Читать книгу 50 Dinge, die ein Norddeutscher wissen muss - Ulfert Becker - Страница 6
Warum Platt eine eigene Sprache ist – oder auch nicht
ОглавлениеHessisch, Bayrisch, Badisch, Sächsisch ... all das sind Dialekte, also regionale, mundartliche Einfärbungen des Deutschen. Plattdeutsch (besser eigentlich: Niederdeutsch) jedoch ist eine ganz eigene Sprache.
Zumindest behaupten das jene rund 4 Millionen Menschen, die „op Platt snacken“ - also die Muttersprachler. Ein paar Sprachwissenschaftler halten allerdings dagegen, dass Platt nicht sooooo weit weg vom allgemeinen Deutschen entfernt sei, dass man es als eine eigene Sprache ansehen könnte.
Nun, darüber lässt sich streiten: Immerhin hat Nedderdüütsch eine Grammatik, die sich ziemlich von der Hochdeutschen unterscheidet, eine ganze Menge eigene Worte, die sich eher im Niederländischen (was ja anerkanntermaßen eine eigene Sprache ist!) als im Hochdeutschen wieder-finden lassen, und sogar ein paar Laute, die kaum kein Mensch sonst verwendet.
Der harmoniebedürftige Norddeutsche gibt im Zweifelsfall jedoch gerne zu, dass Plattdüütsch ein „interessanter Grenzfall“ zwischen eigener Sprache und Dialekt sei. Und freut sich insgeheim einfach nur, dass zum Beispiel ein Bayer sich zwar zur Not mit einem Sachsen im jeweiligen Dialekt verständigen kann, bei einem Plattsnacker aber vermutlich schnell resigniert - und vielleicht lieber auf Englisch ausweicht.
Ein nordfriesischer Bauer z.B. kann mit einem Engländer durchaus via Platt kommunizieren - weil die Sprachen einen gemeinsamen Ursprung haben: Das Altsächsische.
Dieses hat wenig mit der heutigen Region „Sachsen“ zu tun. In der Völkerwanderungszeit, also vor bummelig 1600 Jahren, lebte ein gleichnamiger germanischer Volks-stamm ungefähr in der Region des heutigen Holsteins. Irgendwann begannen dann diese Stammeskrieger, ihr Siedlungsgebiet in sonnigere Gefilde auszudehnen. Südlicher Stopp war erst bei den Mittelgebirgen - die dem Flachländer offenbar schon damals ein Graus waren. Im Westen war mit dem Ijsselmeer die natürliche Grenze der Expansion erreicht, im Osten hielten die Slawen die Volksbewegung auf.
Weil ihre (Aus-)Wanderlust damit aber noch nicht befriedigt war, stiegen etliche Sachsen zusammen mit den Angeln, ihren Nachbarn aus der Region um Schleswig, auf ihre Schiffe und fuhren nach England, um sich dort anzusiedeln. Als „Angelsachsen“ bezeichnen wir die Engländer ja noch heute.
Aus diesem Grunde ist die Sprache der „Cousins auf der Insel“ sehr eng mit dem Platt verwandt. Allerdings flossen ins Englische noch viele weitere Idiome ein: Nach den Sachsen kamen die Wikinger aus Skandinavien als Eroberer, ab dem Jahre 1066 die Normannen aus Frankreich. Mal ganz abgesehen davon, dass auch die keltische Urbevölkerung sowie die Nachfahren der alten Römer, die dort drei Jahrhunderte ansässig waren, weiterhin etwas zu sagen hatten.
Im Norden Deutschland jedoch geschah lange ... einfach nichts. Keine Invasion, keine Sprachexperimente, kein anderes Bier.
Das Niederdeutsche blieb einfach so, wie es war.
Damit separierten sich die Nordmenschen von der Sprachentwicklung der restlichen germanischen Stämme, bei denen zwischen dem 6. und dem 9. Jahrhundert die sogenannte Zweite Lautverschiebung stattfand: Zum Beispiel wurde aus dem „p“ ein „f “, aus dem „t“ ein „s“ oder aus „th“ ein „d“ - alles Dinge, die den Klang des Hochdeutschen noch heute prägen.
Aber so einen neumodischen Kram wollte im Norden keiner haben.
Wozu auch? Niederdeutsch - dieser Name bezieht sich tatsächlich auf die Region des flachen Deutschlands - sprachen doch viele! Es war im Mittelalter sogar offizielle Handelssprache der Hanse: Zwischen Hull in England, Riga im Osten, Bergen im Norden und Antwerpen im Süden befleißigte man sich bis ins 16. Jahrhundert hinein des Plattdeutschen. So wie heute Englisch und wahrscheinlich bald Chinesisch die Verkehrssprachen des internationalen Handel sind.
Mit dem Niedergang des Handelsbundes jedoch und der parallel damit einhergehenden Globalisierung kam mehr und mehr das Hochdeutsche, das Martin Luther geprägt hatte, in Gebrauch. Es galt als Sprache der Gebildeten. Plattdüütsch aber wurde degradiert und zur Sprache des „einfachen Volkes“ - darauf bezieht sich auch das „Platt“ in dem Wort an sich: Es bedeutet im Niederländischen, aus dem der Begriff stammt, nicht so sehr „flach“ (für die Landschaft), sondern vielmehr „einfach“ (für das gemeine Volk). Was aber selbst heute die Menschen im Norden nicht davon abhält, untereinander munter in dieser kraftvollen, uralten Sprache zu schnacken.
Rein juristisch hat das Niederdeutsche sogar einen gewissen Artenschutz: In Schleswig-Holstein darf man Anfragen an die Behörden auch op Platt stellen, und diese müssen op Platt antworten. Und wenn man etwas beim bundesdeutschen Patentamt anmelden will, darf die Gebrauchsanweisung für die Erfindung gern in Niederdeutsch sein. Allerdings muss dann eine beglaubigte hochdeutsche Übersetzung beiliegen.
Was übrigens wiederum beweist, dass Platt eine eigene Sprache ist …