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Kapitel 3: Assandria
ОглавлениеDie Vögel zwitscherten im rhythmischen Takt und goldene Sonnenstrahlen durchbrachen hier und dort die Blätterdächer, welche über dem Wald thronten. Knackende Stöcke ertönten unter Saibos braunen Lederstiefeln und die Flora und Fauna entfaltete sich rings herum. Vier Tage lagen hinter ihm und Schritt um Schritt schmerzten seine Füße unter der Dauerbelastung. Keiner Menschenseele war er während seiner Reise begegnet, doch nun, als der dritte Tag allmählich alterte, hörte er Gemurmel in der Ferne des Waldes. Euphorisch beschleunigte er seinen Gang und die Geräusche wurden lauter. Klackende Hufen ertönten und ein Pferdekarren bog vor Saibo um die Ecke. Seine Schritte wurden schneller und er begann zu rennen. Er schoss durch eine dicht bewachsene Wand aus Blättern und Gestrüpp hindurch und kam zum Stehen. Tief atmete er durch, er war angekommen. Vor ihm lag das prachtvolle Königreich Assandria. Mit seinem Rucksack bestückt, wanderte Saibo den Weg entlang. Die Häuser der alten Welt säumten die Straßenränder, die meisten brüchig, restauriert. Die größtenteils fehlenden Dächer abgedeckt mit Holzplatten und Stroh, die zerbrochenen Wände, neu aufgebaut. Pflanzen bewuchsen die Häuser, brachen durch ihre Wände, wucherten wild hier und dort und ließen die Stadt lebendig und organisch erscheinen. Die Natur blühte überall in der belebten Stadt doch je näher er dem Zentrum Assandrias kam, desto mehr wurde sie verdrängt und dichter und größer wurden die Häuser. Saibo drang in den Stadtkern vor und viele Menschen tummelten sich auf den Straßen. Die Häuser wurden stetig größer. Vor ihnen, die Stände der Händler, errichtet auf den Überresten der metallenen Fahrzeuge aus der alten Welt. Die Händler boten lautstark ihre Waren an und allmählich schmälerten sich die Straßen, sodass das Gedränge in den Gassen sich andauernd verstärkte. Assandria war eine zwiegespaltene Stadt, in der Arm und Reich sich dicht aufeinander drängten. Sie war weit überbevölkert, die hohen Gebäude waren Heim unzähliger Menschen, doch war es vor allem der reichen Oberschicht vorbestimmt in den gut erhaltenen Gebäuden, der alten Welt zu leben. In den dunklen Gassen, der vermoderten Gebäude im Norden der Stadt, lebte die andere Seite der Medaille. Die ärmlichen Menschen bevölkerten die Gassen und Hinterhöfe, wo ihre eigenen Gesetze galten. Die weit bekannten Märkte waren stets überfüllt und das Gedrängel lockte viele Diebe auf die Marktplätze, welche von den reichen Kaufleuten der Stadt gerne besucht wurden. Wut brodelte in Saibos Bauch, als er durch die Stadt ging und die gaianischen Soldaten betrachtete, wie sie selbstgefällig an jeder Ecke standen. Trotzdem war dies eine der wenigen Städte, die Kron der König Gaias, weitestgehend nicht unter Kontrolle hatte, denn Assandria war keine einheitliche Stadt. Auch vor Krons Belagerung, hatte die Regierung die Stadt nicht unter Kontrolle, denn der Abschaum der Stadt machte hier schon immer seine eigenen Gesetze und so wurde Assandria für Kron nie mehr als eine anarchistische Kolonie.
Saibo hielt sich bedeckt und kämpfte sich durch den Strom aus Menschen hindurch. Die Gasse war eng und die Menschen drängelten und schubsten. Sie mündete in einen großen offenen Platz, welcher von sich hoch auftürmenden Häusern umringt war. Unzählige Stände standen nebeneinander und trotz der Weitläufigkeit, hatte man wegen der vielen Menschen, kaum Platz zum Bewegen. Verschiedenstes wurde hier verkauft und alle möglichen Bevölkerungsschichten kamen hier zusammen.
