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„Du bist Orplid, mein Land!“

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Die Geburt Orplids gehört in den unmittelbaren Zusammenhang von Mörikes Tübinger Freundschaften, da sie aufs engste mit seiner Beziehung zu Ludwig Amandus Bauer verknüpft ist. Bauer, der das Niedere theologische Seminar in Blaubeuren besucht hatte, lernte den um ein Jahr jüngeren Mörike erst im Stift kennen und war seit der Entfremdung von Waiblinger wohl sein engster Gefährte. Nach dem Abschluss des Studiums übernahm er die Pfarrei Ernsbach im Hohenlohischen, gab das geistliche Amt jedoch bereits 1831 wieder auf und arbeitete zunächst in einer Erziehungsanstalt in Stetten, dann am Katharinenstift und schließlich am Oberen Gymnasium in Stuttgart. Neben seiner Lehrtätigkeit entwickelte er sich zu einem ebenso fleißigen wie vielseitigen Schriftsteller, der unter anderem verschiedene wissenschaftliche Abhandlungen, eine umfangreiche Darstellung der Weltgeschichte, Übersetzungen, einige Dramen und den satirischen Zeitroman Die Überschwänglichen vorlegte. Mehr noch als durch seine Publikationen scheint Bauer aber durch seine vielgerühmte liebenswerte, aufgeschlossene und begeisterungsfähige Persönlichkeit gewirkt zu haben. Nach seinem Abgang von Tübingen lockerte sich der Kontakt zu Mörike; Briefe wurden mit der Zeit selten – vor allem von Mörikes Seite – und Begegnungen noch seltener. Ein Zerwürfnis gab es aber nie, und die „schreckliche Botschaft“ vom frühen Tod des Freundes im Jahre 1846 traf Mörike tief (15, S. 26).

Bauer verließ das Stift im Herbst 1825. Im Sommer davor war sein freundschaftlicher Umgang mit Mörike im Schatten des nahenden Abschieds offenbar besonders intensiv, und dieser Sommer brachte Orplid zur Welt. In Maler Nolten lässt Mörike in einer stark autobiographisch gefärbten Passage den Schauspieler und Dichter Larkens von der Entstehung und der Eigenart dieses Phantasiegebildes erzählen:

Ich hatte in der Zeit, da ich noch auf der Schule studirte, einen Freund, dessen Denkart und ästhetisches Bestreben mit dem meinigen Hand in Hand ging; wir trieben in den Freistunden unser Wesen miteinander, wir bildeten uns bald eine eigene Sphäre von Poesie, und noch jezt kann ich nur mit Rührung daran zurückdenken. […] Wir erfanden für unsere Dichtung einen außerhalb der bekannten Welt gelegenen Boden, eine abgeschlossene Insel, worauf ein kräftiges Heldenvolk, doch in verschiedene Stämme, Grenzen und Charakter-Abstufungen getheilt, aber mit so ziemlich gleichförmiger Religion, gewohnt haben soll. Die Insel hieß Orplid, und ihre Lage dachte man sich in dem stillen Ozean zwischen Neu-Seeland und Süd-Amerika. Orplid hieß vorzugsweise die Stadt des bedeutendsten Königsreichs: sie soll von göttlicher Gründung gewesen seyn und die Göttin Weyla, von welcher auch der Hauptfluß des Eilands den Namen hatte, war ihre besondere Beschützerin. Stückweise und nach den wichtigsten Zeiträumen erzählten wir uns die Geschichte dieser Völker. An merkwürdigen Kriegen und Abenteuern fehlte es nicht. Unsere Götterlehre streifte hie und da an die griechische, behielt aber im Ganzen ihr Eigenthümliches; auch die untergeordnete Welt von Elfen, Feen und Kobolden war nicht ausgeschlossen. (3, S. 95f.)

