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Wann man den Sabbel halten zu halten hat

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Es wird den Norddeutschen nachgesagt, dass sie nicht besonders redefreudig – mit anderen Worten: maulfaul seien.Da ist wohl auch was dran.

Treffen sich zwei, ist folgender Wortwechsel nicht ungewöhnlich:

„Na?“

„Muss ja!“.

Ein klassischer norddeutscher Dialog, der den Kommunikationspartnern in der Regel völlig genügt.

Ist einer in besonderer Plauderlaune, dann fragt er vielleicht noch:

„Und selbst?“

„Muss ja auch“, ist die standardmäßige Antwort.

Man kann das „Empathie“ oder vielleicht „Telepathie“ nennen. Oder man tut das Gegenteil und behauptet, dass die Fischköppe einfach zu blöd zum Sprechen sind.

Der Norddeutsche an sich spricht halt nur dann, wenn er muss, nicht, weil er muss. Allerdings spricht er auch grundsätzlich nicht besonders gern, und ebenso hört er nur ungern andere Leute um sich herum im andauernden Redefluss. Schon ein dröhntendes „Moin, Moin“ statt eines einfachen, knappen „Moin“ kann er leicht als Nötigung empfinden - und sich entsprechend in eine innere Emigration mit dazugehörigem Schweigegelübde zurückziehen.

Über die Gründe dafür gibt es bislang keine verlässlichen wissenschaftlichen Studien. Wir möchten daher erstmals folgende Theorienansätze zur weiteren Diskussion anbieten:

1. Die Landschaftstheorie

Im Gegensatz zum Gebirge mit seinen murmelnden Bächlein, rauschenden Tannenwipfeln und singenden Murmeltieren ist der Norden eher ... still. Klar, manchmal saust der Westwind, rauscht das Meer und oder muht eine Kuh - das war es dann aber auch schon mit dem Soundtrack des Nordens.

Im Laufe der Menschheitsentwicklung hat sich das Sprachverhalten der Menschen womöglich an die jeweilige Geräuschkulisse ihres unmittelbaren Lebensraums angepasst. So haben Bergbewohner den Hang zu munteren Erzählkaskaden, die lautmalerisch den kleinen Ge-birgsgewässern folgen, an denen sie leben. Der Küstenmensch aber ahmt eben jene Stille nach, die ihm sein Wattenmeer bei Ebbe an einem trägen Herbsttag bietet.

2. Die Bilingualtheorie

Der Norddeutsche wurde seit dem Aufkommen des Tourismus im 19. Jahrhundert zweisprachig erzogen: Die „Ursprache“ Plattdeutsch diente zur Verständigung mit seinesgleichen, das Hochdeutsche zu jener mit den Badegästen.

Aus dem Zwiespalt herauts, was nun mit wem zu sprechen sei, entwickelte er zunächst eine tiefe Sprachunsicherheit, sodann, nach einigem Grübeln, die schlichtweg geniale Lösung des Problems: einfach gar nicht erst sprechen - dann kann man auch nichts verkehrt machen.

3. Die Verkürzungstheorie

Während sich in den südlichen Ländern Deutschlands im Laufe der letzten 5000 Jahre alle möglichen Völker tummel ten, blieb der graue, sumpfige Norden eher unbesucht. Daher wurde der Norddeutsche längst nicht so stark mit anderen Sprachen konfrontiert wie beispielsweise der Rheinländer (der erst Latein, dann Französisch lernen musste); er hatte somit die Gelegenheit, sein ureigenes Idiom zu perfektionieren. Entstanden ist dabei eine überaus ökonomische Kommunikationsform: ein paar Einsilber, die ganz ohne Konjugationen, Deklina-tionen und anderem Gedöns auskommen.

Ein paar Laute ersetzen endloses Geschwätz ... Ortsfremden mag dies wie eine Nicht-Kommunikation aus Grunzgeräuschen vorkommen. Dabei gibt es allein hunderte von Bedeutungen der Worte „Na“, „Jou“ und „Nee“. Je nach Betonung und Anzahl der gehörten Ausrufungsoder Fragezeichen verändert sich ihre Aussage mitunter kolossal.

Fernab dieser linguistischen Finessen gibt es jedoch vielleicht noch etwas Tieferes, Allgemeingültigeres hinter der norddeutschen Schweigsamkeit.

Etwas Ur-Menschliches.

Etwas, das die Norddeutschen vielleicht als Erste auf diesem schönen Planeten begriffen haben. Etwas, das zu einer besseren Welt führen könnte - wenn es denn von allen gleichermaßen beherzigt würde, sei er Buschmann oder Bayer, Chinese oder Chemnitzer.

Werner Momsen hat dieses „Etwas“ auf den Punkt gebracht - wenn ihm dazu auch das eine oder andere Bierchen oder Körnchen die Zunge lösen und seine angeborene Schweigsamkeit in Mitteilsamkeit umwandeln musste

Im richtigen Moment mal den Sabbel halten. Oder sagen wir ruhig, wie es ist: Im Zweifelsfall einfach mal nichts sagen! Wenn du das beherzigst, dann klappt das hier auch mit der Nachbarschaft. Dann hast du Freunde. Und dass du die hast, merkst du daran, dass die dir plötzlich auch nicht mehr reinreden und ebenfalls den Sabbel halten.

50 Dinge, die ein Norddeutscher wissen muss

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