann. So sind die Ausführungen in der Orientierungshilfe auch nach hier vertretener Ansicht teilweise zu pauschal – insbesondere im Hinblick auf die Profilbildung sowie die Verhaltensanalyse und -prognose – und dabei dann auch zu restriktiv. So kann es sein, dass bei der geplanten Verarbeitung ein Ausnahmefall besteht, der eine Abweichung von den pauschalen und grundsätzlichen Ausführungen rechtfertigt – unter Umständen sogar auch nach Ansicht der Datenschutzaufsichtsbehörden. Deshalb sollten Unternehmen in einem solchen Fall insbesondere den Grad der Abweichung von den Hinweisen der Datenschutzaufsichtsbehörden sowie die (tatsächlichen) Umstände des Einzelfalls ermitteln und dokumentieren, die die Abweichung rechtfertigen könnten, und auf dieser Basis dann im Einzelfall die Interessenabwägung nach Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO durchführen.
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Angesichts der großen Vielzahl an unterschiedlichen Fallgestaltungen bei der Verarbeitung von personenbezogenen Daten zu Werbezwecken und dem begrenzten Umfang dieses Buches kann an dieser Stelle nicht konkret auf einzelne Fallgestaltungen eingegangen werden. In Kapitel 17 finden sich in diesem Zusammenhang aber konkrete Ausführungen zu den besonders praxisrelevanten Themen des „Web Tracking und Online Advertising“ und des „Customer Relationship Management“.