Mit noch konkreteren Informationen über den Ursprung Orplids versorgt uns ein Brief Bauers an Mörike vom 27. Juni 1826, den die Sehnsucht nach den schönen Tagen des letzten Tübinger Sommers diktiert hat:

Eine Preisfrage gebe ich dir auf. Besinne dich doch, und berathe dich auch mit denen, die etwas wissen können, an welchem Tage Orplid geboren wurde? Es war, soviel weiß ich, ein herrlicher Morgen: du führtest mich an die Quelle links von der Reutlinger Straße, dann giengen wir noch eine Weile im Walde spazieren, als wir eben von dem Fußwege auf die Straße kommen wollten, sagte ich: wir sollten mit Zweigen eine Hütte bauen im Walde, und dies sollte vorstellen, wie sich Leute eine Stadt bauen – wie müßte sie doch heißen? „Orplid,“ sagtest du. […] Es schlug 10 Uhr, ich mußte fort; aber vor des Bengels Kollegium, etwas vor 3 Uhr, kamst du zu mir, wir schwänzten, und entwarfen so leicht hin die Gestalt der Insel, wie ich sie noch auf einem Papiere habe. Den Sonntag drauf waren schon viele Namen erfunden, und noch vor der Kirche erfandest du den Namen „Spindel“. Nach Jacobi, also nach dem 25ten Julius, muß es gewesen sein […].42

Orplid war eines jener Refugien, die sich die Stiftler so gerne schufen; der Freiraum der produktiven Einbildungskraft, eben die „eigene Sphäre von Poesie“, nahm in dieser Märcheninsel buchstäblich Gestalt an. Dass dafür zwei Freunde zusammenwirken mussten, ist gewiss kein Zufall. Wie bei jenen „gemeinsamen Tagträumen“, die der Psychoanalytiker und Freud-Schüler Hanns Sachs beschrieben hat, bedeutete die Teilnahme eines Kameraden an der Phantasietätigkeit eine Entlastung und Bestätigung und half dabei, die poetische Fiktion gegen die Ansprüche der nüchternen Realität aufrecht zu erhalten. So stellte Orplid von Anfang an auch einen imaginären Raum der Freundschaft dar, den Mörike und Bauer gemeinsam bewohnten und ausgestalteten: Das freie Spiel der Phantasie und der innige Seelenbund waren wesensverwandt, weil beide als beglückende Gegenwelten zur strengen Atmosphäre des Stifts empfunden wurden. Indes verteilten sich die Gewichte zwischen den Freunden recht ungleich, da Mörike überwiegend den eigentlich schöpferischen Part übernommen zu haben scheint, während Bauer wenigstens zunächst eher rezeptiv als bewundernder Zuhörer beteiligt war. Auch in der Vorrede zu dem Orplid-Drama Der heimliche Maluff bezeichnet er seinen „Freund Eduard“ als den eigentlichen Erfinder oder ‚Kenner‘ der geheimnisvollen Insel.43

In der Forschung wurde Orplid oft mit der Tradition der Robinsonaden, in die in Deutschland beispielsweise Johann Gottfried Schnabels Insel Felsenburg gehört, und mit der zeitgenössischen Schwärmerei für das exotische Südsee-Paradies Otaheiti (Tahiti) in Verbindung gebracht – zu Unrecht, denn in den Phantasien der Tübinger Freunde begegnen wir weder einem Ursprungszustand paradiesischer Unschuld noch einem absoluten Neuanfang jenseits einer erstarrten gesellschaftlichen Ordnung, sondern einer mit Mythologie und Geschichte gesättigten, mit Kriegen, Kämpfen und Helden angefüllten Sphäre; die später auf der Insel eintreffenden europäischen Siedler, die in Mörikes Dramolett Der lezte König von Orplid auftreten, sehen sich den monumentalen Überbleibseln einer vergangenen Hochkultur gegenüber. Auch philosophisch begründete Inselutopien wie Platons Atlantis und Thomas Morus’ Utopia dürften für Mörike und Bauer kaum von Interesse gewesen sein. Pate gestanden haben bei Orplids Geburt andere Autoren, vielleicht Ossian, mit Sicherheit aber Homer und Shakespeare, deren Werke die beiden Freunde in Tübingen gemeinsam lasen44 und die Larkens in der zweiten Fassung des Maler Nolten auch ausdrücklich nennt.45 Während Homer und die Tragödien des Engländers die episch-heroischen, pseudo-historischen Elemente der Orplid-Welt inspirierten, verrät das Reich der Elfen und Feen, das in Der lezte König von Orplid eine große Rolle spielt, den Einfluss von Shakespeares Sommernachtstraum und Der Sturm.

