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Verdana Upland, Hell’s Kitchen Island, Maine,

13. März 2007, 02.35 Uhr (Dienstag)

Seit sieben Tagen regnete und stürmte es beinahe ununterbrochen. Die Frühjahrsstürme in diesem Jahr waren die heftigsten und längsten, die Malcom Hurst je auf dieser Insel erlebt hatte, und dabei arbeitete er bereits seit unzähligen Jahren als Schafhirte bei den Bratts.

Dicht an dicht standen die Schafe mit ihrem triefenden Wollfell aneinandergereiht in der Koppel unweit der Northern-Trail-Schutzhütte, in der Malcom vor dem beginnenden Unwetter Schutz gesucht hatte. Die Herde war unruhig. Als es vor einer Stunde zu donnern begonnen hatte, trieb er die Schafe zusammen mit Puky und Chivas, den beiden English Shepherd-Hunden, in das Gatter. Normalerweise grasten die Schafe Tag und Nacht auf den Hochflächen des Verdana Uplands. Doch bei solch einem Unwetter war es an den steilen Klippen des Northern Trails sicherer, die Herde in die einfachen Gatter aus Rundbalken unweit der Schutzhütte zu sperren. Vor beinahe zehn Jahren war eine durch ein Unwetter in Panik geratene Herde über die Klippen in den Tod gestürzt. Beinahe zweihundert Schafe mussten die Bratts damals abschreiben. Seit diesem Tag gab es die Anweisung an die Hirten, die Tiere bei Unwetter in die Einfriedung zu treiben. Hurst hatte sich die gelbe Öljacke angezogen und den Südwester aufgesetzt, dennoch war er durchnässt bis auf die Haut, ehe er zu seiner Schutzhütte zurückkehrte. Der böige Wind wehte den salzigen Duft des Atlantiks über die Wiesen des Hochlandes, und ein greller Blitz erhellte die Nacht. Nachdem er die Tür geschlossen hatte, befreite er sich von der nassen Kleidung. Es war lange her, als er das letzte Mal dermaßen getrieft hatte. Damals arbeitete er noch für die Atlantic Seafood Inc. und fuhr auf einem der Trawler hinaus in den Golf, wo es vor Fischen nur so wimmelte. Nach einer Woche harter Arbeit an Bord, mit aufgerissenen Händen und durchweichter Haut, waren sie nach Hell’s Kitchen zurückgekehrt, die Laderäume prall gefüllt mit Fisch. Egon Henderson, der Besitzer von Atlantic Seafood, bezahlte eher schlecht als recht, doch als die riesigen Fabrikschiffe die Häfen der großen Städte im Osten verließen und mit ihren Schleppnetzen die Fanggründe entlang der Ostküste bis hinauf an die Hudson Bai leerfischten, war die Zeit der Trawler vorbei. Henderson schloss seine Fischfabrik auf der Insel und verkaufte die Schiffe, ehe er kaum ein Jahr später starb. Malcom blieb auf der Insel, so wie die meisten, die für Henderson gearbeitet hatten. Schafwolle war damals sehr begehrt und Otis Bratt suchte Hirten und Wollscherer, die seine beinahe zweitausend Tiere zählende Herde hüteten. Malcom ließ sich nicht zweimal bitten. Zwar hatte er einen gehörigen Teil seines Geldes, das er im mühevollen Akkord bei Henderson und der Atlantic Seafood verdient hatte, gut verzinst angelegt, doch noch liefen die Verträge, und die Auszahlung ließ noch ein ganzes Jahr auf sich warten. Weniger als die Hälfte an Salär brachte der neue Job als Schäfer ein, dafür waren die Mahlzeiten frei, und er konnte auf der Insel bleiben, auf der er geboren und aufgewachsen war. Nun war er bald sechzig und dies sollte seine letzte Saison auf den Weiden des Verdana Uplands werden, ehe er sich endgültig zur Ruhe setzte.

Er entzündete das Feuer des kleinen Ofens, und als sich langsam eine mollige Wärme ausbreitete, setzte er sich auf das Feldbett und trocknete seine Haare mit einem Handtuch. Chivas warf ihm einen treuherzigen Blick zu, ehe er sich neben dem Ofen auf einer Decke niederließ.

»Dieses elende Sauwetter«, murmelte er. »Seit Tagen regnet und stürmt es. Es scheint, als hat uns die Sonne einfach vergessen, mein Guter.«

Chivas öffnete sein Maul und gähnte, während Puky mit lang ausgestreckten Gliedern vor der Tür lag und die Augen geschlossen hatte.

