Читать книгу Klingen, um in sich zu wohnen 1 - Gabriele Frick-Baer, Udo Baer - Страница 16

2.1 Mein Leben – meine CD

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Eine Klientin bzw. ein Klient oder die TeilnehmerInnen einer Gruppe bekommen die Aufgabe:

„Stellen Sie sich eine eigene Musikkassette oder eine eigene CD mit dem Titel ,Mein Leben’ zusammen. Diese CD sollte chronologisch angeordnet sein, also mit der Zeit um Ihre Geburt herum beginnen und bis heute reichen. Sie kann musikalische Aufnahmen enthalten, die für Sie in bestimmten Lebensphasen wichtig waren, oder Musikstücke, die für einen bestimmten Zeitabschnitt ihres Lebens ,stehen’.“

Um diese Arbeit zu leisten und solch ein musikalisches Lebenspanorama zu erstellen, braucht es mindestens vier Wochen Zeit. Der Zeitraum ist nicht nur notwendig für die technischen und organisatorischen Tätigkeiten (Musikstücke suchen, sie aufnehmen usw.), sondern vor allem für den inneren Prozess der Beschäftigung mit dem bisherigen Leben und der musikalischen Biografie. Oft entstehen schnell erste Ideen, verändern sich dann aber, anderes kommt hinzu, manches wird weggelassen. Unbeachtetes tritt gewichtig und tönend in den Vordergrund, „zufällig“ begegnet man der Musik, die „passt“.

Diese Arbeit kann die Intensität und die Mühe annehmen, die mit dem Schreiben eines biografischen Romans vergleichbar sind. Nicht nur die Erinnerung an vergangene Zeiten, sondern gerade auch an das Erleben, das in diesen Zeiten vorherrschend war bzw. mit diesen Zeiten verknüpft ist, wird wieder lebendig.

Die CD bzw. MC, die aus diesem Prozess heraus entsteht, ist häufig ein buntes Stil-Durcheinander. Da steht die Operetten-Melodie, die sonntagnachmittags beim gemeinsamen Fernsehschauen mit den Eltern erklang und diese Zeit repräsentiert, neben dem Jimmy Hendrix der aufbrechenden Jugendzeit. Da hört man John Cage für die Schlusszeit der ersten Ehe („Da gab es keine Musik“) neben den Kinderliedern des Gripstheaters, die man mit den eigenen Kindern geschmettert hat. Da repräsentieren harte Punkstücke die Studienzeit („Bis die Prüfungen begannen“) und die Ouvertüre der Zauberflöte die frühe Kindheit („Meine ersten Jahre waren wie Mozart, bis wir umzogen“).

In der Arbeit an der Kassette oder CD „Mein Leben“ erklingt das eigene Leben. Klänge, Bilder, Gefühle, Erfahrungen werden lebendig, ziehen an den KlientInnen vorbei und berühren sie. Diese Erfahrung kann schmerzhaft sein oder beglückend, in jedem Fall ist sie ein wichtiger Erlebnis- und Erfahrungsprozess. Manche KlientInnen berichten, sie hätten ihr Leben „neu sortiert“. Andere sagen: „Ich habe mich gehört und ich habe mir wirklich zugehört.“

Damit dieser Erfahrungs- und Arbeitsprozess nicht uferlos wird, bedarf es eines Rahmens. Es hat sich bewährt, einen Zeitrahmen zu setzen, in dem die CD oder MC erstellt werden muss, auch wenn sie der Klientin oder dem Klienten dann noch unfertig erscheint. Und es hat sich ferner als günstig erwiesen, für das Volumen der aufgenommenen Musikstücke einen Rahmen zu setzen. Sinnvoll sind unserer Erfahrung nach etwa 60 Minuten (auch wenn manche KlientInnen dann noch bis 90 Minuten „überziehen“: „Das ging nicht anders …“ – was dann ja in Ordnung ist).

Ein solch aufregender Prozess bedarf der Spiegelung. KlientInnen haben etwas erstellt, haben damit sich, ihr Leben und Erleben präsentiert und hörbar gemacht. Nun wollen sie, dass andere es hören, und sind manchmal gleichzeitig scheu oder ängstlich, was denn die anderen dazu meinen, ob das, was sie selbst erstellt haben, überhaupt zumutbar ist usw. Die Einzeltherapie oder die therapeutische Arbeit in der Gruppe ist hierfür ein geeigneter geschützter Rahmen. Wenn Klientinnen oder Klienten hier nach und nach ihre musikalische Biografie vorspielen, hören Therapeut oder Therapeutin bzw. auch die anderen GruppenteilnehmerInnen vieles aus deren Leben. Dies bedarf des Interesses und der Zeit und ist nie Sache nur einer Therapiestunde bzw. einer einzigen Aktion. Die musikalische Biografie bietet so viel reichhaltiges Material, dass auch später an sie angeknüpft und mit ihr auf verschiedene Art und Weise weiter gearbeitet werden kann.

Klingen, um in sich zu wohnen 1

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