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3 Tunnel

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Cheapside, Februar 2008

Das Londoner Büro der BSI befand sich gleich weit entfernt von der Bank von England und St. Pauls, genau in der Mitte der Londoner City, der Aorta des globalen Finanzsystems. Das unscheinbare Gebäude lag an der Cheapside, der einst von den Römern gebauten Durchgangsstraße, an der die Kaufleute im Mittelalter Schafsfüße und Aale verkauften. Die Aktienbörse am östlichen Ende der Straße war früher für den ekelhaften Gestank verwesender Nahrungsmittel berüchtigt. Ganz in der Nähe befand sich das Mansion House, die Residenz des Lord Mayor. Dort hatte Tony Blair eine Rede zu den Ungerechtigkeiten des Welthandels mit der Erklärung konterkariert, die City schaffe aber auch »einen Großteil des Reichtums, auf dem unsere britische Nation basiert«.

Die Schweizer Banker, die die BSI, die Banca della Svizzera Italiana, gegründet hatten, hatten es von Anfang an als ihre Aufgabe betrachtet, dem Geld beim Überschreiten nationaler Grenzen zu helfen. Damals wurde auch der seinerzeit längste Tunnel der Welt gebaut, der durch das Gotthardmassiv in den Alpen führte und Nord- und Südeuropa durch eine Eisenbahnlinie verbinden sollte. Nach Beendigung der Arbeiten erklärte der Präsident der Schweiz, dass »der Weltmarkt jetzt etabliert ist«. An der neuen Eisenbahnstrecke lag auch die italienisch-sprachige Schweizer Stadt Lugano. Genau dort eröffneten die Gründer der BSI 1873 ihre Bank, um von der neuen Handelsroute zu profitieren. Ihre Geschäfte liefen gut; die Bank prosperierte in der Schweiz und eröffnete bald auch Filialen im Ausland. Sie überstand den Ersten Weltkrieg und im Zweiten Weltkrieg machten die Banker der BSI dasselbe wie viele ihrer Schweizer Kollegen in der Schweiz: Sie kollaborierten mit den Nazis. Gleichzeitig taten sie etwas, was sie bald auch für ihre reichen Kunden tun sollten: Sie erfanden eine Geschichte, die die Wahrheit auf den Kopf stellte. In der Version der Schweizer Banker und ihrer Wasserträger hatte die Schweiz die Verletzung des Bankgeheimnisses nur deshalb unter Strafe gestellt, weil sie den verfolgten Juden beim Schutz ihrer Vermögen helfen wollte. Tatsächlich wurde das Gesetz aber 1932, das heißt im Jahr vor der Machtergreifung Hitlers, verabschiedet. Und der Grund dafür war keineswegs Altruismus, sondern Eigeninteresse. Man befand sich mitten in der Weltwirtschaftskrise und die Regierungen waren dringend auf Steuereinnahmen angewiesen. Viele Reiche in Europa zahlten nur ungern Steuern und sahen, dass sie dies durch Überweisung ihres Geldes auf anonyme Schweizer Bankkonten umgehen konnten. Dies führte zu einer Situation, in der Richter in Paris die Schweiz zur Kooperation mit ihren Ermittlungen gegen wohlhabende Franzosen wegen Steuerhinterziehung aufforderten. In der Schweiz selbst forderten Arbeiter und Bauern die Verstaatlichung der Banken. Die Lösung für all dies bestand in der Errichtung einer Mauer der Geheimhaltung um die Banken – und wenn dann später jemand das eherne Bankgeheimnis infrage stellte, sagte man, man habe es nur wegen der Juden eingeführt.

In der Zwischenkriegszeit verzehnfachte sich das in der Schweiz deponierte Auslandsvermögen. Nach 1945 fingen Banken wie die BSI dann an, an höchst eigenartigen Orten Filialen zu errichten; oft handelte es sich dabei um Außenposten des zerfallenden britischen Imperiums. Die Londoner City war jahrhundertelang für die wirtschaftliche Seite eines Kolonialprojekts verantwortlich gewesen, zu dem die Sklavenschiffe des Atlantiks, die Goldminen des Kaps, der Tee, die Färbstoffe und das Opium der East India Company und vieles andere gehörten. Trotz des Dahinschwindens der Macht Großbritanniens blieben viele seiner kleineren ehemaligen Besitztümer der City verbunden, auch wenn sie jetzt anderen Imperien dienten als dem britischen. So offerierte eine Insel, die früher vielleicht bestimmte Pflanzen angebaut hatte, jetzt stattdessen besondere Formen der wirtschaftlichen Geheimhaltung wie Treuhandschaften oder spezielle Arten von Tarnfirmen. Die BSI gründete Filialen auf den Bahamas und den Guernsey-Inseln. Ferner mussten sich die Banker der BSI im direkten Umfeld der Reichen – oder Hochvermögenden, wie sie bald genannt wurden – aufhalten und so entsendete man sie nach New York, Hong Kong, Monte Carlo und natürlich auch nach London.

