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5 Die Silhouette

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Cheapside, Juli 2008

Hinter dem Paravent ergriff jetzt die Silhouette das Wort. »Guten Morgen«, hörte man die Stimme eines Mannes aus Mitteleuropa sagen. »Ich schwöre, dass meine folgenden Aussagen die Wahrheit, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit sind, so wahr mir Gott helfe.«

Die Silhouette gehörte einem Ex-IT-Beauftragten einer Bank in Liechtenstein, die ihren Kunden anonyme Bankkonten zur Verfügung stellt. Vor der restlichen Welt war die Identität dieser Kunden durch eine Barriere geschützt, die die Silhouette als »hochwertige Tarnung« bezeichnete. Allerdings mussten die Banker selbst natürlich wissen, wem welches Konto gehörte. Die Arbeit der Silhouette hatte darin bestanden, die Dokumente zu indexieren, in denen diese Daten aufgeführt waren. Bei der fortwährenden Lektüre dieser Akten wurde der Silhouette klar, dass sie hier ein System vor sich hatte, dessen Zweck in Korruption, der Umgehung von Embargos und Steuerhinterziehung bestand. Wenn er seine Chefs nach den Beziehungen ihrer Kunden zu Diktatoren fragte, war die Antwort immer dieselbe: »Nicht Ihre Sache, machen Sie einfach Ihre Arbeit.« Stattdessen machte die Silhouette sich mit den Kopien von 12 000 Bankunterlagen aus dem Staub. Die LGT Bank befand sich im Besitz der königlichen Familie Liechtensteins. Die Silhouette – die damals Heinrich Kieber hieß, aber jetzt einen geheimen neuen Namen trug – wurde im Fürstentum auf die Liste der meistgesuchten Personen gesetzt. Kieber machte die Unterlagen dann auch anderen zugänglich. Am 14. Februar 2008 führten die deutschen Behörden bei einigen in den LGT-Unterlagen identifizierten Steuerhinterziehern eine Razzia durch. Ein Dutzend weiterer Länder tat es dem deutschen Beispiel gleich. Kieber kam in ein Zeugenschutzprogramm und wurde dort auf dem Band aufgenommen, auf dem er später als Silhouette vor einem Ausschuss des US-Senats erschien.

Nigel Wilkins sah der Senatsanhörung per Livestream zu und in seinem Kopf verknüpfte sich plötzlich eine Reihe von Fäden. Die Geheimnisse, die er in seinem BSI-Büro in der Cheapside rings um sich herum vorfand, ergaben mit einem Mal einen Sinn.

Nigel hatte Interesse an der Arbeit Carl Levins, eines Senators aus Michigan gefunden. Levin hatte die Befugnisse des ständigen Unterausschusses für Untersuchungen, die Joe McCarthy in den 1950er Jahren für die Hatz auf Kommunisten benutzt hatte, dazu eingesetzt, an der Macht des Bankgeheimnisses zu kratzen. Nun sah Nigel in Echtzeit zu, wie dieses Vorhaben im Juli 2008 auf einen wichtigen Punkt zusteuerte. Levin war durchaus freundlich, betrachtete aber seine Zeugen von seinem Podium aus unnachgiebig über seine Brille hinweg, bis er die Aussagen hatte, die er brauchte. Seine Ermittler hatten Monate damit zugebracht, sich ein Bild von den Wegen zu verschaffen, auf denen diverse Banken US-Bürgern geholfen hatten, ihr Vermögen vor den Finanzbehörden zu verbergen. Sie hatten Kieber hinter seinem Paravent befragt und einen großspurig auftretenden Neuengländer namens Brad Birkenfeld vernommen. Birkenfeld war Privatbankier bei der Unionsbank der Schweiz (UBS) gewesen. Die UBS verwaltete 1,8 Billionen Dollar, mehr Geld als jede andere Bank der Welt. Mit diesem Betrag hätte man die drei damals wertvollsten Großkonzerne – PetroChina, ExxonMobil und General Electric – kaufen können. Zu den Diensten, die Birkenfeld den amerikanischen Kunden von USB leistete, hatte unter anderem auch der Schmuggel von Diamanten in Zahnpastatuben gehört. Eine Mischung aus Gerechtigkeitssinn und dem Bedürfnis nach Rache für seine Entlassung durch UBS trieb Birkenfeld nun dazu, den Finanzbehörden und Levins Ermittlern mitzuteilen, was er wusste.

Levin hatte seine Beweise, aber er war kein Richter, sondern nur Politiker. Während Nigel der Übertragung zusah, nahm von den Bankern, die geruht hatten, der Vorladung des Ausschusses nachzukommen, einer nach dem anderen sein verfassungsmäßiges Recht in Anspruch, sich nicht selbst belasten zu müssen, und lehnte eine Antwort auf die Fragen der Senatoren mit allem gebührenden Respekt ab.