»Schlaf jetzt, mein Bester«, sagte er zu dem braun-weiß gefleckten Hund vor seinen Füßen. Er warf das Handtuch auf den Stuhl neben den Tisch und legte sich mit einem Seufzer auf das Feldbett. Er lag kaum eine Minute, als sich Puky aufrichtete und lauthals zu bellen begann. Mit seinen Pfoten schabte der schwarze Shepherd an der Tür. Auch Chivas sprang auf und huschte zur Tür, um lauthals zu bellen und zu knurren.

Hurst fuhr auf. »Was zum Teufel … was ist in euch gefahren?«

Er erhob sich, warf sich die Jacke über und griff nach dem Gewehr in der Ecke. Auf der Insel gab es nur wenige natürliche Feinde, die in der Lage waren, ein Lamm zu reißen. Ein paar Füchse, die bei Tender Hollow hausten, und einen Adler, der ab und zu über der Insel durch die Lüfte streifte. Aber die ausgewachsenen Schafe hatten nur den Metzger zu fürchten, der ab und zu ein paar Schafe zur Schlachtbank führte. Es gab weder Bären noch Luchse und auch keine Wölfe auf der Insel, dafür hatten die Bratts und auch die Breeds gesorgt. Der letzte Luchs war vor über einhundert Jahren geschossen worden.

Die Hunde vollführten ein Spektakel, bellten, knurrten und schabten an der Tür, als ob der Teufel höchstpersönlich draußen auf sie wartete.

»Beruhigt euch!«, befahl Hurst, doch die Tiere waren panisch vor Erregung. Ein grollender Donner erschütterte die Nacht. Malcom trat an das kleine Fenster neben der Tür und warf einen Blick hinaus in die Dunkelheit. Nichts als Finsternis war zu erkennen. Plötzlich zuckte ein Blitz vom Himmel und tauchte das Grasland in eine grelle Helligkeit. Er fuhr zusammen, als er die Gestalt erkannte, die keine drei Meter von der Hütte entfernt stand und auf die Tür starrte. Sein Atem stockte. Der Mann erschien groß wie ein Riese, trug einen dunklen Mantel und einen Südwester auf dem Kopf. In der Hand hielt er einen Haken, einen Stauerhaken, wie er an Bord eines Schiffes zum Verladen von Säcken verwendet wurde. Malcom fuhr der Schreck in die Glieder. Die Augen des Fremden schienen rot zu funkeln. Eine Gänsehaut lief über seinen Rücken, dann breitete sich die Dunkelheit der Nacht wieder aus, und ein Donnerschlag ließ die Hütte erzittern. In Windeseile verriegelte Hurst die Tür, lief zurück zu seinem Bett und holte die Taschenlampe. Als er durch das Fenster nach draußen leuchtete, war der unheimliche Fremde verschwunden, auch Chivas und Puky kamen langsam wieder zur Ruhe.

Malcom Hurst wischte sich den Schweiß von der Stirn. Sein Gesicht war weiß wie Kalk. »Belfour, der Franzose, hilf mir Gott, er ist auf die Insel zurückgekehrt, weil ihn die unschuldigen Seelen nicht in Ruhe lassen«, murmelte er, ehe er den Tisch vor die Tür schob, sich auf das Bett setzte und das Gewehr fest an sich zog.

North Attleboro, Super 8 Motel, Maine,

13. März 2007, 07.25 Uhr (Dienstag)

Noah Fleischman zerbiss einen Fluch auf seinen Lippen. Der junge Kerl, der vor ihm hinter dem Tresen stand, machte ihn nervös. Ständig spielte er mit seinen Fingern, so als ob er sie keinen Moment stillhalten konnte.

»Ich hab es im Radio gehört«, erzählte der Portier des Super 8 Motels in North Attleboro. »Heute früh bin ich rausgegangen, da stand der rote Mazda hinter dem Haus. Mir fiel sofort auf, dass etwas nicht stimmte.«

Noah seufzte und steckte die Bilder der Gesuchten wieder zurück in seine Jackentasche. »Wie viele Gäste haben Sie derzeit?«

Der Portier wandte sich um und blickte auf das Schlüsselbrett. »Man zahlt hier im Voraus. Es haben alle ihre Schlüssel abgegeben, alle außer Mister Larkin aus 7b. Komisch ist nur, dass sein Wagen nicht mehr auf dem Parkplatz steht.«

»Was für einen Wagen fuhr er denn?«, hakte Rodger Donovan nach.

