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Kapitel 10: Letzte Worte

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Der Staub wirbelte und legte sich langsam auf Saibos nackte Füße. Er brauchte einen Augenblick um sich angesichts der leeren Käfige und den damit verbundenen Befürchtungen, wieder zu fangen.

»Lasst die Opferung beginnen!« Hörte er durch einen kleinen Fensterspalt, etwa zwei Meter über ihm, die Stimme des Priesters, in der Arena verkünden.

»Nein! Nein!« Brüllte Saibo und sprintete wie vom Teufel besessen, aus dem Raum, durch den langen Gang, an dessen Ende das Arenator wartete.

In der Arena kochte das Publikum und applaudierte lautstark dem Priester. Mit weit ausgebreiteten Armen ließ er sich feiern und präsentierte ein langes, wie ein Blitz gezacktes Messer. Die Klinge war aus geschärftem Knochen gefertigt. Die Gefangenen waren gefesselt und wurden von je zwei Karniphoren in engem Griff festgehalten. Aufgereiht in einer Schlange des Todes standen die Vier am unteren Ende, der zum Podest des Priesters hochführenden, schmalen Treppe. Oben wartete er auf die Opfer, welche zu Tokeps Besänftigung ihr Leben lassen sollten.

»Das Mädchen als Erstes!« Befahl der Priester und Mai wurde, so sehr sie auch rangelte und versuchte den kräftigen Wachen Widerstand zu leisten, kreischend die schmale Treppe hinauf gezerrt. Hermes drückten sie, als er kämpferisch versuchte sich loszureißen und seine Schwester zu retten, mit nach hinten angewinkelten Armen, mit dem Gesicht auf den Boden, um ihn ruhig zu stellen.

Saibo rannte so schnell wie es ihm sein Körper erlaubte den Gang entlang. Seine Füße donnerten, wie die Hufen eines Hengstes, in den staubigen Boden. Vor dem Tor zur Arena wartete die gepanzerte Leibgarde der Priesterin, mit gezückten Waffen, um den in Raserei Anstürmenden aufzuhalten.

Der Rebell beschleunigte und brauste, ohne einen einzigen Gedanken in seinem Kopf festhalten zu können, auf die Leibgarde zu.

Sie rissen Mai auf das Podium, drückten sie mit dem Oberkörper darauf und hielten sie im festen Griff. Der Priester hob langsam seinen Dolch und sah blutgierend auf das junge Mädchen herab.

»Hast du noch ein paar letzte Worte?« Fragte er sie und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen.

Er wartete einen kurzen Moment. Mai hielt inne, sie zeigte nun keinerlei Gegenwehr mehr und die Wachen lockerten ihren Griff etwas.

»Letzte Worte?« Fragte sie und ihr fahlbleiches Gesicht fasste wieder Farbe. »Ich soll jammern?« Fragte sie und brannte in ihrer Stimmgewalt jegliche, in ihr hausenden Dämonen der Angst nieder. »Keine letzten Worte.«

Saibo hatte seine Geschwindigkeit zu keinem Augenblick verringert.

»Halt!« Riefen ihm die Karniphorenwachen entgegen, doch er weigerte sich. Zögerlich sahen sie sich, mit ihren auf ihn gerichteten Speerspitzen in den Händen, gegenseitig an. Der Rebell war der von Tokep Auserwählte, so glaubten sie und keiner von ihnen wollte den Zorn Tokeps, über den Verlust seines Günstlings auf sich laden. In letzter Sekunde rissen sie ihre Speere hoch. Saibo schoss an ihnen vorbei, machte einen gezielten Satz, durch das Tor und schoss geradewegs in das Wasser der Arena. Ein lautes Platschen ertönte und meterhoch spritzten die weißen Tropfen.

