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Kapitel 9: Blut für Tokep

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Eine unheimliche Stille ging vom gebannten Publikum aus. Die Kinder wendeten wimmernd ihren Blick ab, die Erwachsenen hielten ihn gespannt, unfähig zu blinzeln. Welcher Schrecken würde dort, in dem Schacht, auf den jungen Rebellen warten? Saibo schluckte und Krokarr glitt aus den Schatten seines Verlieses hervor. Ein monströses Maul fraß sich durch das Wasser. An seinem Ende fixierten zwei, kleine, gierige Augen den überwältigten Rebellen. Der kolossale Körper der Panzerechse trat aus den Schatten und brach in titanengleicher Manier durch die, auf der Wasseroberfläche treibenden Blütenblätter. Die lederne, dicke Haut des Tieres, übersät von Narben und rüstungsgleichen, knöchernen Platten. Das grau-grüne Ungetüm segelte nun in seiner ganzen Pracht durch das Nass. Dem bis dato vom Leben überzeugten Saibo erschlug bei diesem Anblick die Keule des Zweifels. War es vorher, der Rebell, der Selbstsicherheit in der Arena ausstrahlte, war es nun Krokarr, welcher von Blutgier getrieben den unheilvollen Ausgang dieses Kampfes erahnen ließ. Er wirkte wie eine Monstrosität aus einer anderen Welt. Größer als drei Männer zusammen, ließ er den vergleichsweise mickrigen Rebellen wie nichts weiter, als eine Zwischenmahlzeit dastehen.

Krokarr zog seine Bahnen. Nicht für den bruchteil einer Sekunde wagte Saibo es, die Echse aus den Augen zu lassen. Der scheinbar kein Ende nehmende Körper des Krokodils durchzog das Wasser und war allgegenwärtig. Wieder und wieder umkreiste Krokarr die kleine Insel. Plötzlich tauchte er ab. Friedlich trieben die sattroten Blütenblätter auf der stillen Wasseroberfläche. Saibo schluckte. Solange Krokarr zu sehen war, konnte er sich ans andere Ende der Insel stellen, weg vom Maul des Krokodils, doch nun war nichts mehr zu sehen. Unruhig zuckten die Füße des Rebellen. Hektisch warf er von der Mitte der Insel den Blick hin und her. Alles um ihn herum war wie eingefroren, nur sein Adrenalin pumpendes Herz nahm er wahr. Völlig unscheinbar erschien das Haupt Krokarrs direkt vor ihm. Ihre Blicke trafen sich und Krokarrs kalte, mörderische Augen zogen Saibo in einen fast schon hypnotischen Bann. Auf Leben und Tod standen sie sich gegenüber. Das gigantische Krokodil mit seinem von rasiermesserscharfen Zähnen besetzten Maul und der erschöpfte Rebell mit seiner rostigen Klinge. Die Luft war nun so dick, dass er sie mit seinem Schwert hätte durchschneiden können. Keiner von Beiden rührte sich, stattdessen brannten ihre Blicke, stumm und regungslos ineinander. Ein mächtiges Brüllen donnerte und Krokarr schnellte blitzartig in einem Satz hervor. Der tiefe Schlund des Ungetüms erschien zwischen seinen zum Zermalmen geschaffenen Kiefern und schoss auf Saibo zu. Reflexartig machte der Rebell einen Satz rückwärts und entkam knapp dem Schnappen des Krokodils. Einen kurzen Augenblick lag Krokarr nun vor ihm, doch huschte schnell wieder mit einem breiten Platscher zurück in das Nass. Knapp dem Tode entronnen, hechelte Saibo erschrocken und schwer. Krokarr umkreiste erneut die Insel. Nicht länger ruhig, noch beherrscht folgte Saibo aufgeregt den Bahnen des Krokodils. Aufgewühlt tänzelte er über die Insel, sein Schwert stets zum Schlagen bereit in Position. Krokarr tauchte ab. Ruhe. Ein einzelner Schweißtropfen rannte Saibo vom Stirnband hinunter über die Stirn und verlief an der Augenbraue seitlich, bis er schließlich auf das warme Gestein tropfte. Sein Mund war trocken, seine Augen weit aufgerissen und von Krokarr keine Spur zu sehen. Wütend stampfte er auf.

