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F. „Reben und Messegeläut“ (Franken, Reichsabtei Fulda)
ОглавлениеIn Viktor von Scheffels Frankenlied nimmt ein fahrender Scholar „mit Stab und Ordenskleid“ an einer weinseligen Wallfahrt in Oberfranken teil, steigt zum „heiligen Veit von Staffelstein“ empor und sieht von der Höhe aus den „weiten Gottesgarten“ um den oberen Main vor sich liegen:
„Von Bamberg bis zum Grabfeldgau
umrahmen Berg und Hügel
die breite, stromdurchglänzte Au
ich wollt’, mir wüchsen Flügel!“
Der Dreiklang von anmutiger Landschaft, Wein und religiösem Leben, von dem dieses Lied lebt, hat die Mainregion seit jeher geprägt. Franken bedeutet nach einem alten Wort dreierlei: Reben, Messegeläut und Bamberg. Alle drei Merkmale des Landes weisen auf historische Vorgänge: auf die siedlungsmäßige Erschließung und Kultivierung des Landes vom Rhein her, wo der Weinanbau seit Beginn der Römerzeit gepflegt wird, auf die tiefe Verwurzelung des Christentums seit der Missionierung des Gebietes und auf die Bedeutung der Kaiser- und Bischofsstadt Bamberg, des „deutschen Roms“.
Im 6. Jahrhundert stoßen die Franken mainaufwärts vor, drängen die bis dahin hier tonangebenden Thüringer nach Norden und unterwerfen schließlich auch deren Kerngebiet, das heutige Thüringen. Damit öffnet sich das Mainbecken für die rheinfränkische Siedlung und Kultur und entwickelt sich nach der weiteren Expansion des Fränkischen Reiches nach Norddeutschland und Bayern, vollends seit der Ostsiedlung zu einer der bedeutendsten mitteleuropäischen Zentrallandschaften: Es liegt auf halbem Wege zwischen den Alpen und der Norddeutschen Tiefebene, und Thüringen, Sachsen und Böhmen sind ebenfalls gut zu erreichen.
Für die überregionale Ausstrahlung Frankens seien nur zwei Beispiele aus dem Mittelalter angeführt: Das Wirken Bonifatius’, des „Apostels der Deutschen“, und das des mittelhochdeutschen Epikers Wolfram von Eschenbach. Der erste schafft von Hessen und vom Maingebiet aus die Grundlagen der kirchlichen Organisation in großen Teilen des späteren ostfränkisch-deutschen Reiches und gründet im fränkisch-bayrischen Raum die Mehrzahl der bis zum heutigen Tag bestehenden Bistümer. Missionsversuche in Norddeutschland schlagen allerdings fehl: Im Jahre 754 erleidet Bonifatius in Friesland den Märtyrertod. Wolfram von Eschenbach (ca. 1175–ca.1220), ein herausragender Vertreter der „staufischen Klassik“, stammt aus der Gegend von Ansbach, hat aber so gute Beziehungen zum Donauraum, daß er sich sogar als Bayern bezeichnet. Andererseits hat er auch Verbindungen nach Norden. Er hält sich auf der Wartburg auf und trifft dort Walther von der Vogelweide, den berühmtesten deutschen Lyriker des Mittelalters, der aus Südtirol stammt, aber später bei Würzburg lebt, also ebenfalls Beziehungen zu Franken, Bayern und Thüringen hat.
„Messegeläut“ erklingt in Franken seit dem 7. Jahrhundert; iroschottische Mönche sind die ersten Missionare, darunter der heilige Kilian, der Schutzpatron der Winzer. Bonifatius, der als Bischof von Mainz im Auftrag der fränkischen Reichskirche und im Einvernehmen mit dem Heiligen Stuhl tätig ist, gründet im Jahre 741 das Bistum Würzburg, das bis zur Gründung Bambergs in kirchlicher Hinsicht für das ganze Mainfranken zuständig ist, außerdem aber auch im Laufe der Zeit ein verhältnismäßig großes eigenes Territorium entwickelt. Grundlage der weltlichen Macht und der späteren Landesherrschaft der Würzburger Bischöfe bilden reiche Schenkungen aus Reichsbesitz und vielfältige Privilegien der Karolinger und Ottonen. Das Bistum Würzburg tritt auf diese Weise in machtpolitischer Hinsicht mehr und mehr an die Stelle des Herzogtums Franken, das um 900 ganz Main- und Teile Rheinfrankens einschließlich Hessens umfaßt, jedoch bereits im 10. Jahrhundert zerfällt. 1168 werden dem Würzburger Bischof von Barbarossa die Herzogsrechte in Franken ausdrücklich bestätigt.
Bamberg: Rathaus
Das bischöfliche Territorium hat seine Vormachtsstellung in der Mainregion bis zum Ende des alten Reiches behauptet. Die Stadt, seit 1744 im Glanz der fürst-bischöflichen Residenz, ist bis zum heutigen Tag, also seit mehr als 1250 Jahren, die Metropole Mainfrankens geblieben – eine Tradition, die nur kurzfristig einmal für einige Jahre unterbrochen wurde, als sie nach dem verheerenden Bombenangriff gegen Ende des Zweiten Weltkriegs als „Grab am Main“ galt und die Möglichkeit eines Wiederaufbaus ernstlich bezweifelt wurde.
