Читать книгу Klingen, um in sich zu wohnen 1 - Gabriele Frick-Baer, Udo Baer - Страница 20
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ОглавлениеEin Mann kommt in die Therapie, „irgendwie ärgerlich“, den Zorn aber kaum spürend, nur „mit angezogener Handbremse“. „Es grummelt in mir. Aber ich weiß nicht, worüber. Seit zwei Tagen komme ich mir wie in einem Käfig vor, wie ein Tier im Zoo, das hin und her läuft. Und ich weiß nicht, warum.“ Der Therapeut fragt, aus welchen Zeiten er sich so kenne, wann er sich so schon einmal erlebt habe.
„Das passiert mir öfters, aber meistens nur kurz, es kommt und geht wieder. So stark wie jetzt kenne ich das nur aus meiner Jugendzeit. Da bin ich auch in meinem Zimmer immer hin und her gelaufen, war ärgerlich und fühlte mich gefangen.“
„Welche Musikstücke haben Sie damals gehört? Oder haben Sie selbst Musik gespielt?“
„Gespielt habe ich leider nicht, aber gehört habe ich viel, zumeist Rock und Blues und auch ein bisschen Jazz. Meistens im Radio beim britischen Soldatensender BFBS. Davon habe ich mir die besten Sachen auf einem Tonbandgerät aufgenommen. Einen Schallplattenspieler hatten wir nicht.“
„Welche Musik haben Sie gehört, wenn Sie so hin und her tigerten und mit angezogener Handbremse ärgerlich waren?“
„Alles Mögliche. Aber am besten hat mir ‚Paint it black’ von den Stones gefallen“, sagt er und dabei beginnt sein Gesicht freudig zu strahlen, „das hat mir richtig gut getan. Ich habe den Text damals nicht verstanden, aber mir immer vorgestellt, dass ‚Paint it black’ bedeutet, alles um mich herum schwarz zu malen, den ganzen Kitsch schwarz anzustreichen, die spießige Unehrlichkeit schwarz anzustreichen, das Duckmäusertum. Die Stones haben für mich ihren Ärger und ihren Zorn herausgeschrieen.“
„Wie geht es Ihnen jetzt, wenn Sie sich daran erinnern und davon erzählen?“
„Oh, jetzt merke ich wieder meinen Zorn. Ich höre die Nummer der Stones innerlich. Sie finden die Worte und die Musik für meinen Zorn. Und ich weiß jetzt auch, was mich zur Zeit zornig macht: Ich hasse diese feigen Hunde an meinem Arbeitsplatz. Immer, wenn ich mal den Mund aufmache, lassen die mich im Regen stehen …“ Er erzählt und erzählt, ärgerlich, aufgeregt, zornig, klar und deutlich – nichts mehr ist von dem Diffusen, von der angezogenen Handbremse zu sehen und zu hören, mit der er in die Therapie gekommen war. Er gestikuliert und seine Beine zucken. Der Therapeut bittet den Klienten aufzustehen, während er erzählt. Er tut es gerne und läuft hin und her. Auch sein körperlicher Ausdruck wird freier.
Was war passiert? In einer konkreten Situation kam der Klient nicht weiter. Er steckte in seinem Erleben fest. Durch den Rückgriff auf die musikalische Biografie gelang es ihm, aus der Sackgasse herauszukommen und seine Lebendigkeit wieder zu entdecken. In der musikalischen Biografie sind nicht nur Probleme enthalten, sondern auch Lösungen. In der musikalischen Biografie stecken zahlreiche Ressourcen, die aktiviert und genutzt werden können, indem KlientInnen zurückhören.