Orplid existierte nicht bloß auf dem Papier oder in den Köpfen seiner geistigen Väter, es wurde in und um Tübingen auch ganz konkret gespielt und erlebt. Darauf deutet schon Bauers Vorschlag hin, mit der Errichtung einer Hütte im Wald die Gründung einer Stadt zu simulieren, und auch in anderen Briefen ist von allerlei Rollenspielen und Maskeraden die Rede, die die Freunde ausheckten und die sich entweder an ihre Lieblingslektüren anschlossen oder gleich im Orplid-Kosmos angesiedelt waren. Da wurden im Kampf die Myrmidonen des Achill erschlagen46, oder man bewaffnete sich mit einer Armbrust und spielte „nach Art der Kinder ein paar Jauner […], die in einer einsamen Diebsheerberg auf der Lauer sind“, wobei ein Krämer daran glauben musste, den man beraubte und in einem Sumpf verschwinden ließ (10, S. 103). Noch 1832 verglich Mörike den kleinen Kirchturm von Ochsenwang mit dem Gartenhäuschen, das die beiden Studenten zum Schauplatz ihrer imaginären Abenteuer gemacht hatten: „Bauer würde in die Luft springen vor Freuden, so hoch als der Thurm selber ist, wenn er ihn sähe, denn auch die 4. Läden sind akkurat so wie die, aus denen wir als Orplids-Wächter zu allen Stunden der lauen tübinger Sommernächte herausgeguckt haben“ (11, S. 244). Solche Vergnügungen mögen ein wenig kindisch und für junge Männer von Anfang zwanzig unpassend erscheinen, aber man sollte bedenken, dass Bauer in Blaubeuren Primus seiner Promotion gewesen war und auch später, wie seine Karriere beweist, im Leben seinen Mann stand – die Orplid-Sphäre war kein Rückzugsort für weltfremde Traumtänzer.

Da sich die Phantasien von Orplid anfangs vorrangig in der lebendigen Interaktion des Freundespaares, in Spielen und Gesprächen entwickelten, wurde ihrer schriftlichen Fixierung zunächst keine große Bedeutung beigemessen. Deshalb liegen auch nur sehr spärliche unmittelbare Zeugnisse aus dem Sommer 1825 vor. Die bei Bauer mehrfach erwähnte Karte sowie ein Bild der Insel sind verschollen47, erhalten hat sich lediglich eine von Mörike und Bauer gemeinsam angefertigte fragmentarische Beschreibung der orplidischen Geographie.48 Im Winter 1825/26 schrieb Mörike für den Freund, der Tübingen zu diesem Zeitpunkt bereits verlassen hatte, das Stück Schicksal oder Vorsehung, von dessen Originalversion nur ein bescheidener Ausschnitt ohne jeden Orplid-Bezug überliefert ist49, das wir aber in einer überarbeiteten Fassung kennen: Es handelt sich um eben jenes Zwischenspiel, das unter dem Titel Der lezte König von Orplid in den Maler Nolten aufgenommen wurde und mit dem sich die Kapitel, die Mörikes Roman beziehungsweise seinem Theaterschaffen gewidmet sind, eingehender befassen werden. Von Schicksal oder Vorsehung angeregt, verfasste wiederum Bauer 1826 mit Der heimliche Maluff und Orplids letzte Tage zwei fiktiv-historische Dramen in Blankversen, von denen das eine zwei Jahre später publiziert wurde, während das andere erst postum in einer Ausgabe von Bauers Schriften, die seine Freunde 1847 veranstalteten, zum Druck gelangte. Man tut dem Verfasser gewiss nicht Unrecht, wenn man den literarischen Wert dieser beiden Stücke, die ausschließlich von ihrer bunten, abenteuerlichen Handlung leben, gering veranschlagt. Während Der heimliche Maluff von Schlachten und Intrigen aus Orplids heroischer Epoche erzählt, behandelt Orplids letzte Tage die Apokalypse des alten Orplid, dessen Bewohner für ihre Verderbnis und ihren Machthunger bestraft werden. Einer der beiden Überlebenden ist der zu einem tausendjährigen Dasein verdammte König Ulmon, der Titelheld von Mörikes Dramolett Der lezte König von Orplid, dessen Handlungszeit um eben diese tausend Jahre später liegt.

