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Kapitel 6: Über den Wolken
ОглавлениеSaibo brauchte eine Weile, um wieder einen klaren Gedanken fassen zu können. Noch immer zitterten seine Hände.
»Kann nix schief gehen?« Fragte er Hermes scharfzüngig.
»Wir sind in Sicherheit in einem Transportmittel, auf dem Weg nach Osten. Was willst du mehr?«
Saibo verharrte einen Augenblick wortlos und dachte nach. »Auf dem Weg nach Osten? Weißt du überhaupt, wie man das Ding steuert?«
Hermes machte einen nachdenklichen Gesichtsausdruck und grübelte einen Moment. Schließlich zuckte sein Gesicht in ein amüsiertes Lächeln. »Nicht so wirklich.«
»Na wundervoll. Wir sitzen in einem Korb hunderte Meter über dem Erdboden und schweben irgendwo ins nirgendwo...«
»Komm mal wieder runter. Ich hab eine Karte dabei, wir finden den Weg schon.«
»Ich soll runter kommen? Ich glaube das geht schlecht hier oben in den Wolken!«
Besänftigend streckte Mai ihre Hände zwischen die Beiden. »Wichtig ist jetzt erst einmal, dass wir in Sicherheit sind. Wir sollten uns einen Moment Ruhe gönnen. Ich versuche in der Zwischenzeit herauszufinden, wie man den Ballon lenkt. Streiten bringt uns auch nicht weiter, schließlich sitzen wir alle im selben Boot.«
»Du meinst Korb!« Korrigierte Hermes feixend.
Grummelnd überhörte Saibo Hermes gescheiterten Witzversuch, spitzte die Lippen und kapitulierte leise mit einem »Na gut...«
Verträumt sah Saibo in die nicht allzu weit über ihnen stehenden Wolken. Ein leichter, kühler Wind zog durch den Korb, doch die Hitze des Feuers, welches über Ihnen in einer metallenen Konstruktion brannte, wärmte ihn. Die Sonne war bereits am Horizont verschwunden und ein beruhigendes Abendblau färbte den Himmel. Er beobachtete die ersten Sterne, die sich am Himmelszelt blicken ließen und dachte zurück an die Zeit in dem Rebellenlager und die Worte des alten Mannes, kurz vor seiner Abreise. »Was ist die Größe der Sterne, verglichen mit der Größe des menschlichen Geistes?« Es ließ ihn in eine melancholische Stimmung fallen und er presste die Lippen aufeinander, als er an Zaim zurückdachte. Hier oben fühlte er sich ihm nahe, denn er war sicher, das Zaim von hier auf ihn herabblickte und er würde alles daran setzen Zaims Tod einen Sinn zu geben.
»Also ich werd beim besten Willen nicht schlau aus dem Ding...« Sagte Hermes, während er an der metallenen Flammenkonstruktion rumfummelte.
»Ich sagte doch schon, man kann es nicht steuern. Der Wind entscheidet unseren Kurs.« Erklärte Mai wiederholt.
»Und nun?«
»Na wir schauen auf die Karte und versuchen herauszufinden, wo wir sind.«
Gemütlich kramte Hermes in seinem Rucksack und zog die alte Landkarte heraus. Er breitete sie auf dem Korbboden aus.
»Saibo.« Sagte er.
Fragend wendete dieser sich ihm zu.
»Wo sind wir? Was siehst du?«
Mit gekräuselter Stirn sah er über die Wand des Korbes hinunter. »Schwer zu sagen... Wald.«
»Und?«
»Wald.« Er ließ seinen Blick über das Tal schweifen, doch weit und breit erblickte er in der Dämmerung lediglich Bäume und grüne Flächen.
Mai schnipste mit den Fingern. »Na dann beobachten wir den Kompass, je nachdem wie sich die Nadel in den nächsten Stunden dreht, wissen wir in welche Richtung wir fliegen.«
»Schlaues Mädchen.« Staunte Hermes und wühlte den Kompass aus seinem Rucksack.
Bereitwillig ließ sich Mai, als vermutlich zuverlässigste Person den Kompass in die Hand drücken und setzte sich zu Saibos Füßen in die Ecke des Korbes. Hermes, der sich nun von jeglicher Verantwortung frei sah, schnappte sich seinen Rucksack und lehnte sich gemütlich gegen die andere Seite, um ein Nickerchen zu halten.
»Schöne Nacht, nicht wahr?« Fragte Mai nach einer Weile und sah in Saibos Richtung vorbei in den funkelnden Sternenhimmel.
Inspiriert nickte Saibo ihr zu. »An was denkst du?«
»Ich weiß nicht. Irgendwie fühle ich mich hier meinen Eltern sehr nahe.«
»Oh. Das tut mir Leid...« Murmelte Saibo bedrückt.
»Keine Sorge... Sie starben bereits als ich ein kleines Mädchen war. Ich bin darüber hinweg...«
Einen Moment lang schwieg Saibo und als er in Mais allmählich feucht werdenden Augen das Glitzern der Sterne beobachtete, zweifelte er an ihrer Aussage. »Ich weiß genau was du meinst... Eine gewisse Geborgenheit, nicht wahr?«
Stumm nickte sie und senkte ihren Blick, in Gedanken verloren.
Mai tat in dieser Nacht kein Auge zu. Saibo versuchte sie mehrmals dazu zu bewegen, ihm den Kompass zu geben und sich auszuruhen, doch sie weigerte sich vehement. Nach einer Weile legte sich Saibo schließlich hin und versuchte in Gedanken an die bevorstehenden Abenteuer, etwas Kraft im Schlaf zu suchen.
Ein helle Stimme ließ Saibo allmählich wieder zu Bewusstsein kommen.
»Jungs! Hermes! Saibo!« Es war Mais Stimme.
Mit einem versteiften Nacken kämpfte sich Saibo allmählich wieder hoch. »Wacht auf!« Drängte sie. Er öffnete die Augen und bemerkte entgegen seiner Erwartung, dass es noch immer dunkel war. Viel Zeit, so wusste er, konnte nicht vergangen sein, denn er hatte nicht einmal geträumt.
»Was ist denn?« Fragte nun Hermes mit genervter Stimmlage und hob langsam den Kopf.
»Dort vorn!«
»Dort vorn was?« Seine Stimme gewann an Argwohn.
»Dort vorn lauern unsere Probleme.«
Nun war auch Saibo neugierig geworden und stellte sich an die Vorderseite des Korbes, um in der schlecht erkennbaren Ferne Mais Problem ausfindig zu machen. Der weiße Wolkendunst lichtete sich je weiter sie voran flogen und Saibos Mund formte ein Oval, als er erkannte, worauf sie hinaus wollte.
»Du hast den Kompass beobachtet?« Hakte er nach. Sie nickte. »In welche Richtung sind wir geflogen?« Allmählich begann sich Hysterie in Saibos Stimme breit zu machen.
»Südlich....«
Saibos Augenlider fuhren so weit auf, dass es aussah, als verschwänden sie zwischen Wangenknochen und Stirn.
»Ich befürchte ich weiß, wo wir sind...« Sagte er schließlich mit gebannter Stimme und sah erneut in die Ferne. Gigantische, spitze Felsformationen ragten aus dem nebeligen Dunst heraus in die Höhe. Strukturloses Gebirge, welches nur wenige hundert Meter vor ihnen lag, manifestierte sich mit jedem vorangeflogenen Meter mehr und stach hervor in den Himmel. Es schien bis hinter den Horizont zu reichen, keiner vermochte zu sagen, wann und wo es endete. Schließlich war auch Hermes aufgestanden und setzte erschrocken einen Schritt zurück, als er es erblickte.
»Das Gebirge von Phobos...« Sagte Saibo mit ehrfürchtiger Stimme, ohne den Blick davon abzuwenden. «Das dürfte ungemütlich werden.«
»Was machen wir jetzt?« Mai begann zu zittern.
Saibo schwieg und suchte Rat bei Hermes.
»Höher.« Sagte Dieser. »Wir müssen höher! Facht das Feuer an!«
Blitzartig löste Saibo die Lederriemen, welche die Metallplatte vor seinem Leib hielten.
»Schnappt euch etwas Großes und fächert!« Schrie er und wedelte der Flamme, hektisch mit seiner Platte zu. Hermes und Mai folgten. Das Feuer flammte auf und Funken wirbelten durch die Nacht. Die Gebirgsformationen rückten näher.
»Schneller! Schneller!« Spornte Saibo die Diebe an. Die Flamme tanzte und der Ballon stieg an.
»Das schaffen wir nie! Wir sind nicht hoch genug!« Zeterte Hermes. Sie passierten die ersten Gebirgsspitzen und die Kraft der Drei ließ allmählich nach.
»Das reicht nicht verdammt! Wedelt!« Dieses Mal war es Hermes, der kläglich versuchte sie anzuspornen. Die Felsen glitten vorüber und das Gebirge verdichtete sich, je weiter sie voran glitten. Die Flamme ließ nach und der Ballon sank leicht ab. Die Felsen wurden mehr, genau wie die Pausen zwischen dem Wedeln, denn jeder von Ihnen musste zwischendurch pausieren. Immer schneller zogen die Felsen am Korb vorbei, immer verwirrender und schwerer wurde es, den Überblick zu behalten.
»Festhalten!« Schrie Saibo und warf seine Platte in die Ecke des Korbes. Hektisch sahen sich Hermes und Mai um und entdeckten die kantige Gebirgsspitze direkt vor sich. Der Ballon prallte sanft gegen den Felsen, doch schleuderte den Korb gewaltsam dagegen. Mühevoll hielten sie sich fest, um von dem Ruck nicht hinausgeschleudert zu werden. Der Ballon hakte einen Moment an der stachligen Steinfront und drehte sich schließlich an ihr vorbei.
»Geht es euch gut!?« Fragte Saibo besorgt. Doch die Diebe, vom Schock überwältigt, brachten keinen Ton heraus. Saibos Herz schien stehen zu bleiben, als er, nachdem er erleichtert die Diebe und gesunder Verfassung gegenüber von sich sah, den tiefen Riss an der Seite des Ballons erkannte.
»Wir sinken!« Bemerkte nun auch Hermes. Nicht länger auf Kurs, schlenderte der Ballon in wechselnden Himmelsrichtungen durch das Gebirge, hinab in das grüne Tal. Begleitet von drei Schreien raste er, immer schneller werdend hinunter, und während sich das Gebirge lichtete, verdichtete sich die herannahende Vegetation zunehmend.
Schließlich brach der Ballon, aus dem Rand des Gebirges hervor und schoss rasant über die Blätterdächer des Dschungels hinweg. Mai schluchzte und tränte, Hermes schrie und Saibo tat es ihm gleich. Mit einem mächtigen Grollen krachten sie in die Baumkronen. Es schüttelte sie durch. Äste knackten, Blätter rieselten und der Ballon hakte fest. Gewalttätig wurden sie durch den festhängenden Ballon aus dem Korb geschleudert und prallten auf dem feuchten Erdboden auf. Der Korb schwenkte eine Weile vor und zurück und Ruhe kehrte allmählich ein.