Dabei unternahmen die Schweizer Banker nichts besonders Intelligentes oder Originelles mit dem Geld. Wie jeder, der ein bisschen Geld zur Seite legen kann, investierten sie es in Aktien und Anleihen. Viel wichtiger war, das Geld an einen speziellen Ort zu bewegen, an dem Staat, Gesetz und Gesellschaft nicht darauf zugreifen konnten. Dieser Ort wurde allgemein als »offshore« bezeichnet. Im selben Zeitraum, in dem das reichste Prozent der Bevölkerung ein Viertel des gesamten Einkommenszuwachses einstrich und für die unteren 50 Prozent nur weniger als ein Zehntel davon übrigließ, wuchs die Summe aller Gelder, die offshore deponiert waren, auf 7,6 Billionen Dollar. So lautete jedenfalls die beste Schätzung, denn etwas anderes als Schätzungen waren hier überhaupt nicht möglich. Anders ausgedrückt: Volle acht Prozent des Gesamtvermögens der Haushalte weltweit lagen offshore. Die Fähigkeit eines Landes, einer Wirtschaftskrise standzuhalten, wird gemeinhin an seinen Währungsreserven, das heißt an dem Bestand an Geld, Guthaben und Gold, gemessen, auf die es sich stützen kann. Das offshore deponierte Vermögen war doppelt so groß wie die Reserven Chinas, des Landes, das den weltweit größten Puffer hatte, und über halb so groß wie die Reserven aller Länder der ganzen Welt. Ein Drittel dieser gigantischen Summe war in Schweizer Banken deponiert. Als Nigel 2006 bei der BSI eingestellt wurde, gehörte die Bank zu den Top Ten. Sie verwaltete Vermögen im Wert von 48 Milliarden Dollar und wenn sie ein Land gewesen wäre, hätte sie auf der Liste der Länder mit den größten Reserven auf Platz 52 gestanden.

Die BSI war keine Publikumsbank für Gehaltsempfänger und Hypothekenzahler, sondern eine Privatbank. Chef des Londoner Büros war Fabrizio Zanaboni, ein temperamentvoller Italiener, dessen Vater bereits für die Bank tätig gewesen war. Zusammen mit einem halben Dutzend weiterer, ihm unterstellten Bankern verwaltete er in dieser Filiale etwa eine Dreiviertelmilliarde Dollar für einige hundert Kunden. Im Prinzip mussten sich die Banker dem Urteil Nigels über deren Seriosität beugen. Doch im Kommentar zu einem seiner Berichte hatte man von ihm verlangt, erst einmal klarzustellen, ob ein jüngst zu Tode gekommener ukrainischer Geschäftsmann vergiftet worden war oder nicht. Ein weiterer Bericht Nigels über einen Kunden beschrieb dessen Beziehungen zur Mafia von Sankt Petersburg, doch ein Banker hatte an den Rand die Anmerkung gekritzelt: »Dürftiger Hinweis, meiner Meinung nach nicht relevant.« Allem Anschein nach gab es nur ganz wenige inakzeptable Kunden. In einem anderen Fall wollte eine Bankerin für Frank Timis, einen aus Rumänien stammenden Geschäftsmann, ein Finanzlabyrinth aufbauen. Sie berichtete ihren Vorgesetzten, Timis’ Vater sei von Ceauşescu getötet worden, weshalb Timis noch als Minderjähriger nach Australien geflohen sei, wo er dann zweimal wegen Heroinbesitzes mit Handelsabsicht verurteilt wurde. Doch die Bankerin meinte, man solle ihm diese frühen Fehltritte nachsehen. Timis habe letztlich lediglich »mit den falschen Leuten verkehrt«. Er sei in der Zwischenzeit nach London gegangen, habe mit Bergbauunternehmen in Osteuropa und Afrika Millionen verdient und verfüge nunmehr über »hervorragende Beziehungen«. Auch die Vorwürfe, er habe Investoren über die Erfolgsaussichten von Ölbohrungen in Griechenland belogen, seien nicht weiter besorgniserregend. Was Timis’ Geld betraf, schlug die Bankerin die Gründung einer Stiftung in Panama vor, die Timis diskret auf dem Umweg über einen Anwalt kontrollieren würde. Diese Stiftung wäre dann Eigentum zweier auf den British Virgin Islands registrierten Unternehmen, die wiederum bei der BSI-Filiale in Monaco Konten eröffnen würden.

