Читать книгу Klingen, um in sich zu wohnen 1 - Gabriele Frick-Baer, Udo Baer - Страница 17

2.2 The best of

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Auch der folgende Weg ist methodisch wie unser erster Vorschlag eine Panoramatechnik. Das Panorama ist ein Bild, über das man den Blick schweifen lassen kann, in der Malerei zumeist die große und breite Ansicht einer Landschaft oder eines historischen Ereignisses, z. B. einer Schlacht. Der Blick kann, wie gesagt, schweifen, hier oder dort verweilen, einmal diesen und einmal jenen Aspekt genauer in Augenschein nehmen. Wie bei der eben beschriebenen Methode lädt auch die folgende Methode dazu ein; im feinen Unterschied zur vorherigen, die Leben und Erleben musikalisch umgesetzt wissen wollte, liegt hier der Fokus eindeutig auf der musikalischen Biografie. Wir fordern z. B. die TeilnehmerInnen einer Gruppe auf:

„Legt eine Liste an und sammelt in den nächsten Wochen zehn Ereignisse, Musikstücke oder Gegenstände aus eurer musikalischen Biografie und schreibt sie auf. Das können Erinnerungen sein, die mit eurer musikalischen Biografie in Verbindung stehen, oder Musikstücke, die ihr gespielt oder gehört habt, die euch in irgendeiner Weise wichtig waren, Instrumente oder Gegenstände, die ein musikalisches Ereignis repräsentieren. Bringt dann drei davon mit – sozusagen ,the best of …’. Wählt also aus, welche drei euch am wichtigsten sind. Bringt die Musik z. B. auf Kassette oder CD mit, so dass ihr sie hier vorspielen könnt, oder bringt die Gegenstände mit, die mit einem Ereignis verbunden sind.“

Auch hier ist es wichtig, Zeit zu lassen und gleichzeitig einen Rahmen vorzugeben. Die KlientInnen oder GruppenteilnehmerInnen denken häufig, dass ihnen keine zehn Musikstücke oder Ereignisse einfallen, doch dann, wenn sie erst einmal angefangen haben, ihr Gehör, ihren Blick, ihre Erinnerungen schweifen zu lassen, kommt eins zum anderen, fällt ihnen viel mehr ein, als sie vorher vermutet haben. Schwierig – und besonders wichtig – ist dann der Prozess, die drei wichtigsten Musikstücke, Ereignisse etc. (The best of) auszuwählen. Was ist nur nette Erinnerung und was hat wirklich Bedeutung für mich und mein Leben – diese Fragen gilt es zu beantworten. Das Spektrum der Musikstücke, die ausgewählt werden, ist ähnlich breit, wie vorhin beschrieben. Auch die Gegenstände, die mitgebracht werden, sind sehr unterschiedlich, manche haben unmittelbaren musikalischen Bezug, z. B. das Instrument oder der alte kaputte Geigenbogen („mein erster“). Bei anderen erschließt sich der Zusammenhang mit der musikalischen Biografie erst durch die kommentierenden Erzählungen, wie z. B. beim FDJ-Hemd, das an einen erzwungenen Auftritt erinnert, oder dem Foto der Oma („… die mir die ersten Lieder beigebracht hat“).

Die Teilnehmerin einer Fortbildungsgruppe bringt zur Arbeit mit ihrer musikalischen Biografie drei Erlebnisse, die Bedeutung für sie haben, mit. Mit ca. 5 Jahren, erinnert sie sich, an der Seite ihres Vaters ein Konzert eines Knaben-Chores besucht zu haben und dabei fast implodiert zu sein vor Erregung und Begeisterung. Als etwas größeres Mädchen – dieser Erinnerung gibt sie ebenfalls entscheidende Bedeutung – sang sie während einer musikalischen Theateraufführung in der Schule ein kesses Lied. Die dritte wichtige musikalische Station erlebte sie erst vor kurzem: Da sang sie Lieder von Friedrich Holländer in der Kirche! Nun, in der Gruppensituation, erzählt sie diese drei Erlebnisse, lässt die anderen teilhaben an ihrer kindlichen Bewunderung für den Knabenchor, singt das kesse Lied aus der Schulzeit und ein Lied von Hollaender. Die Therapeutin sagt: „ Darf ich dir etwas über mich mitteilen? Wenn ich dich so erlebe, wie du erzählst und singst, und wenn ich dabei auf meine Resonanz achte, dann spüre ich deutlich mein Herz. Es ist einerseits aufgeregt und klopft stark, zieht sich aber gleichzeitig zurück, engt sich ein, fühlt sich fast ein bisschen eingesperrt, zieht in jedem Fall irgendwie die Bremse. Wenn ich hinhöre, was mein Herz möchte, dann möchte es, glaube ich, aus der Einsperrung heraus, möchte sich in die Weite hinein ausdrücken.“ Während der letzten Worte hat die Teilnehmerin schon leise zu weinen angefangen und sagt jetzt: „Was du sagst, berührt mich sehr. Es trifft genau das, was ich in meinem Herzen spüre.“

„Magst du mal probieren, aus dem Herzen heraus zu singen? Vielleicht das Lied von eben, das von Friedrich Hollaender?“

„Ja“, und sie zögert ein wenig, um dann mit leiser Stimme zu sagen: „Aber ich weiß nicht, wie.“

„Was brauchst du, um aus deinem Herzen heraus zu singen, um dein Herz singen zu lassen?“

Sie braucht nur einige kleine Momente zum Überlegen und die Aufforderung, ruhig ein bisschen mutig zu sein in dem, was sie sich wünscht oder was sie fordert, um dann zu sagen: „Kannst du bitte (zu der Therapeutin gewandt) in meinen Rücken kommen, dich in meinen Rücken stellen und kann die Gruppe sich und mich bitte an den Händen fassen und einen Kreis bilden?“

Die GruppenteilnehmerInnen fassen sich und sie an den Händen, die Therapeutin stellt sich hinter ihren Rücken und fragt, ob sie ihre Hände auf den Rücken legen soll oder darf, vielleicht auf die Rückseite des Herzens. Das wird ausprobiert, bis die Klientin schließlich sicher weiß, dass sie die Hände der Therapeutin in ihrer Nierengegend spüren möchte. Und dann beginnt sie zu singen, nicht das vorgegebene Lied, sondern Töne aus dem Jetzt heraus, mit einer Stimme, die aus dem Herzen kommt und die Herzen der anderen erreicht.

In diesem Beispiel hat die Arbeit mit der musikalischen Biografie zu einem neuen Thema der Teilnehmerin, dem ihrer eigenen Stimme (s. Kap. 1.4) und ihrer Identität als Sängerin, geführt.

Man kann die Arbeit mit der musikalischen Biografie sehr offen gestalten und allen Spuren folgen, die sich ergeben. Es kann auch sinnvoll sein, die Weiterarbeit auf einige Fragen zu zentrieren: „Was hast du vom Musizieren und Musikhören in deinem Leben gehabt?“, „Wovor hat es dich bewahrt?“, „Wie haben sich durch Musikhören und Musizieren deine sozialen Kontakte verändert?“

Klingen, um in sich zu wohnen 1

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