Читать книгу Klingen, um in sich zu wohnen 1 - Gabriele Frick-Baer, Udo Baer - Страница 22
2.7 Wie man musizieren gelernt hat
ОглавлениеWenn KlientInnen in der Therapie zu einem Musikinstrument greifen oder zu singen beginnen, ist dies sicher nicht ihre erste Erfahrung mit dem Musizieren. Viele KlientInnen haben zu Hause Lieder gesungen und sind dem Musizieren in der Schule begegnet, manche haben Musikunterricht gehabt und versucht, ein Instrument oder den Gesang zu erlernen. Diese Vorerfahrungen können, wenn in der Therapie ein wie auch immer geartetes Musizieren ansteht, wieder in den Vordergrund treten.
Häufig, leider allzu häufig, hören TherapeutInnen dann Sätze wie: „Mein Musikunterricht war Dressur“, „Wenn ich am Klavier zweimal den gleichen Fehler gemacht habe, bekam ich einen Schlag auf die Hände“, „In der Schule haben sie mir die Freude an der Musik ausgetrieben“, „Immer ging es in der Musikschule nur um Richtig und Falsch – dass Musik Freude machen kann, habe ich erst Jahre später erfahren.“
Es ist sehr bedauernswert, wie autoritär, abwertend und freudlos in vielen Fällen Musik unterrichtet wurde. Für viele wurde das Erlernen von Noten bzw. das Spielen eines Instrumentes so zum Gräuel. Sicher, wenn man ein Instrument lernt, gibt es richtig und falsch, bedarf es der Disziplin und der Übung. Doch das „Wie“ ist entscheidend: Ob die Freude und das Interesse geweckt oder unterdrückt bzw. vernichtet werden. Und es ist eine Schande, dass immer wieder KlientInnen in ihrem Einzelunterricht traumatische Erfahrungen gemacht haben. Da offenbart sich in der Therapie, dass das „richtige Atmen“, die „richtige Haltung“ gepaart war mit – sozusagen beiläufigen – sexuellen Übergriffen, so dass sich Musizieren mit Erstarrung, Angst, Ekel, Scham und anderen Folgen von Missbrauch verbindet.
Manchmal reicht es, wenn in der therapeutischen Situation von diesen Erfahrungen erzählt werden kann, wenn sie „heraus“ dürfen, damit sich die KlientInnen von ihnen frei machen und sich den neuen Erfahrungen des Musizierens in der Therapie öffnen können. Manchmal bedarf es lediglich klärender Worte der TherapeutInnen, dass sich das Musizieren in der therapeutischen Situation fundamental von dem unterscheidet, was diese KlientInnen kennen: „Hier geht es nicht um Richtig oder Falsch. Hier geht es nicht darum, etwas zu können, sondern darum, sich im Musizieren zu erleben.“ Und manchmal, vor allem wenn über negative, ja traumatische Erfahrungen des Musiklernens weitere Traumata lebendig werden, muss (musiktherapeutische) Traumaarbeit geleistet werden.
Es gibt allerdings nicht nur negative Erfahrungen, die KlientInnen damit gemacht haben, ein Instrument zu erlernen. Manche erzählen auch, wie gut ihnen das getan hat. Für viele hat sich mit dem Musizieren eine neue Welt erschlossen, für andere war das Lernen ein Halt, gab das Üben eine Struktur, manche hat es „gerettet“, das psychische Überleben gesichert.