Das Bistum Würzburg wird, ebenfalls bereits seit zwölfeinhalb Jahrhunderten, im Norden von der Abtei Fulda, im Südosten vom Bistum Eichstätt flankiert. Beide haben bis heute nicht nur regionale Bedeutung: Eichstätt als Sitz der einzigen katholischen Hochschule Deutschlands, Fulda als Tagungsort der deutschen Bischofskonferenz, die sich hier, am Grab des Bonifatius, alljährlich versammelt. Die Abtei Fulda, 744 von dem aus Bayern stammenden Bonifatius-Schüler Sturmi gegründet, wird vom karolingischen Herrscherhaus so nachhaltig gefördert, daß sie schließlich – schwerpunktmäßig in der nahegelegenen Rhön – über mehr als 100.000 Hektar Landbesitz verfügt. Die große Zeit der Reichsabtei ist das 9. und 10. Jahrhundert. Unter Hrabanus Maurus, der zunächst Schulleiter (seit 802), dann Abt (seit 822) ist, entwickelt sie sich zu einem europäischen Kulturzentrum ersten Ranges und stellt insbesondere als Schreibort alle anderen Klöster des Abendlandes in den Schatten. 968 ernennt der Papst den Abt zum „Primas aller Klöster in Gallien und Germanien“ – ein Ehrentitel, der gleichwohl die europaweite Ausstrahlung der Abtei bezeugt.
Die großen Verdienste haben sich die Fuldaer Mönche dadurch erworben, daß sie antike Schriften und althochdeutsche Texte aufbewahrten, kopierten oder übersetzten und somit für die Nachwelt retteten. Unsere Kenntnisse der althochdeutschen Sprache und Literatur wären äußerst lückenhaft, wenn wir nicht die in Fulda gefundenen Handschriften hätten, darunter den „Tatian“, eine ins Deutsche übertragene Evangelienharmonie des zweiten Jahrhunderts, die „Muspilli“-Dichtung, eine althochdeutsche Darstellung des Weltuntergangs, und vor allem das „Hildebrandslied“, das einzige erhaltene Heldenlied in deutscher Sprache. Auch von der frühen römischen Kaiserzeit und den damaligen Verhältnissen im heutigen Deutschland hätten wir nur sehr vage Vorstellungen, wenn in Fulda nicht ein Teil der „Annalen“ und die vollständige „Germania“ des Tacitus die Zeiten überdauert hätten.
Besondere regionale, aber auch überregionale Bedeutung hat schließlich das Bistum Bamberg, das 1007 von Heinrich II., dem letzten Ottonenkaiser, gegründet und von Anfang an verschwenderisch ausgestattet wird. Die Kirchen der Stadt bilden bis heute eine einzigartige Sakrallandschaft, wie es sie nördlich der Alpen sonst nur noch in Köln gibt. Neben dem Dom entsteht 1015 das Benediktinerkloster St. Michael, 1020 das Kollegiatstift St. Stephan, etwa 1060 das Stift St. Gandolf und 1073 das Stift St. Jakob. Am Bau des heutigen, 1237 geweihten Domes beteiligen sich führende Künstler des Oberrheingebiets und Nordfrankreichs; Einflüsse aus Basel, dem Elsaß und Laon lassen sich nachweisen.
Die älteren Bamberger Kirchen bilden im Stadtgrundriß ein lateinisches Kreuz und zeigen damit symbolisch die Bestimmung des Ortes an. Kaiser Heinrich, dessen Hauptresidenz zuvor Regensburg ist, hält sich nach der Errichtung des Bistums häufig in Bamberg auf, das er als eine Art Welthauptstadt, als „deutsches Rom“, ansieht. Tatsächlich hat der Ort in den Augen der Zeitgenossen diese Rolle gespielt. Der Kaiser, im Sinne des christlich-imperialen Gedankens der Herr der Welt, trifft hier in seiner Lieblingspfalz grundlegende deutschland- und europapolitische Entscheidungen, etwa in der Polen- und Italienpolitik. Papst Benedikt VIII. selbst macht ihm hier seine Aufwartung: 1020 weiht er persönlich das Stift St. Stephan – ein Vorgang, der im kirchlichen Bamberg bis heute unvergessen geblieben ist. 1046 ernennt Kaiser Heinrich III. sogar den Bamberger Bischof Suitger zum Papst; dieser nimmt den Namen Klemens II. an und ist der erste einer Reihe von deutschen Päpsten, die den Höhepunkt des ottonisch-salischen Reichs-Kirchen-Systems bezeichnen.
Die enge Bindung Heinrichs II. an Bamberg entspringt nicht einfach der Vorliebe eines Herrschers für einen bestimmten Ort, sondern ist auch Ausdruck persönlicher Heilsvorstellungen. Als sich abzeichnet, daß er und seine Gemahlin Kunigunde kinderlos bleiben, setzt er offiziell Christus zu seinem Erben ein und vermacht der Kirche seinen gesamten fränkischen Eigenbesitz. Darüber hinaus erhält das Bistum auch außerhalb Frankens gelegene Kirchen, Güter und Grundherrschaften, ferner zahlreiche wertvolle Kunstschätze und politische Vergünstigungen – kein Wunder, daß der Kaiser und seine Gemahlin, beide bereits im Mittelalter heilig gesprochen, bei der Bamberger Kirche bis zum heutigen Tag ungewöhnlich großes Ansehen genießen.
Kaiser Heinrich II. hat mit seinen Dotationen die Grundlagen dafür geschaffen, daß sich Bamberg zu einer der schönsten, kulturgeschichtlich reichsten Städte Deutschlands entwickeln konnte. Die Stadt hat überdies das seltene Glück gehabt, ein Jahrtausend lang von kriegsbedingten Zerstörungen weitgehend verschont zu bleiben, auch während des Dreißigjährigen Krieges und des Zweiten Weltkrieges.