Nicht nur in der Beschäftigung mit solchen dramatischen Projekten suchte Bauer einen Ersatz für die unmittelbare Berührung mit Mörike in ihren gemeinschaftlichen Tübinger Orplid-Fabeleien. Er füllte auch seine Briefe in der ersten Zeit nach dem Abschied vom Stift zu einem großen Teil mit orplidischen Geschichten, stattete die ländliche Umgebung von Ernsbach mit entsprechenden Namen aus und lud den Freund ein ums andere Mal in sein Pfarrhaus ein, wo das phantastische Treiben aus dem Sommer 1825 seinen Fortgang nehmen sollte. Offenbar erblickte Bauer in Orplid das Fundament seines Seelenbundes mit Mörike, an dem er treu festhielt. Er schlug sogar vor, „jedes Jahr das Fest ‚Orplids Geburt‘“ zu begehen (daher die oben zitierte „Preisfrage“ zur Ermittlung des exakten Datums): „wenn auch entfernt von einander, wären wir uns doch nahe in demselben Heiligthum, es wölbte sich über uns das Dach Eines großen Tempels, in welchem wir uns nicht sehen könnten, aber doch von denselben himmlischen Wesen beschützt wüßten.“50 Warum Mörike sich diesem Drängen beharrlich entzog, wissen wir nicht; jedenfalls reagierte er kaum mehr auf Bauers Schwärmerei und raffte sich auch nie zu einem Besuch in Ernsbach auf. Umso erstaunlicher mutet es an, dass sein schönstes Orplid-Werk erst Jahre später wie aus dem Nichts entstand, möglicherweise um 1830, als er durch die Arbeit an Maler Nolten wieder mit dieser Sphäre in Berührung kam:

Gesang Weyla’s

Du bist Orplid, mein Land!

Das ferne leuchtet;

Vom Meere dampfet dein besonnter Strand

Den Nebel, so der Götter Wange feuchtet.

Uralte Wasser steigen

Verjüngt um deine Hüften, Kind!

Vor deiner Gottheit beugen

Sich Könige, die deine Wärter sind.

(1.1, S. 102)

Vom übrigen Orplid-Kosmos, soweit wir ihn noch überblicken können, ist dieses Rollengedicht deutlich abgesetzt. Es berührt sich weder mit dem Dramolett im Roman, wo die Göttin Weyla gar nicht persönlich auftritt, noch mit Bauers action- und figurenreichen Theaterstücken, und den unbekümmerten jugendlichen Rollenspielen steht es erst recht fern. Gesang Weyla’s ist eine Evokation im buchstäblichen Sinne des Wortes: In der hymnisch preisenden Anrufung durch ihre Beschützerin tritt die Insel Orplid wie in einer Epiphanie vor die Augen des Lesers. Natürlich muss diese Evokation eine poetische sein; sie vollzieht sich nicht in prosaischer Rede, sondern eben im „Gesang“ der Göttin. So wird hier indirekt auch die beschwörende Kraft der dichterischen Sprache gefeiert.