»Komm her!« Forderte er die Bestie brüllend heraus und schlug sich mit der freien Faust auf die Brust. »Komm her!«

Krokarr, als verstände er die Herausforderung, brach aus dem stillen Wasser hervor. Breit spritzten die Tropfen zu den Seiten weg, als das Krokodil in rasantem Tempo hervorschoss und erneut nach dem Rebellen schnappte. Der Kiefer klappte zu, erneut war es Saibo gelungen auszuweichen, doch zu einem tödlichen Preis. Ungestüm war er zurückgehechtet, den Rand der Insel nicht beachtend, stürzte er rückwärts in das verhängnisvolle Becken. Als er unter Wasser, nach einer Schocksekunde erkannte, was passiert war, riss er sich hoch an die Oberfläche. Prustend schnappte er nach Luft, wischte sich die feuchten Augen und suchte panisch nach dem Krokodil. Krokarr lag noch auf der Insel, doch hatte seine Beute bereits von Neuem ins Auge gefasst. Der nasse Kopf des Rebellen ragte zwischen den roten Blüten hervor. Sein ganzer Körper trieb im tödlichen Nass und bemerkte er seine unglückliche Position, war Krokarr schon lange Bewusst, dass der Rebell in diesem Moment wie auf dem Silbertablett serviert war. Als wäre seine Lage nicht schon misslich genug, erblickte Saibo nun auch noch sein Schwert auf der Insel, beim Sturz zurückgelassen, neben Krokarr liegend. Krokarr verweilte eine, vielleicht zwei Sekunden, krabbelte mit seinen kurzen Beinen so schnell er konnte von der Insel herunter und verschwand in der Tiefe. Der Rebell in seiner ungünstigen Position, schlug wild mit seinen Armen auf das Wasser ein um so schnell, wie es ihm nur irgend möglich war, zum rettenden Land zu schwimmen. Doch peilte der Rebell keineswegs die Ufer der kleinen Insel an. Er kraulte in Richtung des größeren Ufers, auf dem sein Käfig stand. Krokarr schoss auf seine panische Beute zu. Die Menge grölte und jubelte von der Show, die ihnen dargeboten wurde, denn das Fließen des Blutes war absehbar. Saibos Hände bekamen das rettende Gestein des Ufers zu fassen und als hätte er die Schnelligkeit seines Gegners kopiert, riss er seinen Körper in einem Satz aus dem Wasser und rollte über den trockenen Erdboden, weg vom gefahrvollen Rand. Krokarrs verzweifeltes Schnappen ging fruchtlos ins leere, Saibo lag zu weit vom Ufer entfernt. Missmutig schlängelte sich das Reptil zurück ins Wasser. Saibo sprang, nachdem er einen kurzen Moment erleichtert durchgeatmet hatte, sofort wieder auf. Vorsichtig behielt der Rebell seinen Gegner im Auge und schlich langsam auf den Käfig zu. Sein Schwert lag einsam auf der entfernten Insel. Behutsam schlürfte er voran, während Krokarr sich für einen erneuten Angriff ausrichtete. Saibo analysierte einen kurzen Augenblick die von den Karniphoren mit Äxten durchgeschlagenen Gitter und grapschte sich gezielt einen langen, spitzen auf dem Boden liegenden Stab. Schnell wich er wieder zurück. Krokarr wartete ab. Das Publikum war verstummt. Wohl überlegt zog sich Saibo seine nun vom Wasser durchtränkten, schwer gewordenen Stiefel aus. Doch tat er dies nicht nur zur Steigerung seiner Agilität, sondern stülpte einen der Stiefel über die splittrige Spitze des aufgelesenen Gitterstabes. Er atmete ruhig und richtete den Stab nach vorn aus. Seine Beherrschung war nun zurückgekehrt, sein Überlebenswille ungebrochen. Behutsam tastete er sich langsam Schritt für Schritt mit seinen nackten Füßen über den staubigen Boden. Das Publikum fieberte und bangte und es schien fast, als hätte der Rebell es tatsächlich geschafft, sie mit diesem epischen Überlebenskampf auf seine Seite zu ziehen. Der Stiefel rückte näher gen Ufer und Krokarr fixierte verwirrt die Finte des Rebellen. Provozierend wedelte Saibo mit seinem Stiefel vor dem Krokodil herum und wiegelte die Bestie auf. Unruhe kehrte nun in ihm ein, wie er den Stiefel konfus betrachtete. Saibo hielt still. Der Stiefel tropfte am Ende des Stabes und Krokarr kochte.