»Einen grauen Buick, der stand direkt vor dem Apartment.«

Fleischman verdrehte seine Augen und trat ein Stück näher an den Tresen heran. »Lassen Sie sich nicht alles aus der Nase ziehen, die ganze Geschichte, aber plötzlich, wenn ich bitten darf!«

»Ich kann nicht viel …«

»Larkin, wann kam er, was tut er, wie sieht er aus?«, zischte Fleischman ungehalten.

»Ich … er … er kam gestern, so gegen sechs, wie jeden Montag«, stotterte der Portier. »Er steigt immer bei uns ab, wenn er seine Tour macht. Er trank ein Bier, dann ging er in sein Apartment. Normalerweise reist er ziemlich früh wieder ab. Er ist Schmuckhändler, wissen Sie. Heute Morgen, als ich die Rezeption öffnete, stand sein Wagen nicht mehr auf dem Parkplatz, aber seinen Schlüssel hat er nicht abgegeben. Ich machte meine Runde und entdeckte den roten Mazda. Ich habe im Radio gehört, dass ein paar Schwerverbrecher aus Cedar Junction abgehauen und mit einem roten Mazda unterwegs sind. Dann rief ich sofort die Polizei.«

»Wie sieht Larkin aus?«

»Er ist klein, fast einen Kopf kleiner als ich, und hat eine Glatze«, erklärte der Portier.

»Haben Sie einen Blick in Larkins Zimmer geworfen?«

Der eingeschüchterte Portier schüttelte den Kopf. »Ich lass mir doch meine Birne nicht wegpusten.«

Fleischman zog seine Glock unter der Jacke hervor und überprüfte den Ladezustand.

»Willst du nicht warten, bis das Squadteam eintrifft?«, fragte Donovan.

»Wir gehen rein!«, entschied Fleischman. »Die Typen sind längst über alle Berge. Und wer hat überhaupt der Presse gesteckt, dass wir einen Mazda suchen? Ich sagte doch ausdrücklich, dass wir keine Meldung nach draußen geben.«

Donovan griff ebenfalls nach seiner Waffe. »Das kann nur der Sheriff aus Norwood gewesen sein«, erwiderte er.

»Sie bleiben hier!«, befahl Noah dem Portier, ehe sie die Rezeption verließen und sich dicht an der Wand in Richtung von Larkins Apartment schlichen. Vor der Tür verharrten sie einen Augenblick. Mit ihren Blicken verständigten sie sich, nachdem sich Donovan auf der gegenüberliegenden Seite postiert hatte. Leise zählte Fleischman von drei auf eins, bevor er mit dem Fuß gegen die Tür trat. Holz splitterte, das Schloss brach aus dem Türblatt und fiel zu Boden, ehe die Tür aufflog und gegen die Wand krachte. Sofort sprang Fleischman mit der Waffe im Anschlag ins Zimmer und stürmte nach links. Donovan folgte und schlug den Weg nach rechts ein.

»US-Marshall!«, brüllte Fleischman, doch als sein Blick auf das Bett fiel, verstummte er.

Der Mann war nackt bis auf die Unterhose. Seine Haut war bleich und hatte bereits einen bläulichen Schimmer angenommen. Ein Kissen lag quer über seinem Kopf.

Noah Fleischman wandte sich der offenen Tür zu, die zum Badezimmer führte. Kurz verschwand er darin, während Donovan an das Bett trat und das Kissen von dem Gesicht des Mannes entfernte. Er blickte in seine gebrochenen Augen.

»Ich sagte doch, die Kerle sind längst über alle Berge«, bemerkte Noah Fleischman, als er zurück in das Schlafzimmer kam.

»Das muss Larkin sein«, empfing ihn Donovan. »Die Kerle haben anscheinend alles mitgenommen, sogar seine Kleider.«

»Der Sheriff ist ein Arschloch. Ich werde ihm gehörig den Marsch blasen.«

Hell’s End Bar, Hell’s Kitchen Island, Maine,

13. März 2007, 21.35 Uhr (Dienstag)

»Und wenn ich es euch sage«, beteuerte Malcom Hurst. »Belfour, der Franzose, stand direkt vor mir, er war keine zehn Schritte entfernt. Er trug seinen schwarzen wallenden Mantel, seinen schwarzen Südwester und hielt einen Stauerhaken in seiner Hand. Und wenn ich es euch sage, seine Augen glühten wie Feuer. Ich schwöre es. Puky und Chivas sind beinahe wahnsinnig geworden.«

»Du bist wahnsinnig«, entgegnete Dan Boyd. »Belfour ist seit über zweihundert Jahren tot und längst verfault, wenn ihn nicht die Fische gefressen haben.«

»Er wurde nie gefasst und ist einfach verschwunden, wie ein Licht, das man einfach ausknipst«, fügte William Evans hinzu. »Er verschwand von der Bildfläche und wurde nie wieder gesehen.«