Nach mehr als zwei Stunden berief der Ausschussvorsitzende den letzten Zeugen des Tages in den Zeugenstand. Mark Branson war Top-Manager der UBS und war eigens aus Zürich in die USA gekommen. Er war Engländer und stand nun in grauem Anzug und mit unauffälliger Krawatte da, um in selbstsicherem Ton seinen Eid abzulegen. Doch sowie er sich hingesetzt hatte, fasste er sich mit der linken Hand um das rechte Handgelenk und blätterte in den vor ihm liegenden Papieren herum. Statt sein Schweigerecht in Anspruch zu nehmen, las er ein vorbereitetes Statement vor. Er erklärte, er sei seit 1997 bei der UBS beschäftigt und vor fünf Monaten damit beauftragt worden, »in unserem weltweiten Geschäft der Vermögensverwaltung für eine strikte Befolgung der Regeln zu sorgen«. Er habe den Bericht, den die Ermittler des Ausschusses erstellt hatten, gelesen. »Ich möchte mich«, so Branson, »im Namen der UBS entschuldigen. Ich versichere Ihnen, dass wir alle notwendigen Maßnahmen ergreifen werden, um dafür zu sorgen, dass Dinge wie diese nie wieder geschehen.« Ein Raunen ging durch den Raum. Ein Vertreter der vermögendsten Privatbank der Welt legte vor dem Senat ein Geständnis ab. Einer von Levins Ermittlern schob diesem eine Notiz zu, auf der lediglich ein Wort stand: »Wow.« Branson gab zu, dass die Banker der UBS Scheinfirmen gegründet hatten, um Geld an den Finanzämtern vorbeizuschleusen. Die Bank sei dabei auf frischer Tat ertappt worden und werde künftig alle US-Bürger, die mit dem Wunsch an sie heranträten, ihr Geld ins Ausland zu verschieben, abweisen. Und nicht nur das – außerdem seien die Chefs der Bank nunmehr bereit, die Kardinalregel des Schweizer Bankgeschäfts zu brechen: Sie würden den US-Behörden helfen, die schwarzen Schafe unter ihren 19 000 amerikanischen Kunden zu identifizieren, die Steuern hinterzogen hatten.

Nigel hatte sich nur eine Seite des Berichts über die Levin-Ermittlungen ausgedruckt. Sie trug die Überschrift »Techniken für das Bankgeheimnis in Steueroasen«. Er ging die Liste der Techniken durch. Da hieß es, man solle tunlichst nicht mit Kunden über Bürotelefone kommunizieren, ausländische Scheinunternehmen und Kreditkarten verwenden, dafür sorgen, dass alle Post an die Bank und nicht direkt an den Kunden ging – all das Tricks, die auch bei der BSI Tag für Tag eingesetzt wurden. »Diese Strukturen werden benutzt, um die wirklichen Besitzer vor den Behörden geheim zu halten«, schrieb Nigel in sein Notizbuch. »Das sind Strukturen, die bewusst entwickelt wurden, um Gewinne aus illegalen Geschäften zu verschleiern.« Und nach geltendem Recht war der Hauptverantwortliche für all dies Nigel Wilkins selbst. Als Kontrollbeamter war er derjenige, der die Pflicht hatte, jeden Verdacht auf Geldwäsche sofort zu melden. Wenn er dies nicht tat, konnte er sogar rechtlich belangt werden.

Kurz vor der Levin-Anhörung war der UBS-Banker Brad Birkenfeld im Mai 2008 nach einem Nachtflug aus der Schweiz am Bostoner Flughafen verhaftet worden. Staatsanwälte in den USA hatten herausgefunden, dass er seine eigene Rolle bei der Kaschierung des Vermögens eines Milliardärs verschwiegen hatte. Birkenfeld hatte schon im Flugzeug geahnt, was auf ihn zukam: Er hatte seinen Business-Class-Flug mit einem harten Drink und damit zugebracht, sich den Harrison-Ford-Film Auf der Flucht anzusehen. Für die anderen Mitglieder der Bruderschaft der Schweizer Banker war diese Festnahme höchst beunruhigend. Carl Levin hatte das Finanzgeheimnis mit einer russischen Matroschka-Puppe verglichen: »Das sind ineinander verschachtelte Hüllen, […], die sich am Ende als resistent für jedes rechtliche Vorgehen erweisen können.« Aber jetzt war das Recht dabei, die Banker und ihre Kunden einzukreisen.

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