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Ein Hoffnungsschimmer

‘Es war Mein sehnlichster Wunsch’, so schrieb der hochbetagte österreichische Kaiser Franz-Joseph am Dienstag dem 15./28. Juli im Manifest An Meine Völker, worin er die Einwohner seines genau so betagten Reiches von der Kriegserklärung an Serbien40 in Kenntnis setzte, ‘die Jahre, die Mir durch Gottes Gnade noch beschieden sind, Werken des Friedens zu weihen und Meine Völker vor den schweren Opfern und Lasten des Krieges zu bewahren. Im Rate der Vorsehung ward es anders beschlossen’. – Ergreifende Worte, aus denen sich die Ohnmacht des vom Leben schwer erprobten Monarchen – und von vielen anderen führenden Persönlichkeiten im damaligen Europa – auf schmerzliche Weise zeigt. Weniger als einen Tag später widerhallten in Belgrad die Explosionen der Bomben, womit österreichische Kanonenboote von der Donau die serbische Hauptstadt unter Beschuss nahmen. Die ersten Schüsse in was sich innerhalb von wenigen Tagen zu einem allgemeinen europäischen Krieg ausweiten würde, waren gelöst worden!

Dies war der Augenblick worauf Sasonow gewartet hatte: nun konnte er endlich seine Vollmacht benutzen und die russische Mobilisation öffentlich bekanntgeben. Dank der österreichischen Kriegserklärung an Serbien und der Beschießung von Belgrad hatte er ja einen handfesten Vorwand in Händen um die russische Mobilisation zu rechtfertigen, zumindest psychologisch, und – wichtiger vielleicht noch – den zögernden Zaren auf seine Seite zu bringen. Denn wer würde nicht gutheißen, dass das große und mächtige Russland seinem kleinen, sich in Not befindenden ‘slavischen Bruder’ zu Hilfe käme?! Russland könne doch, so verkündete Sasonow jedem der es hören wollte lautstark, nicht einfach gleichgültig zusehen wie die österreichischen Truppen Serbien ‘verschlingen’ und ‘zu Vasallenstaat Österreichs’ herabdrücken würden?!41 Augenscheinlich ein sehr berechtigter Standpunkt, wenigstens für jemanden der vergaß, dass Serbien den Konflikt mit seinem großen Nachbarn durch jahrelange Provokationen selbst heraufbeschworen hatte.42 Außerdem führte Sasonow – nicht ganz ohne Grund – vor, dass ‘Österreich offenbar nicht den Willen zeigt, irgend einen Modus einer friedlichen Lösung seines Konfliktes mit Serbien anzunehmen’.43 Um auch die letzten Zweifler für sich zu gewinnen, behauptete Sasonow schlussendlich – wider besseren Wissens –, dass die österreichische Mobilisation auch für Russland eine Gefahr bedeute.44 Und so konnte Sasonow drei Tage nach dem Ministerrat des 12./25. Julis dann endlich mit der Mobilisation an die Öffentlichkeit treten. Das ‘Verstecken spielen’ war vorbei.45

Sasonow benutzte den günstigen Augenblick sofort und sandte noch am selben Tage dem russischen Botschafter in Berlin ein Telegramm, worin er ihm mitteilte: ‘Infolge der Kriegserklärung Österreichs an Serbien wird die kaiserliche Regierung morgen die Mobilmachung der Militärbezirke Kiew, Odessa, Moskau und Kasan anordnen’.46 Ein gewagter Schritt, da der Zar zu diesem Zeitpunkt den Mobilmachungsbefehl noch nicht unterschrieben hatte.47 Wider Sasonows Erwarten würde das noch eine harte Nuss sein.

Wie Sasonow und seine Kumpane letztendlich vom Zaren die Einwilligung für die Mobilmachung erlangt haben, und ob dies die teilweise oder die allgemeine Mobilmachung betraf, bleibt bis auf den heutigen Tag in gewissem Maße in Dunkel gehüllt. Fest steht aber auf alle Fälle, dass es der Chef des Generalstabes Nikolai Januschkewitsch, gewesen ist, der am Mittwoch dem 16./29. Juli im Laufe des Vormittags während seiner täglichen Besprechung mit dem Zaren diesen schließlich zur Unterzeichnung des Mobilmachungsbefehls überredet hat.48 Mit dem kostbaren Dokument in seiner Mappe begab Januschkewitsch sich daraufhin spornstreichs vom Palast in Peterhof zu den Räumen des Generalstabes in Sankt Petersburg.49 Hier übergab er den Mobilmachungsbefehl seinem Unterstellten General Dobrorolski, dem Chef der Mobilmachungsabteilung, damit dieser die nötigen Vorbereitungen für die Versendung des Mobilmachungstelegramms treffen konnte.50 Alles schien unter Dach und Fach.

Wenige Stunden später, am Anfang des Abends, tat der Zar schon einen nächsten Schritt: nachdem Sasonow Nikolaus per Telefon mitgeteilt hatte, dass der deutsche Botschafter Pourtalès ihm soeben mit Mobilmachung gedroht hatte51, erteilte er Sasonow die Erlaubnis, ‘sich sofort mit dem Kriegsminister und dem Chef des Generalstabes in Sachen unserer Mobilmachung zu besprechen’.52 Dieser ließ kein Gras darüber wachsen und berief ohne Zögern seine beiden Kumpane ein um auf der Stelle Nägel mit Köpfen zu machen.53

Obwohl diese Beratung nur ganz kurz dauerte54, waren die Folgen von außerordentlicher Wichtigkeit. Davon überzeugt, dass der Krieg mit Deutschland nicht mehr zu vermeiden war, hielten die Beratschlagenden es für unbedingt notwendig, sich rechtzeitig in jeder Hinsicht auf ihn vorzubereiten. Deshalb, so meinten sie, dürfe nicht riskiert werden um die Generalmobilmachung durch eine Teilmobilmachung zu verzögern oder sogar zu gefährden.55 Diese Schlussfolgerung wurde dem Zaren unverzüglich mitgeteilt, worauf er ‘seine Einwilligung zum Erlass der entsprechenden Verfügungen’ gab.56

‘Von dem engen Kreise der eingeweihten Personen’, so teilt Sasonows Kabinettschef Schilling mit, wurde diese Mitteilung ‘mit Begeisterung aufgenommen’.57 Durchaus verständlich, denn sie hatten nun einmal alle ihre Karten auf den allgemeinen europäischen Krieg gesetzt.58

Dank des ‘vorausschauenden Blickes’ des Stabschefs Januschkewitsch konnte man jetzt direkt zur Tat schreiten. Dem definitiven Befehl Nikolaus vorgreifend, hatte Januschkewitsch nämlich, zweifelsohne nach Rücksprache mit Sasonow, nach seiner Rückkehr aus Peterhof die vom Zaren unterzeichneten Ukas über die allgemeine Mobilmachung dem General Dobrorolski, der für die Durchführung der Mobilisation zuständig war, übergegeben.59 Dabei hatte er ihn beauftragt bei den Kriegs, Marine-und Innenministern vorzusprechen und sie das Mobilmachungstelegramm unterschreiben zu lassen.60 Und so geschah es auch. Es gelang Dobrorolski um die drei Unterschriften zu ergattern, sei es nicht ohne Mühe.61

Gegen neun Uhr abends war alles in Ordnung und begab Dobrorolski sich zum Telegrafenamt um das Mobilmachungstelegramm zu verschicken. Der Chef des Telegrafenamts war zuvor schon auf Antrag von Januschkewitsch von einem Offizier der Mobilmachungsabteilung angewiesen worden, alles vorzubereiten, um am Abend ein Telegramm ‘von außerordentlicher Wichtigkeit’ absenden zu können.62 Nichts schien die Mobilmachung jetzt noch verhindern zu können.

Schein betrügt! Die ‘Verschwörer‘ hatten die Rechnung nämlich ohne den Wirt gemacht. Denn auch diesmal verleugnete Nikolaus’ wankelmütige Natur sich nicht. Abends um halb zehn63, als alles schon in Bereitschaft gestellt war um das Mobilmachungstelegramm an die unterschiedene Militärbezirke zu versenden, erschien im Telegrafenamt nämlich auf einmal ein Kapitän beim Generalstab, Tugan-Baranowski, der dem bestürzten Dobrorolski im Auftrag von Januschkewitsch mitteilte, dass die Generalmobilmachung ‘durch Allerhöchsten Befehl’ aufgehoben sei und dass statt dessen vom Zaren anbefohlen sei ‘die Teilmobilmachung … vorzunehmen’.64 Der Weg zum Frieden schien wieder offenzuliegen! Zur Freude aller die dem Krieg mit Angst und Beben entgegensahen!


Abbilung 4: Außenminister Sergei Sasonow in seinem Arbeitszimmer


Abbilung 5: Kriegsminister Wladimir Suchomlinow, mit schräg hinter ihm der Chef des Generalstabs Nikolai Januschkewitsch; obwohl er seinen eigenen Anteil im Nachhinein bagatellisierte, spielte Suchomlinow eine wichtige Rolle bei der russischen Mobilmachung, u.a. indem er half die Genehmigung des Zaren für die allgemeine Mobilisation zu erhalten; unterschrieb auch ohne Protest den Mobilmachungsbefehl


Abbilung 6: Generalstabschef Nikolai Januschkewitsch; leistete Außenminister Sasonow wichtige Hand- und Spanndienste und brachte damit den Krieg näher heran

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