Читать книгу Nocturnia - Die langen Schatten - Torsten Thoms - Страница 6

Kapitel 5

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Vincus spähte noch immer durch das Guckloch in das Zimmer nebenan. Er hatte den Standort schlecht gewählt, denn er konnte kaum ein Wort verstehen, sah die Drei aber lebhaft diskutieren. Allein die Tatsache, dass es bereits Stunden her war, seit er den Raum versiegelt hatte, deutete darauf hin, dass Juchata sich noch lange nicht entschieden hatte. Wusste sie wirklich, was zu tun war? Er hatte fest damit gerechnet, dass sie spätestens jetzt verstanden haben müsste. Er war sich sogar völlig sicher. Warum also zog sie das Unvermeidliche so sehr in die Länge? Nachdenklich nippte der Alte an seinem Wasserglas. Miesta hatte er nicht angerührt, da er spürte, dass er in dieser Nacht noch alle seine Sinne brauchen würde. Auch die Mitglieder der anderen Familien waren nicht mehr so entspannt wie am Anfang der Nacht. Selbst dem alten General Pelleus, der in so vielen Schlachten mit den Namenlosen sein Leben riskiert hatte, merkte man die Nervosität an. Er trank ein Glas Miesta nach dem anderen und langsam verlor er die Kontrolle über seine Zunge, die ganz offensichtlich immer schwerer in seinem Mund lag und nur noch selten seinen Befehlen gehorchte.

Während Pelleus sich auf diese Weise Entspannung verschaffte, trank Pelates ebenfalls nur Wasser. Seine Nervosität zeigte sich nur durch das stärkere Lispeln, ein untrügliches Zeichen für Anspannung, das Vincus sofort bemerkte. Es war einer der Gründe, warum sich Pelates bei Kampfdiskussionen, wie sie öfter vorkamen, ungewollt verriet. Kein Nocturn würde ihm Ärger jemals ansehen, es war nur diese Nuance, sein Sprachfehler, der ihn die Größe kostete, die er sich erhoffte. Pelates wusste es und er wusste auch, dass Vincus es bemerkte, zu lange schon waren sie die vertrautesten Feinde. Jetzt, in diesem Moment, gab er sich keine Mühe, das nervöse Lispeln zu unterdrücken, weil es ohnehin keinen Sinn machte, denn selbst in all den Jahren hatte er es trotz intensiven Trainings nicht geschafft, diesen Sprachfehler gänzlich loszuwerden. Allenfalls konnte er sich selbst täuschen, doch dazu fehlte ihm im Moment jegliches Verlangen. Ketauro, im Gegensatz zur generellen Nervosität, wirkte bereits sichtlich gelangweilt und konnte nur mit Mühe verbergen, dass er sich langsam lieber in eines der örtlichen Etablissement begeben würde, in denen, völlig im Geheimen und somit legal, die schönsten Namenlosen ihre Körper anbieten mussten. Gezwungenermaßen natürlich, so war es für die Unglücklichen eine Bürde, schön geboren zu werden, auch wenn viele das nicht mehr so sahen. Wem sie sich hingaben, spielte keine Rolle mehr, denn dort hatten sie wenigstens keinen Hunger zu leiden. Jeder der Hochgeborenen kannte die Etablissements, die viele Hochgeborenen nutzten. Erst in der Jugend, bevor sie sich verheirateten, später heimlich, auch wenn jeder wusste, was in diesen Häusern direkt an den Toren zur Unterstadt geschah. Für hochgeborene Nocturninnen gab es solcherlei Zerstreuung nicht, sie mussten sich mit dem begnügen, was die Namenlosen ihnen übrig ließen. Es war seit Jahrhunderten so und beinahe schon Tradition.

Für die Ophraces, die eigentlich Keuschheit gelobt hatten, war es der einzige Ort, der ihre körperlichen Lüste stillen konnte. Sie gehörten deshalb zu denjenigen, die die Wäschereien, die dort angeblich betrieben wurden, am häufigsten besuchten. Die meisten zogen übrigens Nocturnen vor, von denen auch einige Dienst leisten mussten. Diese Praxis war allerdings nur den Ophraces vorbehalten, denn gleichgeschlechtliche Liebe stand unter Todesstrafe. Doch bei den Ophraces spielte es keine Rolle. Keiner wagte, sie anzugreifen und wenn doch, bekamen diese Unvorsichtigen die ganze Gewalt einer alten und mächtigen religiösen Gesellschaft zu spüren, die sich zur Wehr zu setzen verstand.

Die halbe Nacht war bereits um, als es plötzlich knackte. Juchata hatte das Siegel aufgebrochen und war bereit, ihre Entscheidung zu verkünden. Alle im Raum sprangen auf, Pelleus wankte zwar gewaltig, doch hielt er sich überraschend gut auf den Beinen. Die feierliche Gesellschaft begab sich in den Vorraum, wo die Drei auf sie warteten. Vincus schritt voran, eine Spur zu hastig, um einen Blick auf seine Tochter werfen zu können, bevor sie den Mund öffnete. Er kam nicht mehr dazu.

Nocturnia - Die langen Schatten

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