»Was ist? Bist du denn gar nicht hungrig?« Fragte Saibo schelmisch die mörderische Panzerechse und witterte den Triumph. Krokarr ließ seinen Blick nicht vom Stiefel ab, doch zögerte im Ungewissen. Schließlich griff er an. Wütend packte er den Stiefel mit seinen kräftigen Kiefern. Saibo hatte auf diesen Moment gewartet. Das Krokodil nun mit halbem Körper an Land, in ungünstiger Position, in einen leblosen Stiefel verbissen. Ruckartig zog er den spitzen Stab aus dem Stiefel und damit auch aus dem Maul des Krokodils. Wuchtig stieß er die Spitze mitten zwischen die Augen des Monstrums. Krokarrs Brüllen wechselte zu einem Aufheulen und das vorher übermächtig erscheinende Ungeheuer, nun vom eigenen herunterrennenden Blut benetzt, zuckte schmerzerfüllt hin und her. Saibo griff nach einem weiteren, kürzeren Stab und rammte ihn, der sich im Todeskampf befindlichen Bestie von oben herab durch den Schädel. Ein letztes Zucken. Krokarr war tot.

Ungläubigkeit ging durch die Reihen der Karniphoren. Fassungslosigkeit paarte sich mit Konfusion und die Stille, welche vorher durch Spannung hervorgerufen war, hielt nun an, getragen durch Erstaunen. Einen Moment lang blieb alles Ruhig. Erschöpft richtete sich der Rebell vom toten Tier auf. Er wischte sich seine blutverschmierten Hände an seiner Kleidung ab und sah sich fragend in der Menge, der ihn anstarrenden Karniphoren um. Applaus und Jubel war die Folge des Schweigemoments und die Massen feierten lautstark, den von Tokep zum Leben auserkorenen Helden. In Saibo machte sich Erleichterung breit und er atmete tief und bewusst die frische Luft ein und aus, wohl wissend dem Tod ein weiteres Mal entronnen zu sein.

»Ich gratuliere!« Beglückwünschte ihn nun auch der Priester von seinem Podium mit offenen Armen. »Tokep hat dich als würdig auserkoren und dir das Leben geschenkt. Gehe nun. Du bist frei.« Sagte er und die Karniphoren öffneten das Tor hinter Saibo. Er blickte hinaus in den Gang. Er lebte. Er wusste genau wofür er lebte und würden die meisten Menschen sich in diesem Augenblick wohl einfach des Lebens erfreuen war die einzige Freude, die der Rebell verspürte die, dass er sich wieder seiner Bestimmung annehmen konnte, Krons Schädel genauso zu durchbohren, wie er es mit Krokarrs gemacht hatte. Er warf einen letzten Blick in die jubelnden Massen, einen Weiteren auf das leblose Tier und schritt aus der Arena hinaus, in den friedlichen Gang.