Die zweite Strophe kann leicht zu einer Fehllektüre verleiten: Nicht die Insel hebt sich aus dem Meer empor wie die Göttin Aphrodite im griechischen Mythos, vielmehr steigen die Wasser um sie herum nach oben. Vielleicht deutet dieses etwas rätselhafte Bild auf die Brandung an der Küste, aber bedeutsamer ist wohl die Aufwärtsbewegung als solche, die in dem zum Himmel steigenden Nebel wiederkehrt – eine Bewegung hin zum Göttlichen, das sich seinerseits in der Sonne manifestiert, deren Licht von oben herabdringt. Die Bewegung nach aufwärts bildet sich insbesondere in den Versen 5 und 6 auch lautlich ab, nämlich in der fortschreitenden Aufhellung der Klangfärbung, die von dem dunklen Eingangswort „Uralte“ ausgeht und in der Anrede „Kind“ ihren Abschluss findet. Unten und Oben, Erde und Himmel, Irdisches und Göttliches stehen in diesen Versen in einer lebendigen Wechselbeziehung, und in der Mitte scheint Orplid ‚ferne leuchtend‘ wie ein verheißungsvoller Traum zu schweben. In Gesang Weyla’s gewinnt die Insel, herausgelöst aus allen epischen und dramatischen oder auch pseudo-historischen Zusammenhängen und frei von jeder phantasievollen Detailmalerei, tatsächlich die Aura eines utopischen Orts schimmernder Reinheit, ungebrochener Götternähe und ewiger Jugendschönheit, der sogar „uralte Wasser“ verjüngt. Dass Orplid als „Kind“ anthropomorphisiert und zugleich zur „Gottheit“ verklärt wird, fügt sich in diesen Zusammenhang ein, ist doch das göttliche Kind eine aus der heidnisch-antiken Mythologie wie auch aus der christlichen Lehre wohlbekannte Symbolfigur für die Hoffnung auf Erlösung und ein neues Goldenes Zeitalter. Und lässt der ehrfürchtige Dienst der „Könige“ nicht sogar an die Anbetung im Stall zu Bethlehem denken?

Der Privatmythos der beiden Tübinger Freunde unterscheidet sich grundlegend von dem frühromantischen Projekt einer ‚Neuen Mythologie‘, die einen Integrationspunkt für das gesamte geistige und literarische Leben der Gegenwart abgeben sollte. Der Orplid-Fiktion fehlt der programmatische Totalitätsanspruch dieses idealistischen Entwurfs, und sie entsprang ja auch nicht der philosophischen Reflexion und Spekulation, sondern der elementaren Freude an der weltenschaffenden Macht einer spielerischen Phantasie. Vielleicht konnte Orplid aber gerade deshalb zu einem Sinnbild utopischer Verheißungen werden, das seine Strahlkraft sogar noch im 20. Jahrhundert bewahrte. Die geographischen, ethnographischen und historischen Elemente, mit denen Mörike und Bauer ihre Schöpfung so verschwenderisch ausgestattet hatten, wurden in der späteren Rezeption freilich weitgehend ausgeblendet. Was übrig blieb, war eher von der poetischen Epiphanie inspiriert, die in Gesang Weyla’s aufleuchtet: Orplid als bedeutungsvolle Chiffre für ein fernes Traum- und Sehnsuchtsziel. So verhält es sich bei Ernst Bloch, der in Orplid die „Artikulierung eines utopischen Hoffnungsinhalts“ erblickte51, und bei Josef Weinheber, der diesen Namen in seinem Gedicht Du bist Orplid als den Inbegriff von Geborgenheit und Heimat zitiert. Und selbst Gottfried Benn, der Mörike verächtlich einen „völlig geistlose[n] Mann“ nannte, musste einräumen, dass Gesang Weyla’s „ein wunderbares Gedicht, ein magisches“ sei.52 Auch zu Beginn und am Ende von Nur noch flüchtig alles nimmt Benn auf dieses Werk Bezug:

Nur noch flüchtig alles,

kein Orplid, keine Bleibe,

Gestalten, Ungestalten

abrupte

mit Verkürzung.

[…]

Wo schließt sich was,

wo leuchtet etwas ferne,

nichts von Orplid –

Kulturkreis:

Zahl Pi mit Seiltricks!53

In einer verwissenschaftlichten und fragmentierten modernen Welt lösen sich nicht nur Harmonie und Geborgenheit, sondern auch das menschliche Subjekt und mit ihm der Zusammenhang der poetischen Rede unwiderruflich auf. Utopische Ausblicke und Hoffnungen können da allenfalls noch in resignierter Negation oder im schwachen Echo eines literarischen Zitats anklingen – und sie konzentrieren sich für Benn in dem Schlagwort Orplid.

Eduard Mörike

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