»Haltet ihn!« Schrie jemand, nicht weit von Saibo und plötzlich rempelte ihn ein mit einer Kutte bedeckter Mann an, sodass er aufpassen musste, nicht durch die Wucht umgeworfen zu werden. Ein dicklicher Mann mit schwarzem Schnauzbart und buschigen Augenbrauen hechtete der vermummten Person hinterher. Dieses Mal wich Saibo mit einem eleganten Schritt zur Seite aus. Interessiert mischte er sich unter die Leute und wandelte durch die Stände. Die Farbpracht war überwältigend, nie zuvor hatte Saibo ein solches beeindruckendes Ausmaß an Farbvariationen gesehen. Die Kleidung der Menschen, Schmuck und Dekorationen leuchteten in allen erdenklichen Farben und Formen. Rauch und Gerüche stiegen auf und krochen in Saibos Nase, viele verschiedene, sodass er sie nicht mehr auseinanderhalten konnte. Der Geräuschpegel war enorm, man hörte Hühnergegacker und Kindergeschrei. Wild gestikulierend handelten die Standbesitzer mit ihren Kunden. Euphorisch unterhielten sich die Menschen hier und dort und Kinder sausten lachend, zwischen den Beinen der Erwachsenen umher. Saibos Sinne waren, je länger er durch die dichte Masse an Menschen wandelte immer betäubter, denn die Reizüberflutung ertränkte ihn geradezu. Orientierungslos irrte er umher und fand kaum die Möglichkeit selbst eine Richtung einzuschlagen. Die sich eng aneinander tummelnden Menschen drängten ihn, wie einen Fisch im Wasserstrom umher. Er wurde in ein weiträumiges Areal gespült. Gebannt blickten die Menschen nach links, wo ein hölzernes Konstrukt stand, welches einer Bühne glich. Ein hochgewachsener Mann stand auf dem Podium und seine dunkle, laute Stimme schallte gut hörbar über den Platz. Neugierig schlängelte sich Saibo durch die Menschen, um die Bühne besser sehen und den Mann besser hören zu können.
»...Es ist eure Pflicht!« Rief der Hochgewachsene in die Menge hinein. »Als Bürger Assandrias, seid ihr auf ewige Treue Kron und seinem Stadthalter, so wie ihren Gesetzen und Bestimmungen verpflichtet! Leider sind wir gezwungen, die Stadt militärisch zu überwachen. Keine Toleranz! Wer nicht für Gaia ist, ist gegen Gaia und Terroristen werden wir nicht dulden!« Die überwiegend gut betuchten Bürger auf dem Platz applaudierten ihm. Angewidert starrte Saibo auf die Bühne und sein Gesicht verzog sich vor Abscheu, als er das arrogante Grinsen in dem Gesicht des Sprechers sah. Viele Gedanken schossen Saibo durch den Kopf, wie ob er wohl einfach sein Schwert ziehen und ihn gnadenlos erschlagen sollte, doch wurden seine Fantasien abrupt unterbrochen als er plötzlich leichte ruckartige Bewegungen, von seinem Rucksack ausgehend spürte. Verwirrt drehte er sich nach hinten, um zu sehen, was das Rütteln verursachte und sah einen jungen Mann, der mit einem prachtvoll verzierten Dolch gerade die Riemen an seinem Rucksack durchtrennte. Während Saibo noch völlig überrascht nachdachte was gerade passierte, nickte ihm der junge Mann höflich zu und kappte den letzten Riemen. Von einer auf die andere Sekunde rannte er wie vom Teufel besessen, samt Rucksack durch die Menge davon. Überrumpelt blieb Saibo eine weitere Sekunde stehen und hastete dann dem Dieb hinterher.
»Stopp!« Rief er. Hoch konzentriert behielt er den Dieb im Auge, während er gleichzeitig den unzähligen Menschen in seinem Weg auswich. Ständig stieß er mit den Schultern der Passanten zusammen, was ihn jedes Mal etwas ausbremste. Der Dieb flitzte wie ein Hase durch die Menschen und Saibo fiel es schwer, an ihm dran zu bleiben. Über Kisten und Fässer sprangen sie. Verunsichert wegen der Schnelligkeit seines Verfolgers schaute der Dieb immer wieder prüfend über seine Schulter. Jedes Mal musste er feststellen das Saibo ein kleines Stückchen weiter aufgerückt war. Er rannte in eine der dunklen Gassen am Ende des Platzes, Saibo hinterher. Völlig außer Atem sprang er über Hindernisse und zwängte sich durch enge Durchgänge. Knapp tauchte er unter einer Wäscheleine durch, welche durch die enge Gasse gespannt war. Fuß um Fuß donnerte er durch die Gassen, sprang über Zäune und kletterte durch kleine Schlupflöcher. Mit einem starken Sprung erklomm der Dieb über einige Kisten eine niedrige Häuserfassade. Er holte kurz Luft, doch schrak überrascht auf, als Saibo es ihm mit identischer Agilität gleichtat.
»Jetzt bleib endlich stehen!« Schrie Saibo dem Dieb hechelnd hinterher. Todesmutig sprang dieser von dem Ende des Daches in eine schmale, dunkle Gasse hinab. Saibo hielt einen Moment am Rand.
»Verdammt!« Sagte er und stürzte sich ebenfalls in die Dunkelheit. Ein prellender Schmerz, als er unglücklich auf dem harten Boden aufprallte und umstürzte.
»Na super...« Murmelte er mit Schmerz verzogenem Gesicht im Dreck liegend vor sich hin. Hastig richtete er sich wieder auf, doch der Dieb war nicht mehr zu sehen. Schnell lief Saibo ans Ende der dunklen Gasse auf eine von der Sonne beleuchteten Kreuzung. Er sah sich um. Sein Herz schlug von der anstrengenden Verfolgung und er atmete schwer, während er planlos versuchte den Dieb in einer der schlecht beleuchteten Abzweigungen zu finden. Keine Chance, er war verschwunden. Keuchend sackte er am Gassenrand hinter einer der Obdachlosenbehausung zusammen und rang um Luft. Er hielt sich seine Hand an die Milzgegend und betrachtete mit leicht zusammengekniffenen Augen die Umgebung. Obdachlose säumten die Wegränder, kleine provisorische Behausungen, gebaut aus, Holzresten und anderen Abfällen, in denen sie schliefen. Raunen ging durch die Gasse und verwundert schauten sie auf den abgekämpften Rebellen herab. Er rastete einen Augenblick und atmete tief durch. Nach einer kurzen Erholungspause hievte Saibo sich wieder hoch und ging weiter.
Missmutig schritt er durch die Gassen. Zweifel machten sich allmählich in ihm breit. War es richtig aufzubrechen? Alles, was er hatte war in diesem Rucksack. Wie sollte er weiter vorankommen? Er hatte schon beinahe aufgegeben, als er gänzlich unerwartet in einer kleinen unscheinbaren Nebenstraße den Dieb wieder sah. Hektisch kramte dieser in Saibos Tasche und warf alle Gegenstände von geringem Wert über seine Schultern hinweg auf den Boden.
»Hab ich dich!« Flüsterte Saibo in einer Mischung aus Erleichterung und Wut vor sich hin. Schnurstracks marschierte er auf den völlig in den Rucksack vertieften Dieb zu.
»Ich glaube du wolltest mir etwas wiedergeben...« Sagte Saibo unterschwellig aggressiv. Geschockt sah der Dieb hoch.
»Ich...« Quetschte er hinaus, als Saibo ihn plötzlich packte, hoch zerrte und gegen die Wand presste.
»Rück die Sachen wieder raus!« Befahl Saibo grimmig. Der Dieb kramte einige Kleinteile aus seinen Taschen und ließ sie zu Boden fallen.
»Und jetzt verzieh dich!« Wutentbrannt schubste Saibo den schlaksigen Dieb mit einem rohen Stoß von sich weg. Er strauchelte einige Meter, doch wurde abrupt gestoppt. Verdutzt schaute der er hoch, denn er lag in den behaarten Armen eines stämmigen Mannes, welcher ihn hartnäckig festhielt.
»Ouh... Kacke...« Sagte der Dieb und der Mann begann breit und finster zu grinsen, sodass er seine unvollständigen Zahnreihen entblößte.
»Sieh an, sieh an. Hermes. Was für ein glücklicher Tag doch heute ist, das mir das Schicksal dich in die Arme wirft.«
Der Dieb schluckte und vier weitere Männer, von kerniger Statur, traten aus dem Schatten der Gasse hervor.
»Wer ist denn dein netter Freund?« Fragte der Mann und nahm Saibo ins Auge.
»Das ist nicht mein Freund. Ich kenne ihn gar nicht.«
»So so. Ihr seid also nur zufällig, hier zu zweit in dieser abgelegenen Seitenstraße mit diesem haufen Beute da am Boden?«
»Ähm... Ja?«
»Das werden wir schon noch herausfinden. Rhakim soll das entschieden.«
Der Dieb warf Saibo einen mitleidigen und entschuldigenden Blick zu.
»Packt ihn!« Befahl der Mann und die Vier marschierten geradewegs auf Saibo zu.
»Hey Moment, was zum...« Als Saibo gerade nach dem Schwert greifen wollte, welches am Boden neben dem Rucksack lag, stürmten die Männer auf ihn zu und rammten ihn. In einem Satz wurde er gegen die Wand geschmettert. Sein Brustkorb schmerzte von dem Aufprall. Panisch schaute er auf das Schwert, welches zu Füßen der Männer lag. Langsamen Schrittes kamen sie auf ihn zu. Er hatte keine Ausweichmöglichkeit. Die Männer kreisten ihn ein und Saibo wusste, dass ein Gespräch hier wohl nicht viel helfen würde. Sein Herz pumpte Adrenalin und es raste durch seine Venen. Blitzschnell schoss seine Faust hervor und krachte in eines der Gesichter. Der Mann machte einen Schritt zurück und hielt sich das Gesicht. Zwischen seinen Fingern rann das Blut hindurch und mit groben Hieben schlugen die anderen auf Saibo ein. Er schaffte es einen von ihnen von, um zu werfen, doch der Blutende rückte nach und Saibo konnte nicht länger standhalten. Er versuchte sein Gesicht vor den knochigen Fäusten der Männer zu schützen und fiel unter der schieren Wucht der Schläge rückwärts auf den Boden. Durch seine vor dem Gesicht verschränkten Arme, spähte er und sah, wie der Vierte auf ihn zulief. Harte Tritte trafen Saibo am ganzen Körper. Einer beugte sich hinunter, setzte sich auf Saibos Brust und schlug wie wild auf die kleinen Lücken zwischen seinen Armen auf sein Gesicht ein. Schmerzvolle Schreie tönten durch die Gasse. Mit unbändigem Willen öffnete er seine Deckung und prügelte mit geschlossenen Augen nach oben.
»Der wehrt sich zu sehr!« Klagte einer. Plötzlich sah Saibo an ihm vorbei, wie ein Weiterer mit einem großen Holzklotz auf ihn zu marschierte. Der Mann baute sich vor Saibo auf. Saibos Augen fixierten den Holzklotz, dumpfe Schläge schmetterten auf ihn ein und beendeten seine Gegenwehr.
»Fesselt ihn!«
»Haltet ihn fest!« Hörte er die Männer sich gegenseitig auffordern und spürte wie sie an ihm herum zurrten und seinen Körper eng, mit einem dicken Seil fesselten. Sie zogen es fest, rissen ihn hoch und warfen ihn auf die hölzerne Ladefläche ihres Handkarrens.
»Schon gut, schon gut, keine Schläge!« Wimmerte der Dieb, ließ sich freiwillig festbinden und neben Saibo schmeißen. Ein dickes Tuch wurde über die beiden Verschleppten gespannt und der Karren setzte sich in Bewegung. Es ruckelte, während er über den unebenen Untergrund rollte.
»Tut mir leid.« Sagte der Dieb in das unangenehme Schweigen hinein.
Stumm glitt Saibo sich mit seiner Zunge über die Lippen und schmeckte sein Blut.
»Hast du Schmerzen?« Fragte der Dieb weiter.
»Mein Leben besteht aus Schmerzen.«
Diese Antwort verstörte den Dieb.
Saibo schwieg einen Moment. »Wo bringen die uns hin?« Fragte er endlich.
»Ich weiß nicht, ob du das wirklich wissen willst...«
»Ich schon. Also spucks aus verdammt!«
»Zu Rhakim in den Palast der Aussätzigen.«
»Was?«
»Du bist nicht von hier oder? Hab ich gleich gemerkt. Du warst viel zu leicht zu beklauen. Also der Palast ist so eine Art Zufluchtsstätte für Kriminelle jeglicher Art. Also Diebe, Trickbetrüger, Auftragsmörder und so weiter. Rhakim ist im Grunde so etwas wie der Anführer, der König der Aussätzigen so zu sagen.«
»Na wundervoll... Diese Reise wird ja immer besser.« Grummelte Saibo mit hochgezogener Stirn.
»Was tuschelt ihr da!? Schnauze dahinten!« Schallte es durch die Decke hindurch und die Männer schlugen einige Male ermahnend auf die Decke ein.
»Ich bin übrigens Hermes. Hermes Metis.« Sagte der Dieb unüberlegt und erhielt daraufhin weitere Hiebe. Den Rest der Fahrt schwiegen Saibo und Hermes, um nicht weiter traktiert zu werden. Sie wurden immer weiter aus dem Stadtkern herausgebracht, Richtung Norden. Die lauten und zahlreichen Stimmen der Menschen, die durch die Plane drangen nahmen ab, bis sie beinahe gänzlich verschwanden. Sie hörten lautes Rascheln und der Karren schaukelte stark, als sie das dicht von Pflanzen bewachsene Gebiet im Norden passierten. Auf einmal blieben sie stehen.