Die Massen waren nun nur noch dumpf durch die dicken Wände zu vernehmen. Glückwünsche und Lobpreisungen brachten ihm die Karniphorenwächter entgegen. »Tokeps-Erwählter« wurde er genannt und die vorher noch so grimmig wirkenden Karniphoren strahlten begeistert, als sie Saibo in dem Gang antrafen. Eine dicke Kette, bestehend aus schmuckvollem Stein und geschliffenen Knochen legten sie Saibo um den Hals. Ein jeder der Wächter berührte Hochachtungsvoll im Vorbeigehen die starken Schultern des Krokarr-Bezwingers. Am Ende des Ganges, wartete eine adrette, junge Dame auf den kühlen Rebellen. Ähnlich geschmückt wie der große Priester, mit einem vom Kragen abwärts hängenden Aligatorenschädel und von unzähligen, aufwendig zusammengebundenen Knochen verziert stand sie da.

»Ich Grratulierre.« Sagte sie schmunzelnd und sah den Rebellen, mit großen, runden und von unfassbarer Schönheit glänzenden Augen an. »Du bist Frrei. Wir hoffen, du entscheidest dich trrotzdem bei uns zu bleiben.«

Saibo wendete verneinend den Blick ab.

»Unfassbare Frreuden würrden dich bei uns erwarten. Tokeps Auserrwählten, wird bei uns jederr Wunsch gewährrt.« Die junge Frau schnipste mit ihren zierlichen Fingern und senkte verführerisch den Blick. Mehrere Mädchen kamen aus dem Gang, seitlich von ihnen. Sinnlich bewegten sie ihre straffen Körper, leicht bekleidet, sodass nicht viel Fantasie, seitens des Rebellen nötig war, um die fleischlichen Freuden des Angebotes wahrzunehmen. »Wirr könnten dirr alles bieten, was dein Herz begehrrt. Oh du grroßerr, starrkerr Bezwingerr Tokeps Zorns. Beehrre uns mit deinem Bleiben und wirr errfüllen dirr mehr Wünsche, als ein Mann sich in seinem Leben errträumen könnte.« Die jungen Frauen umkreisten Saibo lüstern und strichen ihm mit ihren zarten Fingern über Wange und Brust.

»Ihr könntet mir nichts bieten, von dem was ich mir wünsche.« Entgegnete er kühl und entfernte entschlossen die ihn berührenden Hände. »Denkt ihr Lust, Speisen und Tränke könnten mich befriedigen? Denkt ihr ernsthaft, mich dürstet es nach solch minderwertigen Bedürfnissen?«

Der vorerst geschockte Blick der Priesterin verwandelte sich in Hochmut. »Weißt du… Unserr Prriesterr, war der Letzte, der einen Arrenakampf gewann. Auch err hatte errst vorr uns zu verrlassen, doch als err dann doch blieb, berreute er es keine Sekunde. Wir lassen alle deine Trräume wahr werden. Ehrrwürdigerr.«

»Du verstehst weder etwas von Ehre, noch von meinen Träumen. Würdest du die düsteren Träume kennen, welche mich Nacht für Nacht heimsuchen, würdest du es nicht eine Sekunde wagen über sie zu sprechen. Ihr könnt mir hier nichts geben, von dem was ich suche. Lasst uns einfach frei. Mehr verlange ich nicht.«

»Euch?«

»Mich und meine Freunde. Alle vier.«

»Tut mirr Leid. Fürr deine Frreunde können wirr nichts tun. Du bist der Auserwählte, nicht sie.« Die funkelnden Augen der Priesterin erkalteten.

»Was soll das heißen?« Fragte Saibo aufgebracht.

»Ihrr Blut wirrd an deinerr statt verrgossen.«

Stürmisch rannte Saibo an der Priesterin vorbei, den langen Gang entlang zu dem Raum, in dem die Käfige standen. Alle vier Käfige waren noch da, doch sie waren leer. Aufgebrochen standen sie in der Mitte des Raumes und ließen Saibo erschaudern.

»Nein.« Murmelte er fassungslos.

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