Henry Phelps nippte an seinem Bier. »Hat dir Otis eine Flasche von seinem selbstgemachten Brandy mitgegeben? Man sagt, der weckt sogar Tote auf.«

Gelächter breitete sich am Tresen aus. Hurst schlug mit der Faust auf den Tisch. »Ich habe nichts getrunken, Belfour ist aus der Hölle zurückgekehrt, und das Meer hat ihn einfach wieder ausgespuckt.«

Mia Honeywell stellte ein Bier vor Evans auf den Tresen. »Es ist kein Wunder bei diesem Wetter, dass hier langsam alle durchdrehen. Belfour hat die Freedom vor beinahe dreihundert Jahren versenkt. Aber das kommt davon, wenn der kalte Wind um eure Ohren pfeift, da friert langsam das Gehirn ein.«

»Wenn ich es dir sage«, widersprach Malcom Hurst. »Der Kerl stand vor der Hütte und wollte hinein. Wenn ich den Riegel nicht vorgeschoben hätte, dann würde ich jetzt nicht mehr leben.«

Mia lachte schnippisch, während sie mit einem feuchten Tuch die Bierränder vom Tresen wischte. »Was macht dich so sicher, dass es Belfour war? Es kann jeder hier gewesen sein, der dir einen Streich spielen wollte. Und du bist darauf hereingefallen. Und jetzt machst du dich selbst zum Affen.«

Die Anwesenden brachen in glucksendes Gelächter aus.

»Es war Belfour«, beharrte Hurst auf seiner Behauptung. »Er sah aus wie auf dem Bild, das in der Townhall hängt.«

Als die Tür zur Bar geöffnet wurde, fegte ein kalter Windstoß über die Männer am Tresen hinweg. Logan trat ein und schob die Tür wieder zu. Er entledigte sich seiner triefenden Jacke und rieb sich die kalten Hände, als er sich neben den anderen am Tresen niederließ.

»Mia, bring mir einen heißen Tee mit Rum!«, brummte er. »Dieses Scheißwetter, langsam gehen die Lebensmittel aus. Wenn wir nicht bald ans Festland kommen, dann wird es knapp. Ist Aiden hier?«

»Aiden liegt im Bett«, antwortete Mia und schaltete den Tauchsieder ein. »Er hat Grippe und fühlt sich nicht gut.«

»Kein Wunder, bei dem Wetter.«

William Evans rückte ein Stück näher. »Hast du schon gehört, Logan? Malcom ist in der Nacht am Northern Trail beinahe überfallen worden. Er glaubt, Belfour ist seinem Grab entstiegen, weil ihm die unschuldigen Seelen der Siedler keine Ruhe lassen.«

Logan grinste. »Hab schon gehört, Malcom. Du machst einigen auf der Insel Angst mit deinen Geschichten.«

Malcom Hurst hob abwehrend die Hand. »Das sind keine Geschichten.«

»Wenn uns jemand in den nächsten Tagen umbringt, dann ist es das Wetter und nicht dein erfundener Geist.«

Hurst erhob sich und trat ein Stück näher. »Ich würde gerne eure Gesichter sehen, wenn er hier durch die Tür käme. Mich jedenfalls bringt niemand mehr an den Northern Trail. Er war es sicher auch, der in die Scheune und die Villa eingebrochen ist und die Löcher in den Boden grub. Er sucht nach etwas, ohne das er nicht zur Ruhe kommt.«

Logan nippte an seinem heißen Tee. »So, er sucht also nach etwas. Und was meinst du, sucht er?«

Hurst fuhr sich mit der Zunge über seine Lippen. »Er sucht nach seinem Herzen, das ihm gestohlen wurde, denn nur dadurch ist er zu diesem herzlosen Piraten geworden, der harmlose Seeleute und Siedler abschlachtete. Und solange er sein Herz nicht gefunden hat, wird er auf dieser Insel herumspuken. Fragt den Admiral, er hat ihn im letzten Jahr am South Bench gesehen.«

Logan winkte ab. »Der Admiral hat schon oft Gespenster gesehen.«

»Und weiße Mäuse«, fügte Evans hinzu.

»Immer wenn er zu tief ins Glas geschaut hat, kommen die ungebetenen Besucher. Bald sind es rosafarbene Elefanten.«

Die Männer am Tresen brachen in lautes Gelächter aus und klopften sich auf die Schenkel.

»Ihr werdet schon sehen, wenn Belfour vor euch steht«, brummte Hurst, griff nach seinem Mantel, setzte seinen Hut auf und verschwand durch die Tür im Regen.

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