»Was war das?« Als der Priester verdutzt den Blick zum Wasser richtete, nutzte Mai den Moment der Verwirrung und riss ihren Kopf rückwärtig hoch. Mit einem lauten Knacksen knallte ihr Hinterkopf in das Gesicht, des hinter ihr stehenden Priesters. Dieser machte geschockt einen Satz zurück und landete auf dem Gesäß. Völlig perplex hielt er sich die Hände vor sein Gesicht, das Blut rannte zwischen seinen Fingern hindurch und tropfte auf den Opferaltar. Die Mai festhaltenden Wachen drückten sie hinunter, fest auf das Podium. Wütend stand der Priester wieder auf. Zorn kniff seine Gesichtszüge zusammen und er riss sein Messer in die Höhe. Der Rebell, war aus dem Wasser aufgetaucht und hatte sich an Land hochgerissen. Sein Körper, beflügelt von unmenschlicher Energie, preschte die Treppenstufen hinauf. Als der Priester seinen Dolch hinunter, in Mais Rücken, fahren lassen wollte, trat ihn der anstürmende Rebell, in seiner Tobsucht, seitlich vom Podium hinunter. Hart schlug der Priester auf den Treppenstufen auf und rollte herab. Die Wachen, noch immer Mai festhaltend, erblickten überrascht den Rebellen. Er schlug mit seinen Fäusten auf die Wache links von ihm ein, griff ihren Speer und schubste sie hinunter in das Wasser. Brachial stieß er der Zweiten den Speer durch den Schädel. Er griff sich den Dolch des Priesters vom Boden, durchtrennte Mais fesselnde Seile und zog sie zu sich hoch. Die restlichen Wachen, nun die anderen Gefangenen völlig ausser Acht lassend, zückten ihre Waffen und stellten sich an der Treppe auf. Das Publikum tobte. In all dem Gewirr, in allem Tumult, der um die Beiden brauste, trafen sich ihre Blicke. Für einen Moment stand die Zeit still. Für einen Moment, als Saibo und Mai dort oben ganz alleine auf dem Podium standen, in all dem Aufruhr. Für einen Moment waren sie eins. Als ihre Blicke sich trafen, schienen sie alles Unheil und Blut vergießen, um sich herum zu vergessen. Für einen Moment waren ganz alleine, in friedlicher Harmonie. Doch dieser Moment hielt nicht lang. Die Karniphorenwachen stürmten entschlossen die schmale Treppe hinauf. Saibo packte Mai bei der Hand und sie liefen die Treppenstufen auf der anderen Seite hinunter. Der Priester lag stöhnend am Ende der Treppe. Saibo zerrte ihn hoch und hielt ihn aufrecht. Er drückte ihm sein eigenes Messer an die Kehle.

»Stopp!« Brüllte Saibo den anstürmenden Karniphoren entgegen. Sie stoppten. »Befreit meine Freunde von ihren Fesseln oder ich werde ihm die Kehle durchschneiden!« Forderte er in lautstarker Erregung und presste dem Priester das Messer noch etwas heftiger gegen den Hals. Die Karniphoren warteten, unwissend, was sie tun sollten.

»Tut, was er sagt!« Ächzte der Priester um sein eigenes Leben bangend. »Na los!« Zögerlich wandelten sie auf die andere Seite der Treppe, Saibo und Mai folgten ihnen, mitsamt des an Saibos Brust gepressten Priesters.

»Kappt die Fesseln!« Forderte er nachdrücklich und die Karniphoren gehorchten aufs Wort. Die Fesseln wurden gekappt und die Vier umringten, Schutz suchend den Rebellen.

»Nun lasst uns passieren.«

In ständigem vorsichtigem Umsehen schritt die Gruppe langsam durch das Tor aus der Arena. »Bleibt zurück!« Forderte der Rebell immer wieder. Die Gruppe wandelte durch die Gänge hinaus. Ein jedes Mitglied ließ sich von den Karniphoren Waffen aushändigen und auch Hermes erlangte seinen Dolch zurück.

Die Fünf bewegten sich aufmerksam durch das Dorf. Immer wieder kamen die Karniphoren näher, doch unter Androhung der Ermordung ihres Priesters wichen sie stets zurück.

»Bitte! Lasst mich leben!« Bettelte der Priester. »Ich bitte euch! Ich habe Frau und Kinder!« Tränen flossen, doch weckte der nunmehr kümmerlich wirkende Priester keinerlei Mitgefühl bei seinem Geiselnehmer. Saibo verlangte von dem Wimmernden, dass er ihnen den Weg aus dem Dorf zeigen solle, er gehorchte. Die Gruppe durchschritt das prächtige und schmuckvolle Dorf. Je länger sie sich dort aufhielten, desto mehr Karniphoren scharrten sich, ob Schaulustige oder Wachen um sie herum, doch niemand schritt näher als zehn Meter an sie heran. Aus den eckigen Häusern sahen die Menschen bangend um ihren geistlichen Führer hilflos zu. Die Karniphoren aus der Arena waren zu großen Teilen dem Treiben gefolgt und eine gigantische Traube aus Menschen schritt hinter den Fünfen her.

»Bitte! Ich bin gar keiner von denen!« Flehte der Priester weiter. »Ich stamme gar nicht von hier. Ich musste das alles tun!«

»Du musstest!?« Fragte Saibo aufbrausend. »Du musstest?! Wofür? Für Mädchen und Fraß? Würde unser Leben nicht davon abhängen, würde ich dir sofort deine verlogene Kehle durchschneiden.«

Der Priester, völlig aufgelöst, wagte es nicht weiter seinen Mund zu öffnen. Schweigend ließ er sich durch die Stadt treiben. Sie erreichten ungewöhnlich große Stallungen, Heuberge und hölzerne Scheunen. Sie waren am östlichen Rande des Dorfes angelangt.

»Ein bisschen groß für Pferde.« Stellte Hermes, sich dabei höchst clever vorkommend fest.

»Elefanten.« Erklärte Saibo, als er neben den Scheunen drei große, schwerfällige Dickhäuter erblickte. Sie waren verziert mit roten Mustern, wie die Karniphoren selbst. Riesige, korbartige Gebilde thronten auf ihren mächtigen Rücken, um ihren Leib geschnallt mit Bändern und Ketten.

»Kann man die reiten?!« Fragte Hermes.

Der Priester nickte hektisch und noch immer völlig unter Stress stehend.

Die Gruppe hielt an und die große Masse aus Karniphoren hinter ihnen tat es ihnen gleich.

»Hört mir zu!« Sprach Saibo. »Ich verlange, dass ihr uns ziehen lasst! Auf einem eurer Elefanten! Wenn ich auf unserem weiteren Weg auch nur einen Einzigen erblicke, der uns folgt, werde ich dem Priester den Kopf abtrennen!«

Besorgt kapitulierten die Karniphoren und ließen die Reisenden einen der Elefanten besteigen.

»Willst du leben? Dann sorg dafür, dass wir hier sicher heraus kommen.« Wies Saibo seine Geisel an.

Der Priester erklärte ihnen, dass man mit den langen sogenannten Treiberstöcken, welche an den Seiten des Korbes befestigt waren, die Tiere steuerte. Nach einigen Anlaufschwierigkeiten setzte sich das schwerfällige Tier in Bewegung. Die Masse aus Karniphoren blieb wie angewurzelt stehen und beobachtete die davon reitende Gruppe, ohne sich zu rühren.

Etwa drei Stunden stapfte der Elefant nun durch den dichten Dschungel. Stets die Umgebung im Auge behaltend atmete die Gruppe erleichtert durch und spürte allmählich Erleichterung aufkommen.

»Es ist ein Wunder.« Sagte Plinius, welcher die Tatsache dieses Abenteuer überlebt zu haben noch immer nicht glauben konnte. Er huldigte Gott und warf sich auf die Knie, dem Himmel dankend für sein Überleben. Der Priester blieb im Ungewissen darüber, was der Rebell für sein Schicksal vorgesehen hatte. Je weiter sie sich vom Karniphorendorf entfernten, desto nervöser wurde er. Zitternd hockte er nach wie vor in Saibos festem Griff, welcher ihm keinen Spielraum ließ, um jegliche Risiken zu vermeiden. Als zwei weitere Stunden vergangen waren und sie teils weiträumiges, übersichtliches Terrain überquert hatten, hielten sie an.

»Ich glaube wir sind in Sicherheit. Es scheint uns niemand gefolgt zu sein.« Sagte Saibo. Der Rest der Gruppe stimmte zu. Er ließ vom Priester ab. »Bereust du deine Taten?« Fragte er ihn.

Hysterisch nickte der Priester. »Ja! Ich werde nie wieder einer Menschenseele etwas antun!« Beteuerte er.

»Das stimmt. Dafür werde ich sorgen.« Antwortete Saibo und nahm sich einen der langen Treiberstäbe.

Fassungslos machte der Priester einige Schritte Rückwärts. »Aber du… Du hast versprochen… Mich am Leben zu lassen!« Seine Stimme wurde hell und piepsend.

»Nein. Ich habe dich lediglich gefragt, ob du leben willst. Ich sagte nie, dass ich dich leben lasse.«

»Aber du kannst doch nicht…« Bevor der Priester seinen Satz beenden konnte, rammte ihm Saibo den Treiberstock durch den Leib und stieß den Priester vom Elefanten hinunter in das Blattwerk.

»Doch kann ich.«

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