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Kapitel 4

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Naxbil war wutentbrannt in sein Gemach gestürzt, hatte sich die festlichen Gewänder vom Leib gerissen und rannte nun in einfacher Kleidung auf und ab. Tränen der Wut standen in seinen Augen, Wut auf seinen Vater. Und auf seine Schwester, die ihm das Erbe stahl. Wut auch auf die Arroganz der anderen Familien, die ihn ignoriert hatten. Seine Hoffnung auf Aufmerksamkeit war nicht erfüllt worden, seine Anwesenheit hatte niemanden in Verlegenheit gebracht. Alle waren nur erstaunt gewesen, ihn zu sehen, hatten sich damit jedoch nicht lange aufgehalten und ihn wie Luft behandelt. Am liebsten wäre er zurückgekehrt und hätte einen nach dem anderen abgeschossen. In voller Erregung griff er nach seiner Aphille, die direkt neben seinem Spiegel hing. Der lange Lauf aus dunklem Holz lag warm in seiner Hand, die Bolzen mit den stählernen Klingen, die noch nie das Fleisch eines Nocturnen, sondern immer nur wilde Acti gekostet hatten, starrten ihn voller Härte an als wollten sie ihn ermutigen, sich zur Wehr zu setzen. Oder ihn verspotten. So erblickte er sich im Spiegel, die kunstvolle Waffe in der Hand, sein verzehrtes Gesicht, das fratzenartig und lächerlich aussah. Es verstärkte noch seine Wut und mit einem heftigen Schlag mit der Aphille zerschmetterte er den Spiegel, der in Tausend Stücke zerbarst.

Beinahe hätten die Scherben Naxbil verletzt, denn durch die Größe des Spiegels hagelte es Splitter, die fast den Sohn des Vincus erreichten, der erschreckt zurückwich. Wie aus einer Trance erwachte er jetzt, beschaute sein Werk und heulte kurz auf. Wie alles in dem Zimmer war auch der Spiegel ein antikes Stück gewesen, welcher so alt war, dass er beinahe schon ein eigens Leben besessen hatte. Traurig starrte ihn der leere Rahmen an, die geschnitzten burlesquen Figuren tanzten immer noch, doch nicht mehr um den Spiegel herum, sondern nur noch für sich, was ihnen ein sonderbar unnützes Aussehen verlieh. Es kam Naxbil so vor als drehten sie sich nach ihm um, schauten ihn vorwurfsvoll an, einige wollten ihm sogar drohen. Rasch wich Naxbil ein weiteres Stück zurück, nahm seinen Umhang und floh aus dem Zimmer.

Auf der Treppe nach unten schaute er nochmals nach oben, wo die ehrenwerte Gesellschaft auf die Entscheidung seiner Schwester wartete. Noch war es nicht so weit, denn sonst würde es oben lauter zugehen. Er lief rasch hinab, trat über die prachtvolle Aufgangstreppe, die mehrere Phrakten breit war, in den Empfangssaal, der selbst für nocturne Verhältnisse düster vor ihm lag. Der rote Teppich hatte bereits bessere Tage gesehen, doch aus irgendeinem Grund hatte ihn Vincus noch nicht ersetzt, was schließen ließ, dass es einen guten Grund dafür gab. Naxbil hielt sich mit dieser Frage nicht lange auf. Er durchschritt die Halle und ging links auf eine Seitentür zu. Durch das riesige gotische Eingangsportal wollte er nicht gehen, schon weil sich die vier Phrakten hohe Tür so schwer öffnen ließ. Der einfache Seitenausgang erfüllte jetzt ebenso seinen Zweck.

Draußen sog Naxbil die kühle Nachtluft ein. Vor ihm lag der verwilderte Garten, auf den Vincus ganz offensichtlich keinen Wert legte. Marletta, Naxbils Mutter, hatte den Garten gepflegt und so manches unheimliche Kraut angepflanzt, das jetzt wie außer Rand und Band wucherte und beinahe die Wege versperrte. Nur der Hauptweg war frei, denn Baribas schlug einmal im Monat alles kurz und klein, was in den Weg zu wachsen wagte.

Der Mond schien und leuchtete Naxbil den Weg. Hier draußen vor den Toren der Stadt war es immer ruhig, nichts zu spüren von der Bewegung, die in der Oberstadt herrschte. Heute, nach diesen Ereignissen, stand Naxbil der Sinn nach etwas Verbotenem. Die Unterstadt, der Ort, an dem die Namenlosen lebten, der Stand der Nocturnen, der in Elend existierte und deshalb geächtet wurde. Sie hatten keine Stimme im Parlament, wurden seit Jahrhunderten unterdrückt und vom eigenen Volk nieder gehalten. Wer in diese Welt der Namenlosen geboren wurde, hatte keine Chance auf ein gutes Leben, musste in den verdammten Gettos der Unterstadt sein Dasein fristen. Seit Jahrhunderten führten die oberen Schichten einen ungerechten Krieg gegen die Töchter und Söhne der Namenlosen, die deshalb so hießen, weil sie keinen ehrwürdigen und alten Nocturnen-Namen trugen, sondern nur einen Vornamen. Das Heer existierte nur aus dem Grund, um den Namenlosen alle paar Monate einzubläuen, dass es Nocturnen gab, die sie beherrschten. Dabei bildeten die Namenlosen das Rückgrat der Gesellschaft. Zu allen möglichen Tätigkeiten wurden sie herangezogen, mussten auf den Feldern arbeiten, wenn die Ernte anstand oder als Bauarbeiter dienen, wenn das Parlament Baumaßnahmen beschlossen hatte. Das alles für wenig Lohn und noch weniger Anerkennung.

Naxbil hatte sich schon sein Leben lang zu diesen Rechtlosen hingezogen gefühlt, nicht dass er sie nicht wie jeder Hochgeborene verachtete, sondern weil er die ungezwungene Art, die die meisten Namenlosen in sich trugen, bewunderte. Der Tod konnte immer kommen, jederzeit, denn ein Namenloser musste zu jeder Stunde befürchten, von einem Hochgeborenen grundlos umgebracht zu werden. Das führte dazu, dass die Namenlosen ohne Scham und Hemmung lebten, denn was half es schon zu warten? Zwar gab es in regelmäßigen Abständen Aufstände, die jedoch allesamt mit äußerster Brutalität niedergeschlagen wurden, so dass jede Hoffnung auf Gerechtigkeit seit Jahrhunderten ausgewischt und vergessen war. Diese Aufstände waren nur ein Mittel der Hoffnungslosen, durch den Tod von ihrem erbärmlichen Schicksal erlöst zu werden.

Naxbil war bereit für die Vergnügungen der Nacht. Vergnügen, die nur die Hoffnungslosen empfinden konnten und die er aus diesem Grund immer öfter suchte. Vorher musste er noch bei seinem Freund Mintros vorbeigehen, der als Einziger von seinen verbotenen Ausflügen wusste. Seine Kleidung war zu auffällig, er musste sich kleiden wie ein Namenloser, die nur bestimmte Gewänder tragen durften. Aus Angst vor Entdeckung bewahrte Naxbil diese Gewänder bei Mintros auf, der allein lebte und daher nicht Gefahr lief, von anderen entdeckt zu werden. Das wäre der Sargnagel in seinem Leben, wenn herauskäme, dass er sich in der Unterstadt aufhielt. Wahrscheinlich würde man ihn zwingen, selbst als Namenloser zu leben, mit ihm auch seine ganze Familie. Doch niemand wusste von seinem Schattenleben und er wischte sämtliche Zweifel weg, indem er sich einredete, dass er Abwechslung brauchte.

Er sattelte eine Megantenstute und ritt die kurze Strecke in die Oberstadt zu Mintros, seinem Freund aus Kinderzeiten. Der verstand ihn sofort, war einer seiner ältesten Freunde der Familie. Sogar die Schande seiner Hochzeit hatte Naxbil mit ihm geteilt. Er vertraute Mintros alles an. Ohne viele Worte brachte dieser ihm die Torgu, das einfache Gewand der Namenlosen. Naxbil streifte sie über, schaute in den Spiegel und mochte den Anblick ebenso wie dem vor einigen Stunden, als er in den buntesten Gewändern umherflaniert war.

Mintros' Haus hatte noch einen entscheidenden Vorteil, barg ein Geheimnis, das niemand außer den beiden Freunden kannte. Ganz unten, in den tiefsten Kellern, die nie jemand betrat, in der dunkelsten Ecke, befand sich ein riesiger Stein, der unbeweglich aussah, so schwer schien er. Durch Zufall hatten die beiden Freunde, als sie noch Kinder waren, bemerkt, dass sich dieses Monstrum ganz leicht zur Seite schieben ließ. Was sie dahinter fanden, war wohl der Traum eines jeden Kindes, das noch den Abenteurer in sich spürt. Sie entdeckten ein uraltes Tunnelsystem, das sie auf verschlungenen Wegen mitten in den Berg unter der Oberstadt hineingeführt hatte.

Es handelte sich um ein ausgeklügeltes Straßensystem samt Gebäuden einer längst versunkenen Kultur, die hier vor vielen Jahrhunderten existiert haben musste. Das Wissen um ihre Existenz war in den Fluten der Zeit versunken, niemand ahnte von dieser Stadt unter der Stadt. Es mussten Höhlenwesen von großer Geschicklichkeit und Intelligenz gewesen sein, denn die Tunnel waren fein säuberlich aus den Felsen geschlagen. Bereits in jungen Jahren hatten Naxbil und sein Freund hier gespielt, doch war diese Stadt so groß, dass sie sie nie ganz auskundschaften konnten. Vor einigen Jahren dann hatten sie den Tunnel entdeckt, der direkt in die Unterstadt führte. Damals, sie waren noch Jugendliche, hatten sie sich noch vor Ausflügen in den verbotenen Teil der Stadt gefürchtet, doch mit der Zeit waren sie immer mutiger geworden und hatten sich schließlich getraut, die verbotene Welt der Namenlosen zu betreten. Um nicht aufzufallen, hatten sie geschickt vorgehen müssen. Sie durften nicht erkannt werden, denn die Namenlosen, so harmlos sie auch waren, galten als die Todfeinde der Hochgeborenen der Oberstadt. Bald schon hatten sie Möglichkeiten gefunden, sich inkognito unter die Namenlosen zu mischen. Ein glücklicher Zufall war ihnen zu Hilfe gekommen und hatte ihnen die verbotenen Gewänder, einige Torgus, in die Hände gespielt. Ab diesem Zeitpunkt war es einfach gewesen, denn sie sahen so aus wie alle anderen.

Ein wesentlich größeres Problem waren die ständigen Kontrollen der Armee gewesen. Auf einem ihrer ersten Ausflüge wären sie beinahe entdeckt worden, nur zufällig brachen die Soldaten ihre Durchsuchung ab, kurz bevor Naxbil und Mintros an der Reihe gewesen wären. So hatten sie lernen müssen, sich wie die Namenlosen vor den ständigen Kontrollen der Armee in der Unterstadt zu verstecken, kannten die verschlungenen Gassen und dunklen Ecken, die unbekannten Bars hinter den fensterlosen Gebäuden, in denen die wüstesten und ungehemmtesten Feste stattfanden und wo sie sich beinahe unbehelligt verstecken konnten. Dort, in den finstersten Ecken der Stadt, die selbst die Hochgeborenen nicht kannten, hatten Naxbil und Mintros schon früh das gefunden, wovon junge Nocturnen meist nur träumten. Hier gaben sich die Namenlosen gänzlich ihrer Lust hin, kannten dabei keine Grenzen. Am Anfang war es ein Schock gewesen, bei den ersten Begegnungen mit Nocturninnen waren sie beide noch zurückhaltend und unerfahren gewesen, was sich sehr schnell änderte. Im Laufe der Zeit hatten die Freunde genauso wie die Namenlosen sämtliche Hemmungen verloren, hatten Erfahrungen gesammelt und Dinge getan, die in der Oberstadt, ihrer Heimat, bei Strafe verboten waren.

Vielleicht hätte man damit das Verhalten Naxbils erklären können, das ihn in der Stunde des Heiratsrituals sämtliche Realitätsnähe hatte abhanden kommen lassen. Unbewusst war er seinen Instinkten und Lüsten gefolgt, hatte vergessen, wo die Grenzen lagen. Im Grunde konnte er sich nicht mehr vorstellen, eine normale Beziehung mit einer Hochgeborenen zu führen. Er kannte die sexuellen Ausschweifungen mit namenlosen Nocturninnen, wusste, wie es war, wenn er sich mit allem hingab, ohne die kontrollierte Hemmung der Gesellschaft.

Er stieg mit Mintros zusammen in den Keller des Hauses, in dem sich hinter einem alten Schrank der riesige Stein – der Zugang zu den Wegen zur Unterwelt - befand. Es war ein unscheinbarer Fels an der Wand, den Mintros nur schützte, in dem er dieses alte Möbel davor gestellt hatte. Somit blieb der Eingang unscheinbar und niemand hatte je Verdacht geschöpft. Seit Mintros' Eltern sehr früh gestorben waren, lebte er allein im Haus, schon aus diesem Grund war das Geheimnis der Freunde kaum in Gefahr. Nach vielen Jahren der Erkundungen waren die beiden sicher, dass dieser Zugang der einzig übrig gebliebene zur Oberstadt war, denn trotz vieler Stunden und Nächten der Suche hatten sie keine weiteren Öffnungen finden können.

Naxbil ging heute allein, selbst die Gesellschaft seines Freundes konnte er nicht ertragen. Langsam stieg er in das Gewölbe unter dem Haus hinab, von dem aus es mehrere Wege gab. Er kannte die Richtung, hatte diese Straßen unzählige Male beschritten. Aufrecht konnte er laufen, denn die Tunnel waren hoch. Der helle Sandstein, aus dem sie herausgeschlagen waren, hatte sich in den Jahrhunderten dunkler verfärbt. Der Duft des Alters hing schwer in der Luft. Überall in den Tunneln waren die Einstiege zu den Wohnungen der Wesen der vergangenen Kulturen, es gab riesige Hallen und Plätze, sorgsam verschönert durch Verzierungen aller Art. Geheimnisvolle, schwunghafte Schriftzeichen einer längst vergessenen Sprache prangten vor allem über den Eingängen und machten das Mysterium der Vergangenheit vollkommen.

Naxbil interessierte das alles nicht, er schritt rasch voran, auf geradem Wege zur Unterstadt der Namenlosen. Jetzt musste er unter den Toren sein, die schwer bewacht die beiden Bereiche – Ober – und Unterstadt - trennten, unpassierbar für die, die nicht passieren durften.

Die gesamte Unterstadt war von einer Zyklopenmauer umgeben. Harter Granit, der phraktenhoch aufgetürmt und ohne Zement oder Mörtel so perfekt gearbeitet war, dass keine Messerklinge zwischen die Ritzen passte. Auch das war eines der Geheimnisse der Vergangenheit, denn wer diese Mauer vor Urzeiten errichtet hatte, wusste niemand. Sie erfüllte ihren Zweck, als sich die Gesellschaft der Nocturnen geteilt hatte und die Namenlosen sich in dieses Getto der Unterstadt pferchen mussten, wo die Hochgeborenen sie gut kontrollieren konnten. Ein unentrinnbarer Ort, eng und düster, voller Sorge und Hoffnungslosigkeit.

Naxbil ging langsam durch die Säle des Höhlensystems. Hier unten war es völlig still. Er genoss die Ruhe für einen Moment, denn gleich würde er in einen Tumult stürzen, den Nocturnen in der Oberstadt niemals für möglich halten würden. Er näherte sich seinem Ziel, dem Ausgang. Trotz aller Enge in der Unterstadt hatte noch niemand den Eingang zum Tunnelsystem gefunden. Er lag gut versteckt direkt am unteren Ende der Stadt, an der unüberwindbaren Mauer. Auch hier lag ein riesiger Fels, scheinbar so gewaltig und fest, dass sich niemand je die Mühe gemacht hatte, ihn zu bewegen. Vorsichtig schob Naxbil den Stein nach vorne, späte hinaus. Niemand war dort, denn es gab keinen Grund, sich in diese finsterste Ecke der Stadt zu verlieren. Er verschloss den Eingang wieder, der nicht zu erkennen war, es blieb ihm nur wenig Platz zwischen dem Felsen und der Mauer. Dann stand er auf einer immer noch schmalen Gasse, der Lärm der Unterstadt drang bis zu ihm hervor.

Naxbil fegte den Staub von seiner Torgu, jetzt konnte die Nacht für ihn beginnen. Er fühlte sich wie neu geboren, nichts belastete ihn hier unten. Niemand interessierte sich dafür, wer er war oder was er getan hatte. Es war eine Form der Freiheit, die ihn mit den Namenlosen auf eine Stufe stellte, deren Recht auf Vergnügen er jetzt voll auskosten wollte. Auf den düsteren Straßen tobte das Leben. Da zurzeit keine öffentlichen Aufgaben für die Hochgeborenen zu erledigen waren, befand sich fast jeder Namenlose in der Unterstadt. Naxbil blickte auf die gleiche Rasse, aus der er auch stammte. Nur sah sie anders aus. Noch blasser, die meisten von der Armut ausgezehrt. Viele waren verstümmelt, durch Unfälle auf den Baustellen fehlten Arme und Beine. Auch Krankheiten hatten ihren Zoll gefordert, besonders die gefürchtete Yochratis, bei der sich die Augenhöhlen entzündeten und, unbehandelt, unweigerlich zum Verlust der Augäpfel führte. Viele Blinde liefen in den Straßen umher, umsorgt von den Sehenden. Naxbil wunderte sich immer über diese Form des Zusammenhalts, denn wenn jemand in der Oberstadt so krank würde und betteln müsste, wurde er selten beachtet, meist wegen seiner Schwäche von denen ausgelacht, die sich insgeheim vor der Krankheit am meisten fürchteten.

Das Schicksal der Einzelnen jedoch schien hier aufzugehen in etwas Größeres, auch wenn er sich wenig für die Gesellschaft in der Unterstadt interessierte. Eines jedoch liebte er: die Anonymität, die hier unten herrschte. Jeder ließ jeden gewähren, urteilte nicht, somit konnte sich auch Naxbil frei bewegen, ohne dass ihn jemand zur Rechenschaft zog. Wäre es anders gewesen, hätte Naxbil dieses Doppelleben niemals führen können. Er kannte ein Haus der besonderen Art, auf das er jetzt ohne zu zögern zusteuerte. Hier trafen sich die besonders Jungen, die allerdings auch hier schon die Reife der Jahre in ihren Gesichtern trugen. Er wirkte trotz der Tatsache, dass er etwas älter war, ausgesprochen jugendlich, was ihm half, auch hier das zu bekommen, was er wollte. Er spendierte großzügig einige Arcinmünzen, die die namenlosen Nocturninnen zu Höchstleistungen anspornten. Doch gab er niemals zu viel, denn das hätte ihn unweigerlich verraten. Als er an dem Haus angelangt war, blieb er kurz davor stehen. Ein Schauder lief ihm über den Rücken, der ihn immer überkam, wenn er dort stand. Es war ein unscheinbares, windschiefes Gebäude, weit abseits der Hautstraße, wohin sich kaum noch ein Nocturn verirrte, wenn er nicht direkt danach suchte. Der Putz fiel bereits von den Wänden und die Fenster waren durch zentnerschwere Steine vermauert. Hätte er es nicht besser gewusst, wäre Naxbil weiter gelaufen, in der Annahme, dass hier sicher niemand wohne. Doch das war ein Trugschluss. Er klopfte dreimal leise an die knorrige, mit Eisen beschlagene Holztür. Geräuschlos öffnete sich eine winzige Luke, die kaum größer als einige Recken war. Naxbil griff in seinen fast leeren Geldbeutel und warf eine einzige Münze hinein, für einen Namenlosen ein halbes Vermögen. Er hörte, wie das Geldstück auf den harten Boden aufschlug. Jemand bewegte es dort hin und her, als wenn er kontrollierte, ob es auch echt sei. Dann wieder Stille. Nichts rührte sich. Naxbil kannte das Spiel, er wusste, dass er nun eine Minute warten musste. Er war sicher, dass er beobachtet wurde. Nach einer kleinen Ewigkeit knarrte es mächtig und die Tür öffnete sich einen Spalt weit. Naxbil schob sie vollends auf. Niemand befand sich dahinter. Schon lange fragte er sich nicht mehr, wer hier eigentlich den Türsteher mimte. Er trat ein, diesmal schloss sich die Tür lautlos, kein Knarren oder Ächzen. Durch einen langen Korridor lief er in das Haus hinein, kam in ein Vorzimmer. Dort streifte er die Torgu ab, war bereits sichtlich erregt von der Vorfreude. In dem Raum hingen an alten, hölzernen Haken bereits sicher drei Dutzend Torgus, ein gutes Zeichen, denn das Haus war gut besucht. Das Schöne an der Geschichte war, dass immer mehr Nocturninnen anwesend waren als Nocturnen. Warum wusste er nicht und es war ihm auch einerlei. Denn das führte immer zu Möglichkeiten, die Naxbil besonders mochte. Hier konnte er seine intimsten Leidenschaften ausleben. Hier geschahen Dinge, die bei den Hochgeborenen mit den übelsten Strafen belegt wurden. Eigentlich war es ein Wunder, dass seine drei Bräute überhaupt noch auf freiem Fuß waren, nachdem er sie zu diesen Handlungen gezwungen hatte. Gerade weil er sicher war, dass zumindest eine von ihnen die verbotenen Spiele genossen hatte.

Jetzt trat er ein in die hinteren Gemächer, die seiner Berechnung nach alle in den Kellergewölben liegen mussten. Er brauchte nicht lange zu suchen, bis er fand, was er wollte.

Nocturnia - Die langen Schatten

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