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20.1.2014

Meine liebe Zwillingsschwester, geliebte Tara!

Gestern Nachmittag hatten wir drei bei Professor Lieber unser angemeldetes Interview. Er bot jeder von uns, nachdem er unseren Nachnamen nennend mit Frau vornweg und nicht mit Fräulein, die Hand gereicht hatte, einen Stuhl an, während er hinter dem Schreibtisch sich auf seinen Sessel niederließ. Wir drei waren sehr aufgeregt. Die beiden hatten mich zur Wortführerin bestimmt. „Nun“, so begann er, „was haben Sie mir zu berichten? Ist irgendetwas nicht in Ordnung?“ Und ich erklärte ihm, dass wir drei ihn auf eine peinliche Sache hinzuweisen hätten. „Reden Sie ganz offen mit mir.“ Ich legte ihm nun dar, dass Dr. Dudszinski jede von uns zum Beischlaf verführt, beziehungsweise bei mir es versucht habe, und zwar ohne ein Präservativ zu benutzen und dass er Felicitas dadurch geschwängert hatte. Und er schüttelte hin und wieder leicht seinen Kopf und fragt dann Felicitas, in welchem Monat sie sich befinde. Sie sagte, dass es in der Nacht des dritten Advents in ihrer Wohnung geschehen sein musste. „Haben Sie“, so fragte er, „Dr. Dudszinski bereits darüber informiert?“ Und sie erklärte ihm, dass wir drei beschlossen hätten, ihm nichts zu sagen. Das fand nun seine Zustimmung, denn man sollte vorher reiflich überlegen, wie man in dieser Angelegenheit weiter verfahre. Er fragte Felicitas, ob sie das Kind austragen wolle, was sie verneinte und darauf hinwies, es in Holland abtreiben zu lassen. Ich legte ihm weiterhin unsere Vermutung dar, dass er eventuell bei seiner Sexbesessenheit auch entlassene Patientinnen zu Hause aufsuchen und vielleicht sogar schwängern könnte. „Ganz offensichtlich handle es sich bei Dr. Dudszinski um eine perversive Sexneurose, die dringend therapeutisch behandelt werden müsse. „Doch auf keinen Fall darf er auf Ihrer oder einer anderen für Schwestern gefährlich werdenden Stationen weiterhin eingestellt werden. Ich werde ihn ab morgen auf die palliative Abteilung versetzen, wo nur ältere Damen zu betreuen sind, die wohl sein geschlechtliches Verlangen nicht herauszufordern vermögen. Das jüngere weibliche Personal werde ich von dort auf andere Stationen verteilen und auf der palliativen Abteilung nur ältere Schwestern und männliches Personal ihren Dienst versehen lassen.“ Und ich ergänzte, dass er ja zurück in sein Geburtsland gehen und dort eine Praxis eröffnen möchte, weshalb er jeder von uns dreien angeboten hatte, mit ihm zu kommen und ihn dort zu heiraten. „Das hat er Ihnen“, so entgegnete er, „nur weismachen wollen. Denn er würde sicherlich dort viel weniger verdienen als in Deutschland. Ich werde mit ihm sprechen und sagen …“, „Aber bitte“, so unterbrach ich ihn, „sagen Sie bitte nicht, dass wir bei Ihnen waren.“ Das versprach er uns. „Ich werde ihm sagen“, so fuhr er fort, „dass, so eine neue Verordnung, jeder bei uns neuangestellte Arzt sich einer Sextherapie zu unterziehen hat, um keine entlassene Patientin später zu besuchen. Und übrigens, Frau Rehfuß“, und er wandte sich an Felicitas, „schlage ich vor, dass Sie sich die Fahrt nach Holland ersparen sollten, denn ich werde, so Sie einverstanden sind, mit meinem Kollegen den operativen Eingriff - kostenfrei für Sie natürlich - durchführen, und diese OP als Entnahme einer Gebärmuttergeschwulst deklarieren. Denn eine Abtreibung ist bei uns - anders als in Holland - noch gesetzlich verboten. Sind Sie damit einverstanden?“ Und Felicitas bejahte und bedankte sich ganz herzlich. Und er fuhr fort: „Versprechen Sie mir, dass über diese Angelegenheit vollkommenes Stillschweigen bewahrt werden muss, auch gegenüber Dr. Dudszinski und auch anderen selbst Ihnen nahestehenden Personen. Ich möchte nicht, dass sich diese Sache rumspricht. Denn das würde sich, so die Presse davon erfahren könnte, zu einem uns peinlichen Skandal ausweiten, was unserer Klinik ungeheuren Schaden zufügen könnte. Versprechen Sie mir das?“ Natürlich gaben wir ihm dieses Versprechen. Und zu Felicitas gewandt, sagte er, dass er versuchen wolle, schon nächste Woche einen OP-Termin für sie zu finden. Dann erhob er sich, gab jedem von uns die Hand und bedankte sich, dass wir uns ihm anvertraut hätten. „Und bitte“, so fügte er hinzu, „wenn wieder irgendetwas zu berichten ist, dann kommen Sie zu mir. Sie haben mein volles Vertrauen.“ Und als wir zur Tür gingen, öffnete in diesem Augenblick seine Sekretärin die Tür, als ob sie wusste, dass wir jetzt hinausgehen wollten. Hoffentlich hatte sie nicht gelauscht.

Wir gingen dann erst einmal unten in die Kantine, um unseren Erfolg zu feiern, allerdings nur bei Kaffee und Kuchen. Nächste Woche habe ich wieder Nachtschicht. Hoffentlich kann ich Dr. Dudszinski so weit wie möglich ausweichen. Oder wird er dann schon auf der Palliativstation seinen neuen Platz gefunden haben?

Du siehst, wie aufregend es bei uns ist. Du wirst bald mehr von uns noch zu hören bekommen. Übrigens habe ich seine Worte aus freier Erinnerung wiedergegeben, da die indirekte Rede nicht kernig genug ist.

Viele Küsschen für euch zwei von eurer Leo

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Geliebte Zwillingsschwester

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