Unterdessen versuchte Nigel unerschrocken, sich in die Gedanken des BSI-Kunden hineinzuversetzen. »Warum kommt jemand nach London, um für ein Unternehmen auf den Cayman Islands, das von Panama aus geleitet wird, ein Konto in der Schweiz einzurichten? Das ist absolut sinnlos, es sei denn, hier läuft eine ganz faule Geschichte ab.«

Einer der BSI-Banker erweckte Nigels ganz besonderen Argwohn. Khofiz Shakhidi war ein dreißig Jahre alter Tadschike, hatte dunkle, lebendige Augen, ein ovales Gesicht und lächelte oft ein wenig schief. Sein Vater war in der Sowjetunion ein bekannter Komponist gewesen, der seine Werke, darunter ein Ballett namens Tod des Wucherers, als »Versuche zur Schaffung einer Synthese zwischen Ost und West« bezeichnete. Der Akzent seines im Westen ausgebildeten Sohns deutete kaum auf seine Herkunft hin. Er war oft charmant und offensichtlich klug, aber Nigel hatte das Gefühl, dass er sich bei jeder nur möglichen Gelegenheit über ihn lustig machte. Die Londoner Chefs der BSI hatten Shakhidi und zwei weitere Privatbanker zwei Jahre vor Nigels Einstellung von einer anderen Bank, Crédit Agricole, abgeworben und sie brachten einige hundert wohlhabende Kunden mit. Viele dieser Kunden kamen aus der ehemaligen Sowjetunion und daher ordnete der Chef der Londoner BSI, Zanaboni, an, sie einer Überprüfung zu unterziehen. Beauftragt damit wurde ein Mann namens Martin Flint, der zwanzig Jahre lang beim MI5 gewesen war und jetzt für Risk Analysis arbeitete, einen der privaten Nachrichtendienste, die in Mayfair, dem Londoner Stadtviertel, das die meisten nur vom Monopolybrett kennen und in dem eine kleine Schar von Auserwählten die Geschäfte der Reichen besorgte, wie Pilze aus dem Boden schossen. Flint sollte so viel wie möglich über Shakhidis Kunden herausfinden. Er erledigte das und gab seinen Bericht darüber ab. Dieser wurde den Schweizer Chefs der BSI zur Absegnung vorgelegt und das Verdikt lautete, die Londoner Filiale könne die Kunden übernehmen.

Nigel wurde von den Bankern ferngehalten und arbeitete in einem separaten Büro. Er unterschrieb die Anträge der Banker zur Genehmigung von Konten, mit denen das Geld der Kunden rund um die Welt geschleust werden konnte, hatte aber kaum eine Ahnung, wer die Kunden waren oder wo ihr Geld herkam. Unterdessen verschärfte sich die Krise immer mehr. Die Verstaatlichung von Northern Rock zeigte, was am Ende herauskommen würde: Die gewaltigen Verluste, die die Banker eingefahren hatten, während sie sich selbst bereicherten, würden den Steuerzahlern aufgebürdet werden. Aber parallel dazu sah Nigel auch noch etwas anderes. Auf der einen Seite schienen die Banken regelrecht aufzuplatzen, sodass ihre Tricks für jedermann sichtbar wurden. Andererseits verschwand immer mehr Geld in aller Stille in den Untergrund. Ende Februar 2008 entnahm Nigel einem Artikel in der Times, dass sich die Hälfte aller Handelsimmobilien nicht mehr im Besitz namentlich bekannter natürlicher Personen befand. Stattdessen gehörten sie Unternehmen, die an entlegenen Orten registriert waren, während die Identität der Eigentümer nirgendwo festzustellen war. Es war fast, als wäre nach dem Gott­hardtunnel noch ein weiterer Tunnel gebohrt worden, ein Tunnel, durch den Geld an einen Ort verschwand, von